Damals...
Ein halbes Leben gewartet. 1999 fing man endlich an zu drehen. 2001 war die Premiere. 2003 endete die Trilogie. 2004 gab es den Oscar-Regen und damit den Adelsschlag für die heiligen Hallen der Filmgeschichte. Dann war man zurück.
Zurück von einem verrückten und wundersamen Abenteuer, Peter Jackson Verfilmung von J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe", die das Publikum überall auf diesem Planeten im Sturm nahm. Geld floß in Strömen, Handwerk wurde erst zu Kunst und dann zum Kult.
Und dann die Frage: Wie geht es weiter?
Gibt es noch einen Nachschlag?
Macht Jackson jetzt auch noch die Vorgeschichte? Den "Hobbit"? Als Zweiteiler womöglich?
Was danach passierte, innerhalb des kommenden Jahrzehnts kann man ohne weiteres als Geduldsprobe für Frustrierte aufpassen: Justizstreitigkeiten, rechtliche Probleme, ein Regisseur, den fast jeder wollte und der doch nicht konnte und der alte "Meister", der nicht mehr wollte, aber dann irgendwann wieder mußte.
Am Ende sagte Jackson, schlank geworden, wieder dick und wieder schlank, zu. Bevor es irgendwer verhunzt, mach ich es lieber selbst. Also ran. Das klang nach Beschützung des eigenen Oeuvres. Nicht nach kreativem Funkenflug. Ein bißchen Trotz schien dabei und etwas mehr Selbstüberwindung noch dazu.
Eigentlich wollte er gar nicht - aber wenn er es machte, dann auf seine Weise.
Da war noch mehr Trotz im Spiel, aber Jackson hatte nach der HDR-Trilogie "carte blanche".
Und sei es zum Trotz, als kleine Rache und aufgrund des endlich möglichen Eskapismus ohne Budgetbeschränkungen, Jackson schmiß alles in den Ring. Die Reputation, seinen Hut, seine Talente und eine Prise Widerwillen. Zauberte eine neue Aufnahmetechnik mit mehr Bildern pro Sekunde hervor, während die Welt noch mißtrauisch vorsichtig auf dem zähen Brocken 3D kaute. Schweißte einen riesigen Cast zusammen und kratzte alle alten Bekannten aus den Originalfilmen zusammen, derer er noch habhaft werden konnte, um für sie einen Gastauftritt in die Drehbücher zu schreiben.
Bescherung beim Maestro und Folterknecht in einem. Alle Macht in einer Person fokussiert, nicht in einem Meisterring. Macht und Verderben in einer Person gebündelt. Es konnte alles werden, Triumph und Enttäuschung, brachialer Kassenschlager und kreatives Repetieren. Wirklich überraschen würde er das Publikum nicht mehr, nur noch Überpolieren konnte er das Bekannte, es verfeinern, lackieren. Mehr vom selben, nur besser natürlich. Füllmenge verkleinert, aber riechen sie doch mal die Geschmacksverstärker...
...Jackson konnte sicher sein, sie würden alle kommen wie die Trüffelschweine.
Das war keine Prognose meinerseits vor der Veröffentlichung, das war, was kommen mußte. Und was dann auch kam.
Heute...
Der erste Teil "Eine unverwartete Reise" ist hiermit veröffentlicht und schickt sich an, eine Menge Kassenrekorde überall auf dem Planeten zu brechen. Die Massen haben lange gewartet, jetzt wollen sie ihre Beute und bekommen sie auch. Reichlich davon. Nicht einen, nicht zwei wie ursprünglich geplant. Gleich drei Filme hat Jackson mitsamt seinem bewährten Autorenteam, bestehend aus ihm selbst, seiner Ehefrau Fran Walsh und Philippa Boyens angeblich aus einem 300seitigen Jugendbuch herausdestilliert (samt einigen Materials, das sein ausgestiegener Regievorgänger Guillermo del Toro noch geschrieben hat). Man könnte auch sagen, sie hätten die Vorlage damit aufgeblasen. Nicht mehr behutsam aufbereitet und erweitert, damit auch Frauen in der Filmtrilogie zu Wort kämen - hier durfte nun kreativer Wildwuchs sich breitmachen.
Natürlich konnte man die epische, aber bescheiden umgesetzte Vorlage in die Breite und Tiefe ziehen, aber einen kreativen Handstreich wie diesen konnte man nicht erwarten. Zwei vollmundige Filme waren gesetzt, als die Fülle des Materials einen dritten Film plötzlich möglich machte. Dehnen und strecken, brachial - das ist es, was uns jetzt in den nächsten anderthalb Jahren noch erwartet. Und man kann nur hoffen, daß die erzählerische Meisterschaft des bewährten Trios Großes geleistet hat.
Wahrhaftig erkennen kann man das am ersten Film nämlich leider noch nicht, "Eine unerwartete Reise" ist mehr ein Prolog, ein Auftakt, eine generelle Overtüre zum Aufwärmen all der Tolkienfans, die scheinbar ein Jahrzehnt in der narrativen Kälte vor der Tür hatten warten müssen. 165 Minuten zum Aufwärmen.
