„So'n Verrückter, aber trotzdem sehr sympathisch...“
In die Phase des sich vom Neorealismus zugunsten komödiantischerer Kost langsam lösenden italienischen Nachkriegskinos fällt der 1962 veröffentlichte und vom Autoren-Trio Ettore Scola, Ruggero Maccari und Dino Risi geschriebene Road Movie „Verliebt in scharfe Kurven“, bei dem letztgenannter die Regie führte.
„Sie rauchen wirklich nicht? Das werden Sie eines Tages bereuen!“
Rom, 15. August, der Feiertag Ferragosto: Die Straßen sind wie ausgestorben, die Städter machen Ferien. Einsam kurvt Bruno (Vittorio Gassman, „Bitterer Reis“) mit seinem Cabriolet an diesem Hochsommertag durch die Hauptstadt, bis er an einem geöffneten Fenster den Studenten Roberto (Jean-Louis Trintignant, „Mitternachtsparty“) erblickt. Er bittet ihn, eine Marcella für ihn anzurufen, mit der er sich eigentlich verabredet habe. Roberto bittet ihn hinein, damit Bruno das Telefonat persönlich führen kann, doch dieser erreicht niemanden. Daraufhin überredet er den zurückhaltenden Roberto, ihn ein Stück in seinem Cabrio zu begleiten. Der zweifelnde Student willigt schließlich ein und kurvt mit dem die Verkehrsregeln nicht allzu genau nehmenden und ständig aufs Gas drückenden Lebemann Bruno durchs fast menschenleere Rom und schließlich über Landstraßen, auf denen sie einem Auto mit zwei jungen deutschen Frauen in Richtung Toscana folgen. Der Trip des ungleichen Duos wird zu einer interessanten Erfahrung Robertos, der schließlich auch Brunos Vergangenheit kennenlernt...
„Deutsche Frauen sind große Klasse!“
Vom irreführenden deutschen Titel sollte man sich nicht irritieren lassen, denn mit einer schlüpfrigen oder anzüglichen italienischen Komödie hat man es hier nicht wirklich zu tun. Zunächst lernt man zwei gegensätzliche Charaktere kennen, die sich miteinander anfreunden: Der sehr extrovertierte Bruno vermittelt erst einmal den Eindruck eines selbstgefälligen Großkotzes, verfügt aber auch über ein sehr einnehmendes, gewinnendes Wesen, entspricht nach außen hin dem Typus eines dauerfröhlichen Dampfplauderers, der überall sofort im Mittelpunkt steht und dieses bewusst forciert und genießt. Ein Weiberheld und Schürzenjäger, oberflächlich und hedonistisch – ein verantwortungsloser Hallodri. Roberto scheint das exakte Gegenteil zu sein, überaus introvertiert, allein schon aufgrund seiner Schüchternheit erfolglos bei Frauen, ein pflichtbewusster Eigenbrötler, der gern und häufig übersehen wird. Seine zweifelnden Gedanken vertont Risi aus dem Off, denn aussprechen tut Roberto sie natürlich nicht, schon gar nicht Bruno gegenüber. Die sich entwickelnde, jedoch stets oberflächlich bleibende Freundschaft zwischen beiden ist aufgrund ihrer Gegensätzlichkeit unterhaltsam zu verfolgen. Ob es sich um einen Filmfehler handelt, als Bruno eine Telefonnummer nennt, jedoch eine Ziffer zu wenig wählt, sei dahingestellt.
„Bei seinem ersten Besuch auf dem Mond wird Chruschtschow einen Immobilienhändler vorfinden!“
Als sich „Verliebt in scharfe Kurven“ in Richtung Road Movie entwickelt, wirkt er wie eine beispielhafte Studie über geltungssüchtige Italiener im Straßenverkehr: Bruno hat einen Plattenspieler im verdeckfreien Automobil und fährt nicht nur schnell, sondern auch wild hupend und die Verkehrsregeln sind ganz sicher nicht für ihn gemacht. Doch bei aller scheinbaren Ziellosigkeit entwickelt sich der Film in eine andere Richtung. Zwar fährt man zunächst lediglich etwas essen, doch im Anschluss besucht man spontan Robertos Verwandtschaft, was den persönlichen Bezug zu Roberto verstärkt. Eigentlich endet für ihn damit auch der kurze Abenteuertrip und er möchte mit dem Zug zurückfahren, lernt jedoch am Bahnhof die attraktive Claretta kennen, die er sich – mutmaßