Quentin Tarantino betreibt in seinem neusten Streich Etikettenfälschung auf äußerst unterhaltsamem, aber nicht höchstem Niveau. Innerhalb seiner eigenen Filmografie rangiert „Django Unchained" (2012) lediglich im Mittelfeld. So spielt der titelgebende Django in seiner Hommage an den Spaghetti-Western eher die zweite Geige und auch ansonsten leistet sich der Meister der geschliffenen Endlosdialoge einige ungewohnte konzeptionelle Patzer. Der typisch absurden Komik räumt er diesmal überraschend viel Raum ein, was auch erstaunlicherweise gut mit der düsteren Sklaventhematik harmoniert. Solche und andere liebvolle Details hieven selbst einen mittelmäßigen Tarantino-Streifen qualitativ immer noch meilenweit über sonstigen Hollywood-Durchschnitt.
Der Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) befreit den Sklaven Django Freeman (Jamie Foxx), um mit seiner Hilfe einen Haufen gesuchter Verbrecher zu identifizieren. Aus der Zweckgemeinschaft entwickelt sich eine freundschaftliche Zusammenarbeit, so dass sich Schultz schließlich bereiterklärt, Django bei der Befreiung seiner Ehefrau Broohmhilda (Kerry Washington) zu helfen. Als Sklavenhändler getarnt, infiltrieren sie dazu die Farm des soziopathischen Plantagenbesitzers Calvin Candie (Leonardo DiCaprio). Doch dessen rechte Hand, der treu ergebene Haussklave Stephen (Samuel L. Jackson), durchschaut die Maskerade der beiden.
Zuallererst bleibt natürlich auch Tarantinos siebte Regiearbeit vor allem ein Tarantino-Film. Der Mann ist von einer Marke längst zu einem eigenständigen Genre mutiert, wobei die zahllosen Nachahmer (jüngstes Beispiel: „7 Psychopath") bis heute vor allem Tarantino mittlerweile fast 20 Jahre alte Gangstergroteske „Pulp Fiction" (1994) variieren. Wie kein anderer Hollywoodregisseur der Gegenwart versöhnt er dabei gleichermaßen Kritiker und Publikum, Kunst und Kommerz sowie Anspruch und Trash. Seine Ausnahmestellung als Regisseur bemisst sich auch daran, dass seine Filme trotz Starbesetzung in erster Linie über seine Person vermarktet werden.
Da bildet sein neuster Streich keine Ausnahme und so muss sich „Django Unchained" (2012) folgerichtig auch in erster Linie mit seinen früheren Werken, und erst dann mit anderen Western messen. Innerhalb seiner Filmografie reiht sich „Django Unchained" (2012) eher im Mittelfeld ein. Hauptproblem: Tarantino längster Spielfilm (165 Minuten) fühlt sich auch eindeutig wie sein längster an. Und das kann keine Kompliment für einen Regisseur sein, der es ansonsten spielend schafft zweieinhalb Stunden im Flug vergehen zu lassen. Schuld daran trägt vor allem die zweite Hälfte des Films. Hier trüben einige Längen und ein paar seltsame Drehbuchentscheidungen den Genuss merklich. Zudem schafft Tarantino es nicht, eine seiner größten Stärken in gewohnter Qualität auszuspielen, nämlich seine Charaktere in nervenzerrende Konfrontationen zu verwickeln. So gut Calvin Candie als schillernde Persönlichkeit funktioniert, als großer Antagonist zu Django und King-Schultz ist er über weite Strecken ineffektiv. Als Bösewicht wirkt er erst in Zusammenspiel mit seinem misstrauischen Haussklaven Stephen wirklich gefährlich. Diese eigentlich recht interessante Konzeption entwickelt sich spätestens im Finale zu einem wirklichen Eigentor. Dort müssen Candie und Stephen getrennt voneinander agieren, was beiden Figuren, insbesondere dem gebrechlichen Stephen beinahe jegliche Gefahr nimmt. Zudem wirkt der Showdown durch seine Zweiteilung gleichermaßen seltsam gestreckt wie kraftlos. Kurz: Es mag viel von „Django Unchained" im Gedächtnis, das Finale tut es unverzeihlicherweise nicht. Dies ist auch der größte Schwachpunkt gegenüber „Inglorious Basterds" (2009), mit dem er aus naheliegenden Gründen immer wieder verglichen wird. Wenn Hitler und seine Schergen im Kino erst erschossen und dann verbrannt werden, dann ist das ein Bilderbuchshowdown. Davon ist „Django Unchained" meilenweit entfernt. Ansonsten teilen beide Filme in der Tat einige Gemeinsamkeiten: Beide sind äußerst linear erzählt, beide suggerieren durch den Titel einen Remake-Charakter, beide bedienen sich eines historischen Settings, in beiden sind die titelgebenden Helden nur Glied innerhalb einer Kette schillernder Charaktere und in beiden spielt Christoph Waltz eine verkappte Hauptrolle. Wobei wir direkt beim größten Fluch und Segen von Django Unchained" (2012) sind. Christoph Waltz.
