>>> ACHTUNG: ENTHÄLT VIELE SPOILER!! <<<</div>
„Ich habe das Gefühl, Teil eines riesigen Apparates zu sein, der immer größer wird, während man selbst immer kleiner wird, bis nichts mehr von einem übrig bleibt.“
Diese Zeilen schreibt der von Brian Stirner verkörperte Tom Beddows im Laufe des Films in einem Brief an seine Eltern, kurz bevor die Invasion beginnt. Dieser Satz beschreibt treffend die Kernaussage des Films, der mich tief berührt hat. Gleichzeitig lässt sich diese Aussage ganz allgemein auf den Krieg übertragen.
OVERLORD startet mit Szenen, die Truppen bei ihrem Marsch durch eine Stadt zeigen. Parallel wird auf ein Flugzeug geschnitten, welches majestätisch durch die Luft gleitet. Diese Szene vermittelt einem beinahe ein Gefühl von Freiheit, wird durch den nächsten Schnitt aber hart gebrochen: Adolf Hitler schaut aus dem Fenster des Flugzeugs und guckt aus sicherer Entfernung auf sein „Werk“, wie ein Todesengel, der die durch ihn zu verantwortende Vernichtung und Zerstörung begutachtet. Diese beiden Szenen – das ruhig gleitende Flugzeug und Hitlers Ausschau – sind sicher aus ihrem Kontext gerissen worden, aber der Regisseur verbindet beide so geschickt zu einer funktionierenden Einheit, dass es einem vor den Kopf stößt. Dieses Szenario leitet den Film ein und gibt quasi seinem Weg vor, ich werde diese Bilder so schnell nicht vergessen, sie haben in mir ihre beunruhigende Wirkung gänzlich entfaltet, obwohl eigentlich „nichts“ passiert ist. Das ist grandios, Regie, Kamera und Schnitt haben hier ganze Arbeit geleistet.
Ab ca. 4 Minuten Laufzeit beginnt die eigentliche Handlung von OVERLORD. Tom wurde vom Militär eingezogen, er hat sich noch schnell das Buch „David Copperfield“ besorgt, damit er etwas zum lesen hat. Ob es einen tieferen Sinn gibt, warum der Buchtitel explizit im Film erwähnt wird, kann ich nicht beurteilen. Sein Vater drängt ihn ein wenig, er muss sich beeilen, damit er seinen Zug zum Camp nicht verpasst. Tom packt seine letzten Sachen, verabschiedet sich von seiner geliebten Cockerspaniel-Dame und seinen Eltern und macht sich auf den Weg. Seine Eltern sind sichtlich stolz auf ihn; bei Tom hat man den Eindruck, dass er sehr naiv an die Sache herangeht. Sein Vater wünscht ihm noch, dass er Zeit zum lesen des Buches findet, er hätte damals selbst nie Zeit zum lesen gehabt. Ob die Eltern wissen, wie dramatisch die Situation ist? Später erfährt man, dass Tom aufgrund eines Luftangriffs einen Tag später als seine Kameraden beim Camp eintrifft. Der Krieg ist also in vollem Gange, daher erscheinen mir die Eltern ein wenig zu gefasst in dieser Situation, sie verabschieden ihren Sohn in den Krieg, ohne auch nur eine Träne beim Abschied zu vergießen. Ganz im Gegenteil, man ist stolz auf Tom und verabschiedet sich mit einem Lächeln im Gesicht von ihm. Vielleicht wollen sie Tom aber auch nicht unnötig verstören, ihm keine Angst machen vor dem, was ihn erwarten wird.
Während seiner Zugfahrt Richtung Camp wird zwischen Bildern vom nachdenklichen Tom in seinem Abteil und Szenen von Luftangriffen auf Schiffe hin und her geschnitten. Dieses könnte man als Ankündigung dessen interpretieren, was ihn erwarten wird bzw. bereits in vollem Gang ist, es könnte auch aber die Visualisierung seiner Gedanken bzw. Träume sein, denn in einer kurz darauf folgenden Szene wird der schlafende Tom gezeigt.
