Eine himmlische Familie in Amityville
„Wollen wir Verstecken spielen?“
Seit einiger Zeit scheint es wieder einen kleinen Trend in Richtung mehr oder weniger klassischen Geistergrusels im Horrorbereich zu geben. „Saw“-Regisseur James Wan kam über seinen bereits in diese Richtung tendierenden „Dead Silence“ schließlich beim sehr mittelprächtigen und damit enttäuschenden „Insidious“ 2010 im Haunted-House-Subgenre an. 2013 folgte dann mit „Conjuring – Die Heimsuchung“ sein nächster Film, der im Prinzip auch „Insidious 2“ betitelt werden hätte können.
Ed (Patrick Wilson, „Insidious“) und Lorraine Warren (Vera Farmiga, „Orphan - Das Waisenkind“), Geisterjäger und Parapsychologen, werden zum Haus der Familie Perron in Rhode Island gerufen, das Roger (Ron Livingston, „Game Change - Der Sarah-Palin-Effekt“) und Carolyn (Lili Taylor, „High Fidelity“) mit ihren fünf Töchtern jüngst bezogen haben. Diese fühlen sich nämlich zunehmend machtlos übersinnlichen, unheimlichen Phänomenen ausgesetzt, zudem verändert sich Carolyn immer mehr. Die Untersuchungen ergeben, dass es im Haus hochgradig spukt und ein Dämon Besitz von Carolyn ergriffen hat.
Mit einem in den 1960ern angesiedelten Prolog stellt Wan die Warrens vor, die sich zu Lebzeiten tatsächlich als Geisterjäger verdingten und zahlreiche Publikationen über ihre Erfahrungen veröffentlichten, u.a. die im berüchtigten Amityville-Haus. So behauptet auch „Conjuring – Die Heimsuchung“ nach einer wahren Geschichte entstanden zu sein, welche wiederum zu Beginn der 1970er spielt. Die Warrens sind dabei keine komödiantischen Clowns wie ihre Entsprechungen in „Insidious“, sondern werden als seriöses, dabei widerlich frommes Ehepaar gezeichnet, das in seiner von Wan nie angezweifelten oder differenziert betrachteten Gottgläubigkeit den Perrons zu helfen versucht. Eine kritische Distanz gibt es dabei nicht und sämtliche Charaktere bleiben erschreckend eindimensional. Das bizarrerweise satte fünf Töchter und keinen einzigen Sohn hervorgebracht habende Ehepaar Perron bildet da keine Ausnahme und bleibt eine Bilderbuchfamilie, bis aus Carolyn schließlich der Dämon hervorbricht. Ron Livingston macht als unbedarftes, machtloses Familienoberhaupt einen ärmlichen Eindruck und sowohl die Rolle seiner Frau, als auch das Schauspiel Lili Taylors stehlen ihm jede Schau. Das Verhalten der Familienmitglieder angesichts der zutiefst gruseligen und hochgradig beunruhigenden Ereignisse ist dabei indes in keiner Weise nachvollziehbar. Könnte man mit etwas Wohlwollen den Alten noch eine gewisse Abgebrühtheit und ein Verharren in psychologischen „Was nicht sein darf, kann auch nicht sein“-Stadien zugestehen, wird es in Bezug auf die Kinder vollends absurd, die trotz allem Nacht für Nacht wieder brav ihre Bettchen aufsuchen und den Spuk über sich ergehen lassen. Wer soll Wan bzw. seinen Drehbuchautoren so etwas abnehmen?
Technisch allerdings schlägt Wans große Stunde, daran besteht kaum ein Zweifel: Sorgfältige und perspektivisch geschickte Kamerafahrten der guten alten Schule fangen die übernatürlichen Phänomene ein, die mal sehr subtil und im Verborgenen stattfinden, mal aber auch in handfesten Manifestationen kulminieren, die grafisch äußerst ansprechend umgesetzt wurden und manch durch Mark und Bein gehenden Schreckmoment provozieren, der von Spannungsdramaturgie perfekt aufgebaut und vom Schnitt schließlich auf das Publikum derart losgelassen wird, dass es im Kino- oder Fernsehsessel zusammenzuckt und es ihm wahlweise eiskalt die Wirbelsäule oder warm das Bein hinunterläuft. „Conjuring – Die Heimsuchung“ versetzt eine ganze Reihe wohldosierter Schocks, die niemanden kaltlassen. Dem gegenüber stehen jedoch trotz betonterer Ernsthaftigkeit gegenüber dem Vorgänger und größerer Kohärenz Stimmung und Tonlage des Films betreffend wieder (zugegeben wenige) alberne Einsprengsel, wie man sie seit langer Zeit aus dem US-amerikanischen Mainstream-Kino gewohnt ist und vermeintlich das Geschehen auflockern, vor allem aber jegliche Atmosphäre versauen und mühsam erarbeitete Glaubwürdigkeit torpedieren. Noch schwerer wiegt jedoch die unfassbare Schwülstigkeit, mit der Wan seine Vorzeigefamilie und sein treusorgendes Parapsychologen-Paar inszeniert. Zudem kann schwer geleugnet werden, wie offensichtlich man sich bei zahlreichen Subgenre-Vorbildern à la „Poltergeist“, „Amityville Horror“ bis hin zu „Der Exorzist“ oder, um ein anderes Extrem zu nennen, „Paranormal Activity“ bediente und eine Vielzahl mehr oder weniger bekannter Spukattacken zusammenwarf zu einem wahren Spuk-Overkill, der „Conjuring – Die Heimsuchung“ gerade auch in Zusammenhang mit seiner nach und nach erforschten Hintergrundgeschichte geworden ist und dabei auch riskiert, dass der Zuschauer kaum noch Zeit hat, über die Zusammenhänge nachzudenken, weil bereits die nächste Grusel-Attacke lauert. Dass der Überblick über die Ursprünge des Spuks, über die Ereignisse aus der Vergangenheit, dabei leicht verloren geht, wird billigend in Kauf genommen.
Andererseits sehnt man sich exakt diese Überfrachtung stets wieder herbei, wenn der hier wie eine Mischung aus Martin Sonneborn und Sasha bzw. Dick Brave aussehende und auch so spielende „Insidious“-Veteran Patrick Wilson wieder seine bedeutungsschwangere Betroffenheitsmiene aufsetzt, die Liebe zu seiner sensiblen Frau beweist und sich an der Grenze zur Selbstaufgabe gegen die finsteren Mächte zu stellen bereit macht, dabei stets die Existenz und Kraft des der christlichen Mythologie entsprungenen Gotts beschwörend. Solche Momente sind es, die die katholische Kirche sogar applaudieren lassen könnten, während sie früher einen Film wie „Der Exorzist“ am liebsten öffentlich verbrannt hätte. Dass es einem als nichtreligiöser Zuschauer bei soviel Frömmelei beinahe hochkommt, liegt auf der Hand. Ein unerträgliches Happy End leitet über in den Abspann, der noch einmal das reale Ehepaar Warren hofiert, erneut Authentizität suggeriert und penetrant noch einmal die Christenkeule schwingt – ächz. Nein, danke, Mr. Wan, so nicht – doch ein tatsächlich so betitelter „Insidious 2“ steht schon kurz vorm Kinostart und wir werden alle mitansehen können, wie ein Subgenre kommerziell ausgeschlachtet und totgeritten wird.