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„Zero Dark Thirty" ist ein schwieriges Filmmonster, gleichzeitig bequem und unbequem, überlang und atemlos, hochspannend und zäh, berührend und abstoßend. Komplexe Charakterisierungen und Wertungen werden sorgsam vermieden und gerade dadurch entwirft die Erfolgsregisseurin Kathryn Bigelow ein beängstigendes Bild eines Geheimdienstapparates, der nur losgelöst von gesellschaftlichen und moralischen Werten funktionieren kann. Als Kinofilm funktioniert das leider nicht über gesamte Dauer, trotzdem bleibt der Film ein ambitionierter Thriller, dessen bewusst offene Grundhaltung förmlich dazu einlädt, sich seine eigene Meinung zu bilden.Nach den Anschlägen des 11. Septembers verschreibt sich die spröde junge CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) vollkommen der Jagd nach deren Drahtzieher: Osama Bin Laden. In ihrem Kollegen Dan (Jason Clarke) findet sie einen Mentor, der ihr die nötige Härte bei den brutalen Verhören von Verdächtigen beibringt. Dass sie und ihre Kollegen im Zuge ihrer Arbeit mehr und mehr ins Visier der Terroristen kommen, bestärkt sie zusätzlich in ihrer Mission. Nach jahrlanger Ermittlungsarbeit auch gegen interne Widerstände ihrer Vorgesetzten Joseph (Kyle Chandler) und Thomas (Jeremy Strong) findet sie endlich eine heiße Spur.

Am Anfang ist tiefes Schwarz unterlegt mit den Stimmen verzweifelter Anrufer, die in Todesangst in den Twin Towers des World Trade Centers um ihr Leben winseln. Diesem quasi-dokumentarischen Einstieg lässt Kathryn Bigelow einen beklemmenden Foltermarathon folgen, in dem die Täter- und Opferrolle komplett umgekehrt werden. Nun winselt plötzlich der Terrorist, während ihm die amerikanischen Behörden im Auftrag ihrer Regierung grausamer Folter aussetzen. Die Regierungsvertreter werden von Beginn in ihrer pragmatischen Art („Wollen sie ihre Kapuze nicht aufsetzen?" „Wieso, wird er dieses Gefängnis jemals wieder verlassen?" „Auch wieder wahr.") von Anfang an auf maximale Distanz zum Publikum gedrängt. Somit perfektioniert Kathryn Bigelow jenen Inszenierungsstil, der schon im Vorgänger „The Hurt Locker - Tödliches Kommando" (2009) aufblitzte. Sie übt sich in vollkommener Neutralität, indem sie politische Statements und moralische Deutungen konsequent vermeidet. Am deutlichsten wird das anhand der Protagonistin des Films, die bis zum Ende kaum als Identifikationsfigur taugt. Gefühle zeigen, geschweige denn ein Privatleben werden ihr nicht gegönnt („Ich bin nicht hier um rumzuvögeln."). Kathryn Bigelow inszeniert sie als Prototypen eines streng fokussierten CIA-Streberroboters, frei von störender Ideologie oder Selbstzweifeln. Der Tod von Kollegen wirft sie nur kurz aus der Bahn und dient ihr eher als zusätzlicher Ansporn für ihre Arbeit. Ob Informationen nun über Bestechung, Folter, mit einer List oder aus freien Stücken zu ihr gelangen ist ihr dabei vollkommen gleich. Fragen über Ethik und Moral in Bezug auf Gefangenverhöre werden in dieser Welt der Politik überlassen und bilden nur das Hintergrundrauschen, das den Handlungsspielraum der Ermittler wahlweise erweitert bzw. einschränkt.