Stuart Cooper hat diesen Film mit originalem Filmmaterial aus dem Imperial War Museum angereichert. Was er in den Archiven des Museums gefunden hat, ist nicht weniger als spektakulär. Diese Zeitzeugnisse streut er regelmäßig und wohl bedacht in sein Werk ein, um die Stimmung von OVERLORD zu intensivieren, was hervorregend gelingt. Um die 7-Minuten-Marke herum zeigt er zum Beispiel Aufnahmen brennender und einstürzender Gebäude, ein absolutes Inferno, und durch die Echtheit doppelt bedrückend. Zudem schreckt Stuart auch nicht davor zurück, den Zuschauer mit Bildern echter Kriegsopfer zu konfrontieren (nach ca. 27 Min.)
Als Tom umsteigen muss (bei knapp 8 Min.), verpasst er seinen Anschlusszug, ihm bleibt nichts weiter übrig, als zum Camp zu laufen, denn er ist (aufgrund des zuvor erwähnten Luftangriffs) eh schon sehr spät dran. Als er im Camp ankommt (bei ca. 10 Min.), wird ihm erstmal gezeigt, wer das Sagen hat und wo der Hammer hängt. Ab diesem Zeitpunkt erfährt sein noch junges Leben (im Laufe des Films erfahren wir, dass er gerade 21 Jahre alt geworden ist) einen radikalen Schnitt, nichts ist mehr, wie es war. So wird ihm gleich nach seiner Ankunft eingehämmert, dass er die Anrede „Sir“ zu verwenden hat (und vor allem bei wem, den gleich danach tritt er ins erste Fettnäpfchen), dass er erst einmal fragen muss, ob ihm der Zutritt gewährt wird, bevor er ein Zimmer betritt usw. Man sieht ihm deutlich an, dass ihm das nicht wirklich schmeckt, er wirkt sogar ziemlich verärgert über die Art und den Ton, der ihm hier entgegenschlägt. Man schickt ihn dann gleich zum Friseur, zum Arzt und er erhält seine Uniform und Grundausrüstung. Als er beim Arzt geimpft werden soll, wird er ohnmächtig – Spritzen verträgt er nicht. Warum Cooper diese Szene ein seinen Film eingebaut hat, erschließt sich mir nicht ganz. Ich vermute, er will zeigen bzw. betonen, dass Tom für den Krieg zu schwach ist bzw. sein wird, dass ihn der Krieg extrem überfordern wird.
Ab der 14. Minute nimmt der militärische Drill seinen Lauf, den jungen Männern wird gnadenlos bedingungslose Disziplin eingetrichtert (Stillstand, Marsch, Aufstellung etc.). Ferner müssen die Soldaten an Kampfsimulationen teilnehmen, die ihnen alles abfordern und sie physisch und psychisch an die Grenze ihrer Kräfte bringen.
Tom träumt während des Films immer wieder einen bestimmten Traum, der immer nur leicht variiert, aber immer gleich endet: man sieht schemenhaft einen Soldaten rennen, der plötzlich die Arme hochreißt und zu Boden geht, er wird offenbar erschossen. Und es ist klar, dass Tom hier immer wieder seinen eigenen Tod träumt (u.a. bei ca. 30 Min.).
Die Soldaten werden nach absolvierter Grundausbildung verfrachtet, um zusammen mit alliierten Streitkräften Kampfübungen zu machen. Der Weg zur Küste, an der die Übungen stattfinden, ist für die Soldaten alles andere als bequem: überfüllte Lastwagen und Züge erinnern an Massentierhaltungen und –Transporte, wie zusammengepferchtes Vieh werden sie zu ihrer Destination verfrachtet.
