Gerade weil der Western schon lange kein Massenpublikum mehr anzieht, sind hier immer wieder interessante Kleinode zu entdecken. Befreit vom Druck großer Budgets und der damit einhergehenden Notwendigkeit Superstars zu besetzen, können Filmemacher hier inzwischen ihre ganz persönlichen Visionen umsetzen. Für Genre-Fans ist das ein Glücksfall, da hier die Grenzen und Möglichkeiten der Gattung immer differenzierter ausgelotet werden. „Sweetwater" ist dafür ein gutes Beispiel.
Die Zwillingsbrüder Noah und Logan Miller hatten schon mit ihrem Regie-Debut - dem autobiographischen Baseball-Drama „Touching Home" (2008) - bewiesen, dass sie mit sehr wenig Geld ein enormes Maß an Kompetenz sowohl vor, wie auch hinter der Kamera mobilisieren können. Mit „Sweetwater" legen sie sogar noch ein Schippe drauf. Der für lediglich 7 Millionen Dollar produzierte Western sieht nicht nur drei mal so teuer aus, er hat auch mit Ed Harris, Jason Isaacs, Steven Root und January Jones einen beindruckenden Cast an profilierten Charakterdarstellern zu bieten. Und die dürfen sich ordentlich austoben.
Zwar darf Jason Isaacs mal wieder den auch schon Blockbuster-erprobten („Harry Potter", „Der Patriot"), perfiden Schurken geben, der bigotte, fundamental-christliche Eiferer Josiah ist dennoch ein Highlight in seiner ansehnlichen Bad Guy-Palette. Die Bandbreite des selbst ernannten Propheten reicht von brutalem Sadismus, über scheinheiligen Selbstbetrug bis hin zu militantem Sendungsbewusstsein und ausgeprägten Rattenfänger-Qualitäten. Mit dieser unschlagbaren Mischung hat er Ende des 19. Jahrhunderts in einem kleinen Nest in New Mexico eine staatliche Zahl naiver Einheimischer „bekehrt". Wer sich dieser selige Gemeinde nicht anschließen will, oder es wagt dem Auserwählten in irgendeiner Form zu widersprechen, dem droht die Höchststrafe. In Josiahs pervertiertem Weltbild ist das natürlich der Tod.
Die ehemalige Prostituierte Sarah Ramirez (January Jones) und ihr Mann Miguel müssen dies leidvoll erfahren. Da der überzeugte Bigamist Josiah sowohl ein Auge auf Sarah wie auch auf das kleine Stück Land der Ramirez geworfen hat, sind Miguels Tage schnell gezählt. Womit der Prophet allerdings nicht gerechnet hat, ist die Entschlossenheit und Kaltblütigkeit der rachelüsternen Witwe. Mit Colt und Winchester setzt sie einen der bekanntesten alttestamentarischen Sprüche in die Tat um: Auge um Auge.
Wer jetzt auf einen „Kill Bill"-Western einstellt, der dürfte enttäuscht sein. Zwar unterläuft ein weiblicher Racheengel klar traditionelle Western-Muster, dennoch wirkt die ganze Mission im Vergleich zu Tarantinos greller Action-Vision geradezu geerdet und realistisch. Weder gibt es irgendwelche visuellen Mätzchen, noch comichaft auf die Spitze getriebene Gewaltexzesse. Ohnehin findet der Showdown (klassischerweise) erst im finalen Akt statt, bis zu dem eine eher ruhige und gemächlichere Gangart angeschlagen wird. Schon in dem TV-Serienhighlight „Mad Men" überzeugte January Jones als kühle, vermeintlich schwache Haus- und Ehefrau, die Emotionen und Fähigkeiten geschickt vor ihrer Umwelt zu verbergen vermag. Die Rolle der Sarah ist da ganz ähnlich angelegt.
Während also Isaacs für das abstoßend Diabolische und Jones für das empathisch Menschliche zuständig ist, darf Ed Harris nach Herzenslust dem schwarzen Humor frönen.
Als langhaariger und kauziger Sheriff Jackson ist er der heimliche Protagonist. Auf der Suche nach zwei verschollenen Reisenden kommt er dem Richter und Henker Josiah sehr schnell auf die Spur und macht sich einen Heidenspaß daraus, den längst Durchschauten mit gezielten Sticheleien und Unverschämtheiten bis aufs Blut zu reizen. Durch seine teilweise makabren Scherze zwingt er Josiah die Maske der Scheinheilig- und Rechtschaffenheit ein für alle Mal fallen zu lassen und arbeitet damit ungewollt auch der vigilanten Sarah zu.
Neben diesen facettenreichen Figuren und deren spannendem Aufeinanderprallen ist es v.a. auch der formidablen Kameraarbeit geschuldet, das „Sweetwater" durchaus zum Geheimtipp für Western-Freunde taugt. Der an zahlreichen Blockbustern (u.a „Star Wars - Episode II", „The Avengers", „Pitch Black") beteiligte Brad Shield präsentiert die vor Ort in New Mexico gedrehten Locations in einem stimmungsvoll-rauen Look mit viel Gespür für natürliches Licht und die bizarren Schönheiten der Natur. Die ein oder andere erzählerische Länge wird so weniger offensichtlich, da es buchstäblich immer etwas zu sehen gibt.
Fazit:
„Sweetwater" ist eine gelungene Symbiose aus Western und Thriller mit ein paar schwarzhumorigen Tupfern. Das exzellente Darstellertrio Ed Harris, Jason Isaacs und January Jones sowie die superbe Kameraarbeit Brad Shields heben die atmosphärisch dichte Rachegeschichte locker über den Genre-Durchschnitt. Das für Skript und Regie verantwortliche Brüderpaar Noah und Logan Miller zeigt erneut, dass man mit geringem Budget eine Menge erreichen kann. Auf ihre zukünftigen Projekte darf man also durchaus gespannt sein, im Gegensatz zum Western sind die beiden ja noch jung.