Review

„Lieber ’n Augenblick feige als ein Leben lang tot!“

„Blutrausch“, 1973 unter der Regie des gebürtigen Kanadiers Silvio Narizzano in italienisch-britischer Koproduktion entstanden, ist ein harter, pessimistischer Kriminal-Thriller, der die beiden Filmstars Telly Savalas („Kojak“, „Der Teuflische“) und Franco Nero („Django“, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“) vor der Kamera vereint.

Die beiden Gangster Memphis (Telly Savalas) und Mosquito (Franco Nero) überfallen ein Juweliergeschäft. Dabei erschießt Memphis den Ladenbesitzer, bevor Maria (Ely Galleani, „Tote Zeugen singen nicht“) den Fluchtwagen mit den Ganoven durch eine wilde Verfolgungsjagd steuert. Als sie sich ein neues Fluchtfahrzeug „nehmen“, bemerken sie erst später, dass sich auf der Rückbank der kleine Lennox Duncan (Mark Lester, Black Beauty“) versteckt hat, dessen Eltern zur einflussreichen Oberschicht gehören. Es beginnt eine langwierige Flucht vor der Polizei, die ihnen immer dichter auf die Fersen kommt. Und es entwickelt sich ein destruktives Sozialgefüge zwischen beiden Ganoven, dem von seinem goldenen Käfig gelangweilten Lennox, der vom gesetzlosen Leben fasziniert ist, und Mosquitos Freundin Maria, die dem soziopathischen Memphis wie so vieles andere auch ein Dorn im Auge ist…

Die harte Marschrichtung macht „Blutrausch“ von Beginn an unmissverständlich klar, wenn es zur blutigen Ermordung des Juweliers und anschließender rasanter Verfolgungsjagd mit hohem Blechschaden kommt. Doch fortan arbeitet Narizzano bzw. das Drehbuch einige weitere, hochinteressante Aspekte heraus und erweitert den Film um Versatzstücke aus einem Sozialdrama und einem Road-Movie, der er im Prinzip auch ist. Während sich Mosquito als gar nicht mal so übler Kerl entpuppt, wird Memphis immer mehr zum abgefuckten Sadisten. In ihrem Leben außerhalb der Gesellschaft sind beide jedoch auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen und gezwungen, ihr Leben auf der Flucht gemeinsam zu bestreiten. Lennox ist dabei das andere Extrem, ein unschuldiger Junge aus „gutem Hause“, der allerdings wenig Interesse an seinem bisherigen, emotional vernachlässigten Leben hegt und in Mosquito ein größeres Vorbild erkennt als im leiblichen Vater. Auf der Flucht mit den beiden wird er, trotz seines Geisel-Status, ein Stück weit erwachsen. Der Junge und Mosquito nähern sich einander an, Mosquito und Memphis entzweien sich mehr und mehr. Immer wieder entgleitet Memphis’ Wahnsinn Mosquitos Kontrolle oder vielmehr „Schadensbegrenzung“. Memphis gibt Mosquito die Schuld für eigene Fehler und ist eine tickende Zeitbombe, die immer wieder explodiert und sowohl Memphis, als auch Lennox mit in den Abgrund zu reißen droht.

Narizzano inszenierte seinen Film konsequent bösartig bis verstörend. Grundsätzlich ist vom Schlimmsten auszugehen, das quasi immer eintritt. Mehrfach sterben Unschuldige, insbesondere die Szene mit den deutschen Campern, deren Wege das Trio kreuzt, ist schwer zu verkraften. Die Menschlichkeit, die den Charakteren innewohnt, wird immer wieder mit Füßen getreten von Memphis’ Aggression und Hass. Anflüge von Verständnis und Empathie für Memphis werden im jeweils nächsten Moment zunichte gemacht, bis die Polizei irgendwann nicht mehr grundsätzlich ein paar Schritte zu spät ist, sondern einen düsteren, traurigen, pessimistischen Showdown einleitet. Bis dahin dominieren zwei ausgesprochen talentierte Schauspieler das Geschehen, die sich gegenseitig die Bälle zuspielen und einmal mehr ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Narizzano versteht es gut, mit beiden umzugehen, sie innerhalb seiner ansonsten „nur“ soliden Regie in Szene zu setzen. Dabei wird so manches Tabu gebrochen, wenn Memphis’ wortwörtlicher „Blutrausch“ sich Bahn bricht. Spannend und letztlich wenig vorhersehbar konstruiert, wenn auch in seinem bitteren Ende erahnbar, flocht man die ein oder andere Überraschung ein, beispielsweise einen sehr effektiven, gruseligen Schreckmoment, wenn Memphis wie ein Dämon unerwartet an einem Fenster auftaucht. Manch eine(n) wird es auch interessieren, dass Neros Kehrseite komplett entblößt zu begutachten ist. Einen Bock nach dem anderen schießt jedoch die deutsche Bearbeitung: Die Synchronisation von Karlheinz Brunnemann klamaukt und kalauert sich in bester bzw. übelster Rainer-Brandt-Manier durch die Dialoge und rückt den Film in die Nähe einer albernen Komödie. Insbesondere, was man Savalas in den Mund legte, spottet jeder Beschreibung, unfassbar unpassende Sprücheklopfereien laufen dem Geschehen vollkommen konträr. Die Korrespondenz der Polizei hingegen wurde gar nicht erst synchronisiert, auch andere Szenen bleiben ohne deutsche Übersetzung, während Memphis plappert wie ein Wasserfall. Glücklicherweise lässt der Klamauk im späteren Verlauf etwas nach. Zudem sind einige Nachtszenen verdammt dunkel, wobei ich nicht weiß, ob dies so intendiert war oder man für die deutschen VHS-Auswertungen nachdunkelte. So kultverdächtig die deutsche Synchronisation für sich betrachtet erscheinen mag, so sehr leistet sie diesem in großen Teilen sehr gelungenen, besonderen Film einen Bärendienst.

Fazit: Hartes, bewegendes, bisweilen einfühlsames Gangster-Road-Movie-Drama mit zwei Weltklasse-Schauspielern in den Hauptrollen, das enorm unter dem deutschen Synchro-Trash leidet – damit jedoch eine andere Zielgruppe anspricht, die gewiss nicht enttäuscht werden wird. „Der Teufel scheißt immer ins selbe Loch!“

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