An der Küste angekommen, überrascht Cooper den Rezipienten erneut mit beeindruckendem Material: es werden z.B. Minenräumfahrzeuge gezeigt, die in ihrer Form äußerst bizarr und nicht von dieser Welt anmuten, wie beispielsweise die seltsamen Räder, die sich per Raketenantrieb vom Schiff aus übers Wasser zum Strand hin bewegen und dabei in gewisser Weise an Feuerwerkskörper erinnern. Teilweise hat man den Eindruck, dieses Kriegsgerät entstammt einem Science-Fiction-Film, so surreal wirkt es. Ich habe vergleichbare Maschinen jedenfalls noch nie gesehen.
Als die Soldaten mal Ausgang haben, geht er mit einem Kameraden in eine Bar. Dort trifft sein Blick auf eine junge Frau, die er dann auch (ein wenig unbeholfen, aber erfolgreich) anspricht und zum tanzen auffordert. Beim anschließenden nächtlichen Spaziergang kommt man sich näher, man unterhält sich, gesteht sich die gegenseitige Zuneigung ein und krönt den Abend mit einem sinnlichen Kuss, auf den eine weitere Verabredung in den kommenden Tagen folgt. Zu dieser Verabredung kommt es leider nicht, denn der Trupp wird erneut verfrachtet (ca. 44. Min.) und er kann sein Mädchen nicht mehr treffen, kann sie nicht mal informieren, wohin er muss und wann bzw. ob er wieder zurückkehren wird. Cooper hat hier eine Szene eingebaut, in der Tom alleine auf einem großen Feld steht, als plötzlich sein Mädchen vor ihm steht und ihn fragt, warum er nicht zur Verabredung gekommen ist und wann er wieder zurückkommen wird. In dieser Szene steht Tom stramm vor ihr, er schaut sie kaum an, während er ruhig und langsam (wie in Trance) ihre Fragen beantwortet, von der zuvor gezeigten Zuneigung ihr gegenüber fehlt jegliche Spur. Ich interpretiere diese Szene als Tagtraum, da sich Tom hier völlig irrational verhält. Bleibt nur die Frage, warum er sich in seinem Traum ihr gegenüber so distanziert verhalten sollte. Vielleicht will Cooper hier auch veranschaulichen, dass sich der Krieg zwischen die beiden stellt und die aufflammende junge Liebe bereits im Kein erstickt, der Krieg gibt ihnen einfach keine Chance.
Auf dem Weg zum neuen Ziel merkt man den Soldaten die Verzweiflung deutlich an, hier hat keiner Lust auf den Kampf, ganz im Gegenteil, alle verfluchen den Krieg und die Ungewissheit, mit der sie ständig konfrontiert werden. Diese Szene wird mit einem Lied untermalt, dessen Titel passender kaum sein könnte: „We don’t know where we’re going“, der Titel bringt die Stimmung innerhalb des Trupps schnörkellos auf den Punkt. Keiner weiß, wohin die Reise geht und was ihn dort erwarten wird. Als man am Ziel angekommen ist (ca. 48. Min.), wird den Soldaten gesagt, dass sie hier keinen Dienst absolvieren müssen und man gibt ihnen den Rat, das auch soweit es geht auszunutzen. Allerdings sind die Soldaten auch hier eingeschränkt, aufgrund einer den Umständen entsprechenden Geheimhaltungsstufe sind u.a. Zeitungen und Radio verboten, ebenso der Briefverkehr mit den Liebsten. Kurz darauf bekommen die Soldaten ihren Sold ausgezahlt und arrangieren sich mit der Situation. Man isst und trinkt zusammen, verzockt den Sold beim Kartenspiel und spielt verschiedene Spiele, die das Vertrauen in die Kameraden und den Teamgeist fördern. Innerhalb des Trupps zeigt sich hier zum ersten Mal eine gewisse Entspannung und Ruhe, die lockere Atmosphäre innerhalb dieses Szenarios erinnert stark an die Romantik eines Pfadfinderzeltlagers, zeigt aber deutlich die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Und nicht alle Soldaten können sich „frei machen“ und die drillfreie Zeit genießen, im Gegenteil, manch einer wirkt schon depressiv und sieht sich lediglich als Kanonenfutter.