Nicht die Wahl der Mittel, sondern das Resultat zählt. Die so genannten schönen Dinge des Lebens werden als überflüssiger Ballast verstanden. Bemerkenswert etwa, wie unbeholfen der CIA-Agent einem Informanten ohne tieferes Verständnis für dessen Faszination einen Lamborghini als Bestechungsgeschenk schmackhaft machen will. Emotionen sind innerhalb diesem Szenario nur komplett hinderlich, etwa wenn der Mentor der Heldin plötzlich an seiner Rolle als CIA-Folterknecht zu hadern beginnt, oder eine andere Agentin, die aus Neugier unvorsichtig wird und ihr altgediente Chef sich von der neuen Generation von CIA-Agenten förmlich überrollt fühlt. In dieser Welt, die dem Spitzensport nicht unähnlich scheint, schafft es nur derjenige ans Ziel, der seinen Weg ohne moralische Zweifel unerbittlich bis zum Ende verfolgt. Und an diesem Ende, wenn Osama bin Laden erschossen vor unserer Heldin liegt und damit ihre Mission abgeschlossen ist, werden ihr das erst Mal echte Gefühl vergönnt. Angesichts ihrer vorigen Charakterzeichnung muss sich der Zuschauer allerdings fragen: „Fällt hier seelischer Ballast ab, oder fühlt sich da ein Mensch einfach um den Sinn seines Lebens beraubt, weil die Jagd nun zu Ende ist?

War es tatsächlich die Intention von Kathryn Bigelow, die unmenschliche Kälte des Geheimdienstes zu zeigen? Sicherlich nicht, aber das interessante an „Zero Dark Thirty" (2013) ist, dass jeder seine eigenen Schlüsse daraus ziehen kann und soll. Der im Vorfeld geäußerte Vorwurf von Parteilichkeit und Patriotismus entbehrt deshalb schlicht jeglicher Grundlage. Ob dieses reine Abbilden vermeintlicher Tatsachen von einem breiten Publikum goutiert werden kann, bleibt indes mehr als fraglich, denn als reinrassiger Kino- bzw. Genrefilm funktioniert der Streifen trotz seiner Rasanz nur sehr bedingt. Dieses filmische Äquivalent zur Schweiz in ihrer vollkommen sterilen und neutralen Herangehensweise ans Sujet mag auf intellektueller Ebene spannend sein - berühren tut es jedoch kaum. Letztendlich vermisst man, was eine gut erzählte Geschichte seit mehr als 4.000 Jahren ausmacht: Dramatisierung, ein künstlerisches Statement über menschliche Wahrheiten und nicht zuletzt einen emotionalen Zugang - kurz Dinge, die das Publikum bewegen und nicht nur beeindrucken.

Es sei angefügt, dass handwerklich alles weitestgehend auf höchstem Niveau bleibt. Noch sehr viel mehr als in „Tödliches Kommando" (2009) vermeidet Bigelow unnötige Effekthascherei, übertriebene Dramatisierungen und unterstreicht durch die distanzierte Inszenierung die neutrale Grundhaltung des Films. Lediglich das Drehbuch verzettelt sich mit zunehmender Laufzeit in ermüdenden Wiederholungen von Ermittlungsarbeit, plötzlichen Terroranschlägen und zunehmenden Anstrengungen. Gleichwohl schafft es Drehbuchautor Mark Boal, der sich auf militärische Stoffe spezialisiert hat und auch die Vorlage für „Tödliches Kommando" (2009) lieferte, trotz der knapp sieben Jahre umspannenden Handlung durchgängig ein Gefühl der Stringenz zu vermitteln. Lediglich der knapp 30 minütige Angriff auf das Anwesen von Bin Laden im pakistanischen Abbottabad mag sich trotz seiner Rasanz nicht so recht in den Gesamtbild einordnen. Er wirkt wie ein angeklatschter Actionfremdkörper, obwohl seine trockene, unprätentiöse Inszenierung durchaus den Stil des übrigen Films widerspiegelt.

Mir rang dieser weitestgehend geglückte Versuch einen vollkommen neutralen Politthriller zu inszenieren gleichsam Respekt und Schaudern ab, denn Kathryn Bigelow schafft es mühelos das Publikum zu beeindruckend, nur mitzureißen vermag sie es nicht. So liegt eine seltsame Ironie des Films darin, dass er einerseits vollkommen unparteiisch daherkommt und gerade deshalb das Publikum spalten wird.

Daran werde ich mich erinnern: Die absolute Gefühlskälte der Inszenierung, der Protagonistin sowie dem gesamten Geheimdienstapparats..

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