Review

Die Geschichte beginnt auf einem Rummelplatz, auf dem ein Schausteller verhaftet wird, was zum sofortigen Aus für seinen kleinen Betrieb führt. Unsere Hauptfigur Franz Bieberkopf treffen wir hier zum ersten Mal, als er den Verhafteten mit einem Kuss verabschiedet. Wenn es jemanden gibt, der auf der gesellschaftlichen Leiter noch unter dem Schausteller steht, kann es eigentlich nur der arbeitslose Schausteller sein. Daher ist dem Zuschauer auch schnell klar, wen er hier vor sich hat: ein Kind aus einfachen Verhältnissen, einen Proletarier. Mit einer Überzeugung, die irgendwo zwischen kindlicher Naivität und Verzweiflung liegt, glaubt er jedoch daran, sein Schicksal ändern zu können, mit einem Lottogewinn.

Doch da in dieser Welt eben nichts umsonst ist, muss auch der Lottoschein mit harter Währung bezahlt werden, ein Unterfangen, das sich gerade für Franz als problematisch herausstellen soll. Auf einer öffentlichen Toilette lässt er sich daher von Max, einem besser gestellten Antiquitätenhändler, aufgabeln, der ihn nicht nur zur Annahmestelle fährt, sondern auch mit seinem bürgerlichen Charme dafür sorgt, dass die Dame dort sich überreden lässt und den Schein noch annimmt, obwohl sie eigentlich schon Feierabend hat. Wenn Franz dann also tatsächlich eine halbe Million Mark gewinnt, verbessert sich zwar seine finanzielle Situation enorm, aber eben auch nur durch tatkräftige Unterstützung aus einer höheren Schicht.

„Und weil der Prolet ein Prolet ist, drum kann ihn auch kein Anderer berfrein; es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter sein,“ hieß es einst in einem Arbeiterlied und auch Fassbinders Film widerspricht diesem Gedanken nur auf den ersten Blick, denn auch hier ist wahrlich nicht alles Gold, was glänzt. Vom großen Gewinn bekommt der Zuschauer nichts mit, er erfährt davon, wenn der Film direkt von der Abgabe des Scheins zu einer kleinen Party springt, die Max in seinem luxuriösen Anwesen veranstaltet. Der Gewinn wird auch erst dann erwähnt, als Max sich vor seinen Freunden dafür rechtfertigt, sich mit Abschaum wie Franz abzugeben. Daran erkennt man den zentralen Punkt des gesamten Films: Franz hat jetzt zwar Geld, in den Augen der Anderen bleibt er aber trotzdem, was er ist. Sein Geld sorgt dafür, dass er toleriert wird, Akzeptanz kann er sich bei ihnen nicht erkaufen.

Auf eben dieser Party lernt er dann auch Eugen kennen, der ihm zwar zu Begin nicht unbedingt wohlgesonnen ist, aber am selben Abend doch noch mit ihm im Bett landet. Was nun folgt, ist eine Beziehung, die Franz mehr und mehr in den Ruin treiben soll, sowohl finanziell als auch seelisch. Es ist wohl die Dynamik dieser desaströsen Beziehung, die die wahre Klasse des Films ausmacht. Denn Eugen wirkt wie das Böse in Person, das keine Gelegenheit ungenützt lässt, Franz um sein Geld zu bringen und ihn nach Strich und Faden zu demütigen. Der Klassenunterschied macht sich stets bemerkbar und Eugen scheint jede Chance, Franz zu belehren, dankend aufzugreifen. Doch von Zeit zu Zeit mischen sich auch andere Töne in die Beziehung. Nachdem Franz eine größere Summe in die Firma von Eugens Vater investiert hat, beginnt er, dort zu arbeiten. Dabei lässt sich beobachten, wie Eugen immer wieder Partei für seinen Partner ergreift und sich damit gegen seinen Vater stellt.

Zumindest auf den ersten Blick ist es also nicht vollständig geklärt, ob Eugen nun von Anfang an aus reiner Berechnung gehandelt, die Gelegenheit beim Schopf gepackt oder es wirklich versucht hat, die Beziehung zum Funktionieren zu bringen. Denn auch wenn die Indizien eindeutig scheinen und Eugen tatsächlich den Eindruck macht, hier nichts als der berechnende Schuft zu sein, der Franz um sein Geld bringt, so schwingt doch die Möglichkeit leise im Hintergrund mit, dass auch er nur ein Mensch ist, der nicht aus seiner Haut kann, der genauso in seiner Herkunft und seiner Klasse gefangen ist wie sein tragischer Liebhaber. Letzten Endes muss wohl der Zuschauer für sich selbst die Antwort darauf finden, ob er hier die Geschichte des Proletariers gesehen hat, der vom Bürgertum aufs Schändlichste ausgebeutet wurde, oder ob es nicht doch die Geschichte zweier Königskinder war, die sich zwar hätten lieben können, die ihre Differenzen aber nicht aus der Welt schaffen konnten, da ihre Herkunft ihnen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen ist.

In genau diesen kleinen Nuancen und feinen Graustufen zeigt sich dann auch, wie wertvoll es sein kann, eine Geschichte unter Liebenden gleichen Geschlechts spielen zu lassen, auch und gerade wenn ihre Homosexualität nie explizit thematisiert wird. Denn was Fassbinder hier geschaffen hat, ist wahrlich kein Film, der ausschließlich schwule Themen behandelt. Die Geschichte selbst könnte im Grunde auch von einem Mann und einer Frau handeln, würde aber dadurch eine andere Dynamik bekommen. So traurig es sein mag, sind wir eben doch noch weit entfernt von einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer sich wirklich auf Augenhöhe begegnen können. Dass dies in Faustrecht der Freiheit eben gerade auch nicht passiert, wird dadurch umso deutlicher, dass es theoretisch möglich wäre. Der ungeschönte Blick auf das Verhältnis zwischen zwei Schichten wirkt dadurch so präzise, dass er nicht zusätzlich von einem Blick auf Geschlechterrollen überlagert wird. Und dass genau dieser Unterschied der zentrale Punkt des Films ist, darüber kann eigentlich kaum ein Zweifel bestehen. Die Interpretation setzt erst dann ein, wenn ein Schuldiger gesucht wird. Unterdrückt das Bürgertum das Proletariat nun aus böser Absicht oder ist es selbst zu sehr in den Verhältnissen gefangen, um wirklich eine Wahl zu haben? Die Antwort auf diese Frage wird letztlich der Zuschauer selbst finden müssen.

Details
Ähnliche Filme