Kurz danach erfahren wir, dass Tom vor wenigen Tagen Geburtstag hatte und 21 Jahre alt geworden ist. Er bekommt von seinen Eltern einen Geburtstagsbrief und ein paar kleine Geschenke zugeschickt, u.a. einen Füllfederhalter, der er auch umgehend mit einem Antwortbrief an seine Eltern einweiht. Aus dem Off erfahren wir, was Tom seinen Eltern schreibt, er versichert ihnen, dass es ihm gut geht, dass er gut versorgt wird und trotz hartem Bett sehr gut schläft. Er schreibt außerdem, dass er die Orientierung verloren hat, dass er nicht weiß, wo er ist und wo er herkam, da sie ständig verfrachtet wurden. Er lässt sie auch wissen, dass viele Erinnerungen aus Zeiten vor dem Krieg immer mehr verblassen. Zudem teilt er ihnen auch mit, dass er das Gefühl hat, Teil eines mächtigen und stetig wachsenden Apparates zu sein, während er selbst immer kleiner wird, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Er ist sich sicher, dass er das Ende des Krieges nicht mehr erleben wird, davon ist er fest überzeugt, er fühlt es förmlich und mit seinen Zeilen will er seine Eltern in gewisser Art auf seinen bevorstehenden Tod „einstimmen“, da er vermeiden will, dass sie im Fall der Fälle lediglich ein nüchternes amtliches Schreiben der Armee erhalten.
Ab ca. 57 Min. Laufzeit wird wieder originales Archivmaterial eingefügt, diesmal sind es Luftkämpfe, die uns Cooper zeigt. Flugzeuge werden von anderen Flugzeugen abgeschossen und explodieren in der Luft oder stürzen ab. So detailliert habe ich das noch nie gesehen. Vor allem die Szene, in der ein Pilot gerade noch den Schleudersitz aktivieren kann, geht tief unter die Haut: als er mit seinem Fallschirm durch die Luft gleitet, nimmt das Flugzeug, aus dem diese Aufnahmen gedreht wurden, direkten Kurs auf ihn. Die letzten Sekunden bleiben dem Zuschauer erspart, aber wie es für den Piloten ausgeht, dürfte jedem klar sein.
Ab der 62. Min. werden wir Zeuge diverser Luftangriffe, die ihre verstörende Wirkung abermals nicht verfehlen. Aus der Perspektive des abwerfenden Flugzeugs verfolgt man den Bombenhagel, dessen verheerende Auswirkung uns nicht erspart bleibt. Besonders beeindruckend sind dabei die Druckwellen, die sich kreisförmig von der Einschlagstelle ausbreiten. Weiterhin werden wir Zeuge von weiteren Luftangriffen auf Schiffe, Züge, Autos und Menschen. Da es sich bei diesen Filmaufnahmen immer um Archivbestände handelt, wird die von ihnen ausgehende Wirkung vervielfacht und sich in unterschiedlichen Reaktionen des Zuschauers spiegelt: die Skala reicht hier vom puren Grauen über eine Mischung aus Faszination und Entsetzen bis hin zu Szenen, die einen gewaltig ins Staunen bringen.
