Review

“I had a dream my life would be so different from this hell I’m living” (Gänsehaut oder Ohrenkrebs?)

Wieso muss gerade ich hier die erste Kritik schreiben, obwohl ich gar keine Musicals mag? Somit versuche ich es mal und versuche wie immer sachlich, anregend, bremsend, empfehlend oder sonstwie hilfreich für unentschlossene Interessierte zu sein. Ich versuche es kurz zu machen: LES MISÉRABLES ist für Fans zeitgenössisch gestalteter Musicals mit Hang zu historisch anmutenden Stoffen ein Muss.

Er gewann übrigens auch schlappe 3 Oscars in den Kategorien Bestes Make-Up und Hairstyling, Bester Ton und Beste Nebendarstellerin für Anne Hathaway. Der Film polarisiert natürlich, viele werden sich entsetzt umdrehen und sich von den über 2,5 Stunden Dauerbombardement – unter professionellen Gesichtspunkten  - durchwachsener Singerei abwenden.

Ich will dies mal ganz bewusst chauvinistisch auf den Punkt bringen: für unentschlossene (Männer?) die noch überlegen sich ihrer (weiblichen?) Begleitung zuliebe LES MISÉRABLES anzusehen, weil “bei so vielen guten Schauspielern und der starken Story ein wenig Singerei doch erträglich sein muss“ sei nur gesagt, dass der Film zu mehr als 90% aus Gesang besteht! Die Dialoge an sich untereinander geschrieben sind ggfs. kürzer als diese Rezension.

Soviel dazu als Entscheidungsgrundlage und viel Spaß bei den Diskussionen über “die wirklichen Kriterien eines guten Films“. Es dominiert übrigens dem Sujet angemessen ein todernster Grundton und es gibt nur wenig humorvolle Auflockerungen. LES MISÉRABLES schafft es trotzdem nicht lächerlich zu wirken.

Die Songs wurden übrigens im engl. Original gelassen sind untertitelt. Somit sollte dem potentiellen Zuschauer bewusst sein, dass er sich zu einem weitgehend komplett untertitelten Film entschieden hat, außer er genießt es auf Basis seines guten Englischs direkt, was ein großer Vorteil ist. Die gesprochenen Szenen wurden allerdings in üblicher Weise deutsch synchronisiert. Der Wechsel innerhalb von Songs zur Sprache wurde auch synchronisiert. Dies ist eine übliche Vorgehensweise, die allerdings bei größeren Stimmunterschieden zwischen Original und Synchro für leichte Irritation sorgen könnte.

Der Film basiert auf dem 1862 veröffentlichten 1400 Seiten starken Roman “Die Elenden“ von Victor Hugo der neben viel Liebe auch sozialkritisches enthält, was erwartungsgemäß in der glattgebügelten Umsetzung von LES MISÉRABLES zu kurz gekommen ist. Auf die umfangreiche Story in die Frankreich im Jahre 1815 beginnt und sich dem Juniaufstand widmet will ich hier aus Platzgründen nicht eingehen. Schauspielerisch überzeugen mich insbesondere Russell Crowe und Hugh Jackman, und gerade Jackmann als Jean Valjean briliert für mich in den anfänglichen Szenen durch eine sehr ausdrucksvolle und intensive Performance.

Anne Hathaways betroffener Gesichtsausdruck entspricht nicht meinem Geschmack von großer mimischer Bandbreite, aber ich akzeptiere, dass die Mehrzahl der Seher ihre Performance als preiswürdig erachten und denen bei dem Song “I dreamed a dream“ und ihrer Großaufnahme als Fantine die Gänsehaut fast aus dem Körper springt. Insgesamt fehlt bei aller oberflächlich gut ausstaffierten Emotion doch für mich eine gute Portion nachvollziehbarem Beziehungsgeflecht und -tiefe zwischen den Hauptfiguren. Warum hasst Javert (Russell Crowe) Jean Valjean (Hugh Jackman) denn wirklich über die zwangsweise verkürzten Argumente des Gesangs hinaus?

Die Ausstattung ist King bei LES MISÉRABLES. Viele Bilder wirken wie authentische schwülstige Gemälde, gerade die dreckigen Gassen, reichen Häuser und wilden und blutigen Straßen von Paris. Und auch das vielzitierte Thema Gesangsqualität unserer Starriege sei hier angesprochen: zunächst einmal haben unsere Protagonisten keine klassische Gesangsausbildung und dafür machen sie ihre Sache prächtig und die Emotionen fließen hörbar in den Gesang ein.

Es ist aber alles eine Sache des Standpunktes. Man braucht auch kein ausgemachter Klassikfan zu sein, um aus gesangs-puristischen Gründen die eine oder andere Knödelei (gerade von Crowe) beim Singen bescheiden zu finden. TOP hingegen ist der Einsatz von Helena Bonham Carter und Sascha Baron Cohen als schräges Ehepaar. Gerade Cohen bringt ein wenig erfrischende Schrägheit in den sonst etwas oberflächlich und blutleer inszenierten LES MISÉRABLES.

Regisseur Tom Hoopers Handschrift ist in den vielen prägnanten Nahaufnahmen von Gesichtern deutlich erkennbar, welche sich dann wieder mit einer shaky-cam abwechseln. Seine Vorliebe für historisch angehauchte Stoffe konnten wir ja schon in THE KING’S SPEECH bewundern. LES MISÉRABLES kommt als ausgewachsenes Musical und historisch angelehnter Kostümfilm daher und greift sowohl bezüglich der kleinen Starriege mit Russel Crowe, Anne Hathaway, Hugh Jackman, Amanda Seyfried, Sasha Baron Cohen und anderen als auch mit dem verwendeten Budget in die Vollen. Ich hoffe, nun die Fans nicht so sehr verprellt und Unentschlossenen ein wenig unter die Arme gegriffen zu haben.

5,5/10 richtigen Tönen....äh,...Punkten

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