"Der Hobbit", das ist eine Queste, genauso wie HDR eine war. Die Reise eines Einzelnen, der Größeres schauen darf, der über sich herauswachsen muß, der den Zauber dessen erlebt, das jenseits seines Gartenzauns liegt. Tolkien hat diese Geschichte kindgerecht, fast niedlich erzählt, in bescheidenem Rahmen, der geradezu nach optischer Ausfleischung schreit und Jackson trägt dem Rechnung. Eine Hälfte des Buchs geht für die Reise zum einsamen Berg Erebor drauf, die zweite Hälfte komprimiert geradezu dilletantisch ein bombastisches Epos rund um Schätze, einen Drachentod, verfeindete Völker und eine monumentale Schlacht, genügend Stoff, um das Buch auf doppelte Größe zu verlängern, würde die Geschichte nicht nur auf Bilbos Sicht fokussieren. All das, was Tolkien später mit dem "Herr der Ringe" machte, in kleinem Rahmen anzufangen und dann immer ernster, erwachsener und monumentaler zu erzählen, hatte er beim "Hobbit" noch unterdrückt, weil er es für seine Kinder schrieb.
Aber jetzt, wo dieses beschauliche, filigrane Jugendwerk plötzlich eine zweite monumentale Trilogie werden muß, hilft nur noch der Gang in die Breite, denn der Ton des Buches bleibt unverändert, auch wenn Jackson die Möglichkeiten des letzten Drittels erkannt haben muß, all die im Buch ausgelassenen und später Fußnoten geretteten Nebenschauplätze ausfleischen zu können.
Also beginnt man beschaulich, kindlich - setzt noch einen Namedroppingprolog drauf (Frodos überflüssiger Gastauftritt für Spätmerker) und konzentriert sich dann auf die einleitenden Kapitel: Bilbo und die Zwerge plus Gandalf.
Das Problem: wo Jackson 2001 noch enorm verschlankte, um das prachtvoll überladene erste Buch samt monumentaler Backstory in die erste Stunde zu proppen, walzt dieser Film lediglich aus. Das Ergebnis: waidwundes Gejaule, wie sehr doch das Gesinge der Zwerge nervt.
Es kommt einem vor, als hätte nie jemand das Ende von "Return of the King" gesehen, denn hier wird das Gleiche auf den Kopf gestellt, neu ausgeliefert: Exposition! Und noch mehr Figuren und Charakterköpfe gleich vom Start weg. 12 Zwerge, eine Mission, eine traurige Geschichte vom verlorenen Krieg und Königreich.
Jackson scheitert - aber nicht wegen der gängigen Mosereien - tatsächlich fällt die Sequenz mit dem Zwergendinner enorm niedlich und kurzweilig aus und gesungen wird gerade mal zweimal sehr kurz - sondern weil er damit den Ton für weite Strecken des Films vorgibt. Und der ist einfach nicht ernst und will es auch nicht werden.
Natürlich wird wieder gewandert, doch schon die erste Spannungssituation - die Begegnung mit den drei Trollen wird episch breitgetreten, mit mäßigen Tricks erweitert und klamaukhaft ausgebaut, wenn sich die armen Zwerge samt Hobbit kurz vor dem Bratspieß immer weiter in den Mist reiten. Man gewinnt den Eindruck einer komplett unfähige Reisegemeinschaft und die auflösende Pointe, die hat man dann auch noch ins Unoriginelle hin verändert.
Auch in der Folge wird es nicht wirklich besser, denn weder der Besuch in Bruchtal, noch der Weg durch den Goblinberg samt Steinriesenkampf und schon gar nicht Radagasts Auftritt können das schale Gefühl beseitigen, daß dem Maximum an Bild und Bewegung alles an Charme und Gefühl geopfert wurde.
Rivendell/Bruchtal gerät wieder nurmehr zur charmanten Wiedersehensparty, die nur nachweist, wie schön doch alles vor einem Jahrzehnt mal war. Saruman wirft ein paar nette rote Heringe aus, Elrond mahnt wie üblich und Galadriel darf sich endlich mal nicht wie ein unnahbares Miststück gebärden. Dazu kommt ein geradezu lächerlicher Moment, als man die Mondrunen praktisch durch einen unglaublichen Terminzufall gerade dann lesen kann, wenn man in Bruchtal zufällig vor Ort ist.
Der weitere Weg schreit dann nur noch nach imposanten Wegmarkierungen: eine weitere Bergsteigerei, dann die schier endlose Klopperei der Bergriesen (war das überhaupt so im Buch?), dann die Goblins/Orks, die auch schon mal besser animiert waren und irgendwann mal Gefahr verströmten. Immerhin kann man ganz doll flüchten, das sehr behend und sehr lange - wo HdR ein Wanderfilm mit Laufepisoden war, ist der "Hobbit" eine Schlußverkaufsrennerei par excellence, noch dazu unter Aufhebung aller physischen und physikalischen Gesetze.