Nach etwa 65 Minuten beginnt die Invasion. Während Tom und seine Kameraden im Schiff Richtung Küste unterwegs sind, nehmen wir erneut an einem Tagtraum von Tom teil: die Soldaten stehen um ein großes Lagerfeuer, sie müssen alle persönlichen Sachen verbrennen, nur ihr Soldbuch und eine Bibel dürfen sie fortan mit sich führen. Hier kam mir Toms Brief an seine Eltern wieder in den Sinn, „...immer kleiner, bis nichts mehr von einem übrig ist...“, die Soldaten werden ihrer Identität beraubt, sie sind nur noch Spielfiguren auf dem Schlachtfeld und persönliche Sachen sind da fehl am Platz, nichts soll sie vom Kampf ablenken, es zählt einzig und allein der Krieg. Angst macht sich langsam unter den Soldaten breit, Tom erinnert sich derweil an eine weitere Begebenheit, als er mit einem seiner Kameraden eher zufällig (aus Schutz vor dem Regen) in ein Theater geht und dort einem kleinen Mädchen singend auf der Bühne sieht. Die Mutter des Kindes steht vor der Bühne und fordert ihre Tochter auf, das Lied erneut zu singen, aber das Mädchen will nicht so recht. Letztendlich singt sie doch noch einmal das Lied und wird dabei von ihrer Mutter tatkräftig unterstützt. Dem Mädchen ist es offenbar unangenehm, vor den Soldaten (es befinden sich keine weiteren Personen in diesem Theater) zu singen und als sie dann doch das Lied erneut anstimmt, singt sie sehr leise und schüchtern. Tom und sein Kamerad gehen wieder trotz Aufforderung der Mutter, doch bitte noch zu bleiben. Diese Szene hat auch einen ausgeprägten surrealen Touch, man könnte denken, sie komme von David Lynch persönlich. Ich musste währenddessen an die Gesangsszene mit der Frau aus der Heizung aus Lynchs ERASERHEAD denken. Warum, weiß ich selbst nicht genau, wahrscheinlich aufgrund eines ähnlich surrealen Anstrichs des Szenarios. Ob die Soldaten das Theater während des Liedes verlassen, um dem kleinen Mädchen die Scham zu ersparen oder ob es evtl. am gesungenen Text bzw. am Gesang selbst liegt, der den Soldaten nicht gefällt, kann ich (noch) nicht beantworten.
Kurz danach erinnert sich Tom an sein Mädchen Janey, was auch surreal visualisiert wird. Janey ist wie eine Krankenschwester gekleidet (aus dem beiliegenden Booklet erfährt man, dass sie eine Krankenschwester ist) und fragt Tom, ob sie ihm zeigen soll, wie die Gefallenen hergerichtet werden. Sie zieht ihn langsam aus, er legt sich auf den Boden, sie kniet hinter seinem Kopf, beugt sich über ihn und küsst ihn auf den Mund, bevor sie sich ebenfalls entkleidet. Tom erwacht aus seinem Tagtraum, die Kamera zoomt direkt auf seine Pupille, in der sein eigener Todestraum zu sehen ist. Im nächsten Augenblick steht er im auf die Küste zusteuernden Schiff kurz auf und wird von einem Schuss in den Kopf getroffen. Er ist sofort tot, im Gegensatz zu seinem Todestraum hat er es nicht mal bis an den Strand geschafft. Er stirbt, bevor sein Einsatz begonnen hat. In den letzten Augenblicken des Films wechseln sich Szenen ab, die den Ab- und Rücktransport von Toms Leichnam zeigen und Soldaten, die von den Schiffen aus durchs Wasser Richtung Strand waten. Viele von ihnen wird das gleiche Schicksal heimsuchen, sie gehen in den sicheren Tod.
Dieser Film ist mit einer Länge von 79 Minuten nicht gerade lang, aber diese 79 Minuten sind mehr als genug, um die elementare Aussage des Films zu transportieren: im Krieg gibt es keine Gewinner, hier gibt es nur Verlierer. „Waste of flesh“ fällt mir dabei ein, anders kann ich es nicht auf den Punkt bringen. Dieser Film lässt sich eindeutig dem Genre der (Anti-) Kriegsfilme zuordnen, ist aber ganz anders als alle Kriegsfilme, die ich bisher gesehen habe. Hier wird nichts glorifiziert, hier gibt es keine Helden, die wild um sich ballern, hier setzt man nicht auf teures und aufwändiges Effektgewitter, um die Sensationslust des geneigten Zuschauers zu stillen. Cooper wählt den klügeren Weg und lässt den Krieg für sich selbst sprechen, indem er spektakuläres Filmmaterial aus dem Kriegsmuseum in seinen Film einbaut, was (wie bereits erwähnt) deren verstörende Wirkung nur noch intensiviert und somit einen Effekt beim Zuschauer erreicht, den kein 500-Millionen-Dollar-Hollywood-Spektakel erreichen kann, nicht mal ansatzweise.
