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Es war einleuchtend und geradezu überfällig: Kaum ein Genre bietet sich für einen Remix derart an wie der Quentin Tarantino ohnehin schon lange stilistisch beeinflussende Italowestern, seinerseits Beispiel für interkulturelles Kino mit Anleihen verschiedenster Gattungen und Stile, von West (Western) bis Ost (Eastern) und einem Hang zum Skurrilen – also wie gemalt als Vorlage für den exzentrischen Cineasten Tarantino.

Und dann natürlich Django, ein Name wie ein Versprechen auf heiße Ware. Abgesehen vom Ur-Django mit Franco Nero unter der Regie von Sergio Corbucci wurde sein Klang quer durch die B-Sümpfe der Western-Erzeugnisse von Cinecittà & Co. nur zu gern in immer neuen Variationen als eine Art wiederkehrendes Label für die südeuropäischen Schießeisenorgien verschiedenster Antihelden benutzt. Einerseits kann der immer wiederkehrende Gebrauch insbesondere deutscher Verleiher des Namens Django als leicht durchschaubarer Marketing-Gag abgetan werden, die geneigten Liebhaber können sich dagegen noch immer an den teils kuriosen Film- und vor allem Sprachschöpfungen ergötzen: Django – die Bibel ist kein Kartenspiel; Django – die Geier stehen Schlange; Django und die Bande der Gehenkten... das ließe sich bekanntlich noch eine ganze Weile charmant fortsetzen, wobei keines der dahinter stehenden Werke an den einzig wahren Django herankommt und allesamt glücklicherweise recht wenig mit dem wesentlich gehaltvolleren aktuellen Beitrag Tarantinos zu tun haben. Aber auch wenn nun endlich "MC Tarantino", der ja schon zuletzt mit den "Inglourious Basterds" seine Vorliebe für harten Italo-Genrestoff in beeindruckender Weise neu abmischte und daraus etwas ganz eigenes schuf, auf den Django-Mythos rekuriert, so lässt sich zum Glück sagen, dass er bis auf einige obligatorische Verbeugungen und Zitate seinerseits etwas ganz Neues geschaffen hat.

Selbstverständlich geht es beim Liebling der Postmoderne äußerst stylisch zur Sache und so hübscht Tarantino seinen Django erst einmal mit der Coolness einer Blacksploitation-Hommage in Person von Jamie Foxx' auf, wobei sich diese Wahl natürlich vor allem durch das Sklaven-Thema sinnvoll begründet. Durch Quentin Tarantinos anhaltende und berechtigte Vernarrtheit in Christoph Waltz gerät der Django von Jamie Foxx daneben zwar beinahe etwas ins Abseits, doch grundsätzlich gefällt die Idee durchaus: Django entkommt mit der Hilfe von durch eben jenen Waltz verkörperten deutschstämmigen Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (der Doktortitel verweist auf seine nur noch als Tarnung fungierende Zahnarzt-Profession) seinem Sklavendasein in der düsteren Zeit kurz vor dem Sezessionskrieg. Jener Django nämlich soll ein paar miese Typen für Schultz identifizieren, damit der Zahnarzt der etwas anderen Art diese zur Strecke bringen und das üppige Kopfgeld einstreichen kann. Fortan ziehen beide als Bountyhunter-Bündnis durch die Lande bis schlussendlich Djangos Frau "Broomhilda" (Kerry Washington) aus den Fängen des Sklaven- und Plantagenbesitzers Calvin Candie (Leonardo DiCaprio) und seinen Schergen – allen voran seines treuen verschlagenen Obersklaven Stephen (großartig: Samuel L. Jackson) – befreit werden soll. Eine wesentliche Rolle spielt im Gefolge der Voraussetzungen eines Waltz erneut das feine Spiel zwischen englischer und deutscher Sprache – Tarantinos Faszination am deutschen Schauspieler, der am Deutschen ansich scheint ungebrochen und der Witz um "Broomhilde/Brunhilde" zielt in eine ähnliche Richtung. Den Gegenpart zum kultivierten Schultz stellt der vordergründig frankophile, aber in Wirklichkeit bloß auf überlegenden Zampano markierende Großgrundbesitzer und Veranstalter von Sklavenkämpfen auf seinem "Candyland" genannten Besitz, Calvin Candie, dar. Heimlicher Oberschurke ist jedoch Stephen, die Figur Samuel L. Jacksons, insbesondere aufgrund der Hautfarbe und der damit verbundenen Irritationen hinsichtlich des Kampfes gegen seine vermeintlich eigenen Leute. Dass die gesamte Operation schlussendlich nicht nur mit Geschick zu lösen ist, sondern dann doch eher durch ausufernde Gewalt vonstatten geht, bedarf keiner großen hellseherischen Fähigkeiten und ist weniger der Auffassungsgabe des eher tumben Candie als vielmehr besagten Sklavens Stephen zu verdanken – einer wirklich faszinierenden, oppurtunen Figur irgendwo zwischen Grima Schlangenzunge und Hans Landa, dem Judenjäger, nur diesmal in schwarz.