Radagast - allerdings kongenial komisch mit Sylvester McCoy gecastet, kommt nicht als Walderemit, sondern als wirrer Hippie mit Kaninchenschlitten daher, der in seiner Figur einige Narrenzüge Tom Bombadils verwurstet hat. Alberner Plotkäse, aber immerhin sorgt die Figur in ihren Exkursen für einige der atmosphärischsten Szenen in Dol Guldur.
Am Ende steht dann die obligatorische Klopperei mit der Orkbande, die genauso wie der übrige Plotaufbau ganz schön derbe nach "Die Gefährten" stinkt, samt Bruchtal und Moria-Ersatz. Bemüht werden da Parallelen vermieden, was aber nur zur Folge hat - spätestens beim Schlußkampf - daß man genau ebendiese eben doch zieht und da stinkt Richard Armitages Zwergenkönig Thorin doch gaaaaaanz mächtig nach Aragorn und gleichzeitig tierisch ab. Denn auch der namentliche Reckentyp dieser Erzählung erweist sich im Showdown hier seiner Position und seinem Ruf nicht eben würdig und kriegt irgendwie nichts Brauchbares zustande, weil man den bösen, einarmigen Albino-Ork einfach noch als (bei Tolkien gar nicht vorhandenen) Chiffre-Widersacher braucht.
Und zwischendurch dann der große Awwwww-Moment, der so intensiv bespielt wird, daß man meinen könnte, Jackson hätte die zweite Trilogie nur wegen ihr noch mal inszeniert, neun weitere Stunden wegen etwa 10 Minuten Gollum - erneut kongenial charakterisiert von Andy Serkis. Diese Sequenz atmet noch mal den alten Geist und macht auch Spaß - und das hauptsächlich, weil Jackson sich hier praktisch eins zu eins aus der Vorlage bedient. Und natürlich weil die Figur des Gollum in Sachen Charakterportraits sämtliche anderen Figuren (inclusive des tapfer spielenden und sehr sympathischen Martin Freeman, der nur irgendwie nicht in diese Welt gehören will) locker an die Wand spielt. Genießen, so ein Moment wird in den nächsten zwei Filmen wohl nicht wiederkehren.
Am Ende von 165 Minuten hat man dann die Hälfte der Reise weg, den einsamen Berg endlich zumindest am Horizont und wieder rätselt man über die Adler, die schon im HdR nur am Schluß mal einen Gastauftritt hatten und auch hier nur dafür sorgen, daß man aus EINER Gefahrensituation rauskommt. Eigensinnige Vögel, diese Adler!
Davon unbenommen ist der Film durchaus Jackson-Standard und sieht deliziös aus. Visuell ein Fest, in Sachen Animation allerdings wegen der erhöhten Bildrate gewöhnungsbedürftig und das Gefühl des Unechten nie ganz ausblendend. Schnitt, Ton und Kamera feiern mit der Farbe Feste und wer einfach nur von der Buchvorlage einen weiteren Mittelerdefilm einpfeifen will, hat hier seinen sehr regen und topanimierten Hochgeschwindigkeitsspaß aus bewährter Meisterküche.
Nur die Fans von Tolkien spüren überdeutlich, daß die Überdehnung längst eingesetzt hat und dem Werk eine Verschlankung um 25 Minuten besser getan hätte oder eine inhaltliche Trimmung in Richtung auf einen komplexeren Zweiteiler, denn an der sterbenden Mittelerdemagie zwischen Fabelwesen, Elben und Zwergen mangelt es hier dennoch tonal, obwohl der Film von ihnen wimmelt - Tolkiens Reich ist ein ziemlich beliebiges, wenn auch gut ausschauendes Fantasyland geworden.
Bitte nicht falsch verstehen, der "Hobbit" ist auch im weltbildenden ersten Kapitel immer noch ein beachtlicher Prachtschinken, mit dem man jede Menge Spaß haben kann - wer jedoch nach dem nostalgisch-bitteren Endzeitton lechzt, der sich durch die Großtrilogie vor zehn Jahren zog, wird ziemlich enttäuscht werden. Hier ist Tolkien trotz Jackson wieder auf ein überschaubares Fantasy-Action-Maß geschrumpft.
Die Fans bekommen nun, wonach es ihnen immer verlangt hat - und Jackson liefert auf Biegen und Brechen, aber man spürt - wie gesagt - einen Hauch von Amtsmüdigkeit und das Fehlen des letzten wehmütigen Feinschliffs, den eine Herzensangelegenheit von einem schieren Könnerblockbuster trennt.
Nun kauen und schlucken wir tapfer, aber der Hauch des Neuen, Frischen, des unverwechselbar Intensiven, der ist in diesen zehn Jahren verloren gegangen - hoffen wir, daß sich Jackson damit aus einer kreativen Hypothek endlich freimacht, der ihn wie George Lucas sonst ein Leben lang verfolgt hätte. (6/10)