Aus dem sehr informativen und liebevoll gestalteten Booklet erfährt man viele Details zur Produktion von OVERLORD. Dieses Booklet sollte man sich auf jeden Fall durchlesen, ist doch selbst die Entstehung des Films inkl. aller Umstände höchst interessant. Ein wichtiges Ziel Coopers war es, das aus dem Archiv entnommene Material mit dem fiktiven Filmmaterial so zu vermengen, dass ein Unterschied zwischen originalem und fiktivem Material nicht mehr auszumachen ist. Das ist ihm zwar nicht immer gelungen, aber es gibt viele Szenenfolgen in OVERLORD, bei denen der Unterschied kaum mehr auszumachen ist. Sicher enttarnen sich viele Szenen gerade durch ihre Echtheit, denn was man dort zu sehen kriegt, kann keinem Drehbuch entsprungen bzw. für den Film gedreht worden sein. Insgesamt schafft es Cooper aber, Echtes und Fiktives zu einer Einheit zu verschmelzen, was in meinen Augen eine bemerkenswerte Leistung ist. Erreicht wurde dieser Effekt u.a. dadurch, dass man sich Filmkameras aus der Zeit des Krieges besorgt hat, um einen möglichst realistischen Look zu erhalten, der sich stark an den Look des Archivmaterials anlehnt. Regie, Kamera und Schnitt haben hier ein Werk geschaffen, was in seiner Art und Stimmung/Wirkung einzigartig sein dürfte.
Ich hoffe, dass dieser Film möglichst viele Menschen erreicht und evtl. sogar ein wenig zum nachdenken anregt, zumal bei diesem Titel nicht nur der Film selbst ein Highlight ist: Bildstörung setzt seine vorbildliche Linie fort und präsentiert den Film in einer wunderbaren Aufmachung, die ihr Geld mehr als wert ist. Dazu gehört, wie man es von Bildstörung gewohnt ist, ein Schuber ohne FSK-Flatschen und ein informatives Booklet. Auch beim Bonusmaterial gilt wieder die Maxime „Qualität vor Quantität“, was aber nicht heißt, dass es hier nur wenige Extras gibt. Im Gegenteil, hier erwartet einen das volle Programm:
- Audiokommentar von Regisseur Stuart Cooper
- Interviews mit Darsteller Nicholas Ball, Kameramann Doug O’Neons und Filmarchivist Roger Smither
- „A Test of Violence“ – Kurzfilm von Regisseur Stuart Cooper von 1970
- „Cameramen at War“ – Newsreel-Film von 1943
- „Germany Calling“ – parodistischer Propagandafilm von 1941 mit Szenen aus Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“
- 36-seitiges Booklet mit Texten von Stuart Cooper, Roger Smither, Thomas Groh und Auszügen aus dem Roman zu OVERLORD
Der Ton liegt in Deutsch und Englisch DD2.0 Mono vor, eine deutsche Untertitelspur ist für O-Ton-Gucker ebenfalls enthalten. Ich habe mir den Film mit der deutschen Synchronisation angeschaut, die meiner Meinung nach sehr gut gelungen ist. Auf das Bonusmaterial werde ich mich in den kommenden Tagen stürzen.
FAZIT:
Der Kriegsfilm gehört nicht unbedingt zu meinen favorisierten Filmgenres, aber mich lässt der Eindruck nicht los, mit OVERLORD den besten und wichtigsten Vertreter seiner Art gesehen zu haben.