Der ehemalige Hans Landa, Christoph Waltz, wechselt nun gegenüber "Inglourious Basterds" gewissermaßen die Fronten der rassistischen Konfliktlinie, gibt nun so etwas wie den unbarmherzig aber weitgehend integer agierenden Gesellschaftskritiker einer aufklärerischen europäischen Hochkultur und seine messerscharfen wie kultiviert verpackten Mono- und Dialoge im Vorfeld einer jeden zumeist recht einseitig verlaufenden Schießerei lassen nicht so sehr schaudern wie etwa in der Anfangssequenz von Tarantinos Basterds. Vielmehr transportieren sie nun vor allem trockene Komik und cleveren Wortwitz, dass es eine Wonne ist und wodurch sich auch eine moralische Überlegenheit über das bestehende System der Sklaverei ausdrückt. Es sind wieder einmal diese zwischen den schier überbordenden Gewaltorgien gesetzten Rededuelle von Waltz mit seinem jeweiligen Gegenüber, welche vielleicht die eigentlichen Highlights darstellen.

Darüber hinaus baut Tarantino natürlich zahlreiche musikalische wie visuelle Anspielungen und genrespezifische Referenzen ein, reichert seine Mixtur mit Rapmusik und Sonnenbrillen an und lässt Altmeister Franco Nero wie wohl unvermeidlicherweise auch sich selbst in Erscheinung treten. Lediglich die bisweilen leicht unausgegorene Figurenzeichnung in Teilen des Nebencasts lassen ein paar Fragen offen und gewisse Schnitt-Opfer im Sinne der Straffung des Plots vermuten. Auch eine etwas unnötig an das eigentliche Finale angeklatscht wirkende Ehrenrunde Djangos, welche dem Film ein leicht weitschweifiges letztes Viertel und somit die lange Laufzeit beschert, muss sich Tarantino (der bezeichnenderweise in genau diesem Part selbst in Erscheinung tritt) vorwerfen lassen. Und dennoch: Trotz ernsthaftem Tatsachenhintergrund der amerikanischen Sklaverei des 19. Jahrhunderts ist "Django Unchained" vor allem großartiges, witziges, beinhartes, gepfeffertes Unterhaltungskino eines Künstlers der Neuinterpretation alter Stoffe und neuer Styles weit jenseits von seelenlosen Remakes oder unnötigen Sequels. Die Messlatte eines "Inglourious Basterds" war zuletzt einfach zu hoch, als dass Gram angebracht wäre, diese nicht noch einmal übertroffen zu haben. Wo es 1966 noch hieß: "Der mit dem Sarg ist da!", könnte heute der Wahlspruch lauten: "Der mit dem Swag ist wieder da!", und da fällt es auch nicht weiter ins Gewicht bzw. passt sogar ins Bild, dass sich Tarantino mal wieder eine angesichts der zuvor in "Siegfried und Brunhilde"-Manier erlittenen Strapazen seiner Figuren fast kindische Gestik à la "Death Proof" am Ende nicht verkneifen kann... (8,5/10)

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