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Rikuo Ishimatsu (Goro Kishitani) ist ein knallharter Yakuza, diszipliniert und loyal, zumindest solange, bis ihm einer quer kommt. So geschieht es jedoch eines Tages: Das Geld, welches er von einem Yakuzaboss erwartet, bleibt bis auf weiteres aus - so scheint es für Rikuo jedenfalls. Und durch ein paar missliche Zufälle reitet er sich immer weiter ins Verderben, tötet seine Kollegen, attackiert seine Freunde und fängt sogar an, Drogen zu nehmen. Sein gesamtes Leben gerät aus den Fugen...

Miikes Neuinterpretation eines Fukasaku-Klassikers überrascht Kenner anderer Filme des produktiven Japaners: Hier handelt es sich nicht um eine überdrehte, teils wirre Geschichte im Stile von Dead or Alive oder Ichi the Killer, sondern um ein grundsolides Gangsterdrama.

Im Gegensatz zum Original haben sich einige Gegebenheiten verändert: So ist nicht mehr das Japan der Nachkriegszeit der Schauplatz, sondern ein um 4 Jahrzehnte weiter in die Zukunft versetztes, von einer Wirtschaftskrise malträtiertes Gegenstück. Die Zeiten sind zumindest ähnlich hart. Jeglicher dokumentarische Stil, wie ihn Fukasaku pflegte, wurde von Miike aber unterlassen. Als Ausgleich versucht dieser aber, die Motivation des Protagonisten zugänglicher zu gestalten und somit die Figur und die ganze Geschichte plausibler erscheinen zu lassen. Zwar reagiert Ishimatsu wie einst sein Gegenstück Ishikawa ein ums andere mal über, doch viel häufiger kann man seine Gefühle ansatzweise teilen und versteht die Beweggründe. Die Beziehung zu Chieko (Narumi Arimori) startet mit einer Vergewaltigung nach wie vor ungewöhnlich, wird aber später um einiges intensiver in die Story verwoben und zur Aufschlüsselung von Ishimatsus Gefühlswelt benutzt - bei niemandem fühlt er sich geborgener als bei Chieko, niemand ist ihm wichtiger. Dass sie ihn nach seiner Entlassung aus dem Gefängis aufsucht, nimmt er als Treuebeweis und ist ihr von ganzem Herzen dankbar, auch wenn er dies niemals ausspricht. Die Drogensucht als entgültiger Verlust der Kontrolle über sein Leben stellt den tatsächlich tragischen Aspekt in Ishimatsus Leben dar und bekommt dementsprechend viel Anteil im Film. Überhaupt kann man sagen, dass Miike an einer konkreten Spannungskurve näher dran ist als Fukasaku anno 1975.

Inhaltlich hat Graveyard of Honor somit wirklich was vorzuweisen. Und erfreulicherweise gestaltet sich die Verpackung auch solide: Miike benutzt wie so häufig massig Handkamera, was das Geschehen dementsprechend dynamisch präsentiert. Prügeleien und andere Auseinandersetzungen erscheinen recht intensiv, was auch an der kompromisslosen Vorgehensweise liegt: Keine technischen Spieleren verfremden etwaiges Geballere, wenn geschossen wird, dann kurz und effektiv. Das passt zur melancholischen Figur des Protagonisten, der alles egal zu sein scheint. Bei den ruhigen Szenen (mit Chieko zum Beispiel) hat Miike glücklicherweise auf eine statische Inszenierung gesetzt. Lange Einstellungen ohne viele Schnitte versetzen den Zuchauer in die passende Stimmung, welche eigentlich konsequent ins Schwermütige abdriftet. Die zurückhaltende Musikuntermalung, welche ausschließlich aus einspurigen Saxophon- und Klavierstücken besteht, ist ausschlaggebend. Audiovisuell ist der Film somit zwar recht schmucklos, aber harmonisch und somit gelungen.

Die Darstellerriege ist gerade für den westlichen Raum nicht namhaft und teilweise leider auch austauschbar; nichtsdestotrotz machen alle einen guten Job. Nicht austauschbar empfinde ich aber zumindest Hauptdarsteller Goro Kishitani, welcher nicht nur durch sein markantes Gesicht auffällt, sondern auch toll spielt. Eine ernste, introvertierte Figur darzustellen mag vielleicht nicht so schwer sein wie das Darstellen einer Figur, die durchgehend ihre Gefühle zur Schau stellt, trotzdem gibt es einige Szenen, die wirklich beeindruckend sind (Ishimatsu erbricht sich, suhlt sich im Rausch auf dem Boden usw.). Darüber hinaus macht auch Narumi Arimori eine gute Figur!

Insgesamt muss ich feststellen, dass mich Miike wirklich überräscht hat (wie einst auch mit The Bird People in China) und mit Graveyard of Honor ein gleichsam zugängliches und tiefsinniges Drama geschaffen hat, welches auch neben dem Original eine Existenzberechtigung besitzt. Der Film ist zwar ob seiner ruhigen Inszenierung nicht uneingeschränkt jedem zu empfehlen, ein Beleg für Miikes Können ist er aber allemal.

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