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„Sucht und Ordnung"

Jon liebt Pornos. Er ist geradezu süchtig nach den unzähligen schmutzigen Clips, die das World Wide Web tagtäglich für ihn bereithält. Längst ist diese Sucht zu einem lieb gewonnenen Ritual mutiert, ein Ritual dem Jon mindestens ein Mal pro Tag akribisch nachgeht. Überhaupt liebt Jon Rituale mindestens genauso innig wie seine Pornos. Denn Jon ist nicht nur ein hoffnungslos Abhängiger, er ist auch ein gnadenloser Spießer. So läuft Jons Woche stets nach exakt demselben Rhythmus ab, für jedes seiner Hobbys und für jede seiner Gewohnheiten gibt es einen festen Platz und einen bestimmten Zeitpunkt.

Jeden Sonntag geht er mitsamt Eltern und Schwester in die Kirche, grundsätzlich gefolgt von einer fröhlichen Litanei seiner Porno-Sünden im Beichtstuhl sowie einem Pasta-Gericht am elterlichen Mittagstisch. An seinen freien Abenden geht er mit schöner Regelmäßigkeit auf Brautschau in den angesagtesten Clubs. Dort liefert er sich mit seinen beiden Kumpels einen sportlichen Wettstreit, wer die schärfste Mieze abschleppt und - wenn möglich - noch am selben Abend flachlegt.
Wie beim Pornokunsum ist Jon auch in dieser Disziplin unschlagbar (was ihm von seinen Kumpels den Ehrenamen „Don Jon" einbringt). Schließlich ist er sehr auf sein Äußeres bedacht und geht grundsätzlich nur geschniegelt und gestriegelt auf die Pirsch. Außerdem stählt er seinen Astralkörper mehrmals pro Woche in einem Fitnessstudio. Denn Jon ist nicht nur ein Bilderbuch-Spießer, sondern auch bis zum gegelten Scheitel narzisstisch.
Sein Sauberkeitsfimmel ist da nur noch die logische Konsequenz. In seinem funktionalen Single-Heim achtet er penibel auf Sauberkeit und Ordnung. Regelmäßiges Staubsaugen und Aufräumen sind eherne Eckpfeiler seiner strengen Haushaltsroutine. Unnötig zu erwähnen, dass er auch in seinem blank geputzten Auto keinerlei Verständnis für Dreck- bzw. Staubpartikel jedweder Art aufbringt.

Dieses bis ins kleinste Detail geordnete und durchgeplante Spießerleben wird ausgerechnet durch eine Frau auf eine harte Probe gestellt. Schließlich dient Jon das weibliche Geschlecht lediglich zur Bestätigung der eigenen Großartigkeit. Aber mit der blonden Klischee-Sexbombe Barbara (Scarlett Johansson)  - lange Haare, kurvige Formen, enge Kleider und rauchige Stimme - gerät Jons heile Ego-Welt in beängstigende Unordnung. Nicht nur, dass er sie erst ungewohnt mühsam erobern muss, nach erfolgreicher Balz darf er immer noch nicht ran und muss sich dieses Privileg erst durch öde Liebesfilme und Vorstellungsrunden bei Eltern und Freunden verdienen ...

Mit seinem Regiedebut „Don Jon" hat Joseph Gordon-Levitt einen fluffigen Kommentar zum Tabuthema Pornosucht abgegeben, ohne dabei den schwierigen Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Satire zu überdehnen. So ist beispielsweise die detaillierte und wiederholte Schilderung von Jons durchstrukturiertem Pornoritual - Hochfahren des Laptops, Suchen der Lieblingspornoseite, im Papierkorb landende Taschentücher - absolut komisch, bekommt aber durch die Off-Kommentare Jons - bei denen er die Schwierigkeiten beim Finden eines passenden Pornos und die damit verbundene Verbissenheit mitsamt enormen Zeitaufwand beschreibt - einen ernsteren, weil den Suchtcharakter entlarvenden Beigeschmack.

Auch Titelheld Jon ist nur oberflächlich betrachtet ein sympathischer Gewinner. In Wirklichkeit ist er ein narzisstischer Egomane, der nur an Äußerlichkeiten interessiert ist und echte Gefühle bestenfalls vortäuscht. Auch seine humorvoll präsentierte, selbst erschaffene Spießerwelt ist deutlich mehr Armutszeugnis denn Vorbild. Dass sich dann auch noch die vermeintliche Traumfrau Barabara als Spießer-Äquivalent unter umgekehrten Vorzeichen entpuppt, unterstreicht die Doppelbödigkeit der nur oberflächlich leichten Komödie.
Denn Jons Angebetete ist mindestens genauso egoistisch und dem eigenen Regel-Korsett unterworfen wie er. Sie lebt in einer irrealen RomCom-Traumwelt, die ebenfalls von starren Ritualen und Mechanismen bestimmt ist. Die Verteufelung von Pornos ist da noch das geringste Problem. Viel schwerer wiegt die Forderung, dass Mann und Frau unbedingt ihren festgefügten Rollenklischees entsprechen müssen. Mit anderen Worten: In Barbaras Welt darf Jon weder masturbieren, noch putzen oder kochen.

Die Erlösung - zumindest für Jon - kommt schließlich mit der reifen, lebenserfahrenen Esther (Julianne Moore). Durch sie lernt er den Wert von Nähe, Intimität, aber auch Unkonformität kennen und schätzen. Das ist dann nicht nur etwas plakativ und simplifizierend erzählt, sondern will ob seiner plötzlichen Ernsthaftigkeit und moralisierenden Attitüde auch nicht so recht zum ironischen Rest des Films passen. Gordon-Levitt verliert hier etwas den erzählerischen Faden, indem er zuvor bissig torpedierte Werte und Klischees wieder auf den Schild hebt.

Fazit:
„Don Jon" ist eine Sexkomödie der anderen Art. Weder setzt Autor und Regisseur Gordon-Levitt auf derbe Geschmacklosigkeiten, noch nervt er mit übertrieben erhobenem Zeigefinger, oder gar überbordendem Drama. Vielleicht gerade weil sein Beitrag zur Pornosucht vermutlich autobiographische Züge trägt, wirkt er lange Zeit (trotz seines ironischen Untertons) so ungekünstelt und authentisch.
Erst gegen Ende kommt der Film etwas aus dem Tritt und driftet zu sehr in konventionelle Gefilde ab. Dennoch ein interessantes Regiedebut, das ganz nebenbei die unbedingte Vereinbarkeit der vermeintlichen Gegensätze Sucht und Ordnung belegt. Vielleicht hat Gordon-Levitt ja noch ein paar weitere Laster, die er filmisch aufarbeiten möchte. Man darf gespannt sein.

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