Der 56-jährige Österreicher ist seit seiner oscargekrönten Performance als cleverer Judenjäger Hans Landa zu neuen Tarantino-Muse avanciert und erhält in „Django - Unchained" nun noch mehr Raum, um seine skurrilen Manierismen auszuspielen. Zu viel Raum, denn bis zum Ende ist der eloquente Kopfgeldjäger und Mentor mehr als nur heimliche Hauptperson. Sie ist die treibende Kraft der meisten Szenen und unterm Strich einfach die interessantere Figur. Tarantino macht keinen Held daraus, dass ihn Dr. King Schultz weitaus mehr interessiert, als der eindimensionale Pistolero Django. Christoph Waltz nimmt diese Steilvorlage dankend an und erspielt sich mit seiner Darbietung nicht nur die Sympathien des Publikum, sondern vollkommen zu Recht auch seine nächste Oscar-Nominierung. Darüber hinaus ist es ihm zu verdanken, das „Django Unchained" Tarantinos mit Abstand komischster Film ist - wohlgemerkt einem Film, in dem es um die Gräueltaten der Sklaverei geht. Gleichzeitig raubt er als Sklaverei-Gegner und Kopfgeldjäger, Django und der gesamten Handlung einen Großteil an Entfaltungsmöglichkeiten. So macht Jamie Foxx als wortkarger Meisterschütze zwar keine schlechte Figur, ihm fehlt aber das markante Etwas, das im Gedächnis bleibt. Mitunter hat es den Anschein, Tarantino habe sich in Waltz mehr verliebt, als es dem Erzählfluss und den Rest seines Figurenarsenals gut täte. Besonders augenfällig wird dieser Umstand vor allem an der Figur „Broohmhilda von Shaft" (blass: Kerry Washington). Sie erhält praktisch gar keinen Raum für eigene Akzente - einige Szenen, die ihre gemeinsame Vorgeschichte mit Django beleuchten, fielen dem Schnitt zum Opfer. So bleibt von ihr in der Endfassung nicht viel mehr als ein geschundenes Häufchen Elend übrig, das wahlweise ängstlich dreinschaut oder in Ohnmacht fallen darf. So bleibt Broomhilda von Shaft als reichlich blasse Figuren kaum in Erinnerung - da helfen auch keine Namensbezüge auf den legendären Blaxploitation-Superdetektiv.
Historisch akkurat ist der Film natürlich nicht und will er auch gar nicht sein. Hier wird eine eigene Realität der USA im Jahre 1859 entworfen, in der mit Waffen, Sonnenbrillen und sonstigen Deko-Gegenständen hantiert, bzw. über Musik und Theaterstücke geredet wird, die z.T. erst etliche Jahre später erfunden wurden. Das alles passt zu Tarantino, der sich seit eh und je aus den passenden Versatzstücken einfach seine eigene Version einer popkulturelle Realität zusammenzimmert. Dazu gehört auch, Hip-Hop, der in der schwarzen Unterschicht entstanden ist, unter einen Sklaventreck zu legen. Auffällig ist jedoch, wie ernsthaft, akribisch und ambitioniert er die Sklavenproblematik während des gesamten Films thematisiert. Der Vorwurf von Spike Lee („Malcolm X"), Tarantino würde das ernste Thema Sklaverei zu Gunsten billiger Blaxploitation-Momente ausschlachten, erscheint vollkommen haltlos. Ohne erhobenen Zeigefinger wird schonungslos aber niemals voyeuristisch die gesamte menschverachtende Beiläufigkeit portraitiert, mit der die Sklaven andauernd physisch und psychisch erniedrigt werden. Darüber hinaus zeichnet Tarantino ein bemerkenswert differenziertes Bild von Sklaverei. Täter oder Opfer? Das ist hier keine Frage der Hautfarbe, Gute und Böse gibt es auf beiden Seiten. Damit hätten wir dann die nächste Parallele zu „Inglorious Basterds" (2007), in dem Til Schweiger ein „guter Nazi" sein durfte. Sklaverei und alle damit einhergehenden Gräueltaten sind gleich in mehrfacher Hinsicht das treibende Plotelement, der thematische Unterbau für den gesamten Film. Damit schafft sich Tarantino ein weitestgehend unverbrauchtes Szenario für das hinlänglich auserzählte Genre. So erklärte der Regisseur jüngst, dass die Sklavenproblematik bislang in Hollywoodwestern praktisch totgeschwiegen wurde und er mit „Django Unchanined" (2012) auch antreten will, um diese Lücke zu schließen. Unglaublich aber wahr: Tarantino, ansonsten kaum für politische Ambitionen bekannt, hat mit seinem Western offenbart auf diesem Gebiet ein echtes Sendungsbewusstsein.
„Django Unchained" gilt als ungewohnt linear erzählter Tarantinofilm. Tatsächlich verzichtet der Revolutionär der starren A-B-Schemas diesmal gänzlich auf ausufernde Rückblenden und Kapiteleinteilungen. Ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb Tarantinos Filmografie nimmt der Film damit gleichwohl nicht ein, so erinnert die strikte Zweiteilung der linear erzählten Handlung stark an „Death Proof" (2007) und „From Dusk Till Dawn" (1996), zu dem er das Drehbuch beisteuerte. Der mäandernde Erzählfluss ist weniger mit Corbuccis „Django" (1966), sondern eher am ehesten mit Sergie Leones Spaghetti-Klassiker „Zwei glorreichen Halunken" (1966) zu vergleichen, in dem Clint Eastwood und Eli Wallach ebenfalls durch zahllose recht unzusammenhängende Szenarien gejagt wurden. Django und King-Schultz kommen viel rum und reisen von staubigen Wüsten, verschneiten Berglandschaften, verschlammten Westernkaffs brennend heißen Baumwollplantagen und dekadenten Guthäuser n quasi durch ein Best-Of der unterschiedlichsten Westernszenarien. Dabei schafft es Tarantino immer, die Location sinnvoll in die Handlung einzubinden. Nur ein Klischee des Spagetti-Western spart Tarantino konsequent aus: Als wolle er dem Zuschauer sagen, dass in diesem Bereich schon alles gezeigt und gesagt wurde, verzichtet er auf die obligatorische epische Duellszene und kleidet seine Shootouts stattdessen in comichafte Gewalt, die wie immer so grotesk überzogen daherkommt, dass man sie nicht wirklich ernstnehmen mag.Ein erstklassiges Ensemble, ein großer Abwechslungsreichtum, gepaart mit Tarantinos Stärke im Bereich des Dialogwitzes machen den Film über eine Länge von etwa 2 Stunden zu einem sehr unterhaltsamen Vergnügen. Sobald es jedoch auf Candie Ranch geht, wirft Tarantino dann aber umso abrupter die erzählerische Handbremse rein, so dass sich die eine oder andere Länge einschleicht und irgendwann sogar Christoph Walz Eskapaden ein wenig redundant wirken. Deswegen ist „Django Unchained" (2012) beileibe kein schlechte Film, aber eben nicht der ganz große Wurf.
Daran werde ich mich erinnern: Die unmenschlichen Mandingo-Kämpfe.