"In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit."
Mit dem Kinderbuch "The Hobbit or There and Back Again" hat J. R. R. Tolkien im wahrsten Sinne des Wortes klein angefangen: seine Schilderung des Zwergenaufstands gegen einen fiesen Drachen mutet neben dem monumentalen Epos "The Lord of the Rings" wie ein erster Gehversuch in seiner fiktiven Welt Mittelerde an und ist rückblickend im Grunde genommen nur darum von Bedeutung, weil in einem Kapitelchen der Hobbit Bilbo einen gewissen Ring einsteckt.
Entsprechend war Tolkien nie so richtig zufrieden mit seinem Hobbit-Märchen, das sich trotz Reinterpretation und Erweiterung in den Anhängen einfach nicht so recht in den eher düsteren Kontext der "Lord of the Rings"-Erzählung fügen wollte. Eine Generalüberholung sparte er sich allerdings trotzdem, da sie letztlich auf ein völlig neues Buch hinausgelaufen wäre.
Peter Jackson steht vor einem ähnlichen Problem: nach seiner großartigen, neue Maßstäbe setzenden Filmtrilogie steht er nun vor der Aufgabe, den eher einfachen Stoff so zu bearbeiten, daß er trotzdem noch stimmig in den von ihm ausgestalteten filmischen Mittelerde-Kosmos passt.
Um es vorwegzunehmen - Jackson schlägt sich bei dieser Gratwanderung ziemlich wacker! Der Grundton von THE HOBBIT: AN UNEXPECTED JOURNEY ist zwar humorvoller und weniger heroisch-düster, macht aber nicht den Fehler von George Lucas, der seinerzeit beim Prequel STAR WARS - EPISODE I: THE PHANTOM MENACE in infantilen Slapstick verfiel. Seine Version von Mittelerde ist immernoch erkennbar, denn auch diesmal geht es um die Gier - zwar nicht nach der Droge Macht, wie sie der Ring verkörperte, aber ein wenig materialistischer und profaner um die Gier nach Gold. Die Zwerge im Einsamen Berg häufen nämlich gewaltige Schätze an, graben gar den legendären Arkenstein aus, nur um über ihrem Besitz allmählich den Verstand zu verlieren und schließlich vom Drachen Smaug in alle Winde verstreut zu werden, der es sich daraufhin auf dem Hort bequem macht.
Die eigentliche Handlung beginnt dann 60 Jahre vor dem berühmten einhunderelfzigsten Geburtstag. Ein junger Bilbo bekommt unerwarteten (und vor allem unerbetenen) Besuch von Gandalf, der obendrein auch noch 13 Zwerge im Gepäck hat, die sich in den Kopf gesetzt haben, den feuerspeienden Flatterlapp wieder vor die Tür des Einsamen Berges zu setzen. Da sie zu dieser Unternehmung auch noch die Dienste eines Meisterdiebs benötigen steht schnell fest, daß man Bilbo aus dem Auenland-Spießerglück reißt und zu einer Campbellschen Heldenreise verdonnert - denn die großen Dinge im Leben werden von den kleinen Leuten geleistet und kleiner als ein Hobbit ist nichtmal ein Zwerg...
Zugegeben, die Exposition gerät reichlich lang und teilweise auch weilig, aber wenn sich der Trupp dann endlich auf die (im Falle Bilbos nicht vorhandenen) Socken macht, steigt auch der Spaßfaktor. Trolle, Orks, Wargs machen den Helden die Reise schwer und sorgen für spannende und lobenswerterweise nicht gerade kindgerechte Action, gleichzeitig stellt am anderen Ende Mittelerdes der Zauberer Radagast fest, daß sich im Grünwald in der Ruine Dol Guldur ein Schatten breitmacht (wer mag das wohl sein?) und mit Gollum gibt es auch ein Wiedersehen.
Musik und Kameraarbeit knüpfen nahtlos an den Stil der LORD OF THE RINGS Filme an, da Jackson im wesentlichen wieder das gleiche Team um sich versammelte; Andrew Lesnies Kamerafahrten (insbesondere in den Orkstollen) und Landschaftspanoramen sind nach wie vor beeindruckend und diesmal sogar in 3D und durch die verdoppelte Frame-Rate so gestochen scharf, daß die Augen ins Schwitzen kommen.
Kritiker des Fantasy-Genres finden in THE HOBBIT natürlich all ihre Vorurteile bestätigt. Treue, Ehre und Opferbereitschaft werden allzu unreflektiert als heroische Tugenden präsentiert, durch die die halbe Portion Bilbo schließlich zum ganzen Kerl wird, die Bösen sind allesamt recht garstig anzusehen, insbesondere ein Orkhäuptling, der vermutlich an Kehlkopfkrebs im Endstadium leidet erfüllt die sattsam bekannten Untermenschenklischees vom niederträchtigen Geist im abjekten Körper. Allerdings wird dieser sich durch das gesamte Genre ziehende latent rassistische Unterton dadurch abgemildert, daß nicht aristokratische Elben oder andere Strahlemänner, sondern die proletarischen Zwerge mit ihren rustikalen Sitten, der zauselige Gandalf bzw. der gutbürgerliche Bilbo als Identifikationsfiguren und Sympathieträger angeboten werden.
Insofern sollte man vor der ideologischen Problematik von Geschichten, die den zeitlosen Konflikt von Gut und Böse thematisieren natürlich nicht die Augen verschließen, aber man sollte sie als das anerkennen, was sie tatsächlich sind: Kritk an einer Welt, in der die Konflikte eben nicht so leicht durchschaubar sind, in der sich Werturteile nicht so ohne weiteres bilden lassen und in der die miesesten Typen oftmals in der Maskerade des Heilsbringers auftreten.
Ebenfalls sollte auch nicht verschwiegen werden, daß das berechtigte Bedürfnis des Publikums nach diesen rückwärtsgewandten Erzählungen, nach einer einfacheren Welt, die den Gesetzen des Märchens folgt, von geschäftstüchtigen Kulturschaffenden genutzt wird, um damit ähnlich wie die Zwerge im Einsamen Berg haufenweise Geld zu scheffeln. Denn ob man die Geschichte vom Hobbit tatsächlich auf insgesamt drei Kinofilme, die fürs Heimkino dann als Extended-Deluxe-Full-Uncut ebenfalls noch doppelt und dreifach ausgewertet werden, aufblasen musste, bleibt doch eher zweifelhaft. Da mir der Blick in die Zukunft allerdings verwehrt bleibt, werde ich mich in Geduld üben und abwarten, ob mich Märchenonkel Peter Jackson eines Besseren belehren wird.
Sein Auftakt zur Hobbit-Trilogie jedenfalls zeigt beides: den selbstverliebten Tolkien-Guru, der Guillermo del Torro nicht zutraute, das Wort des Herrn und Meisters adäquat zu adaptieren und darum in seiner Deutungshoheit letztlich doch selbst auf dem Regiestuhl Platz nahm - aber auch den Fan und das Spielkind, den von Tolkien und neuester Filmtechnik begeisterten Enthusiasten, der unterm Strich das Maximum aus der literarischen Vorlage herauspresste und damit einen Film ablieferte, der besser ist als das Buch.
Und jetzt beginnt die Warterei auf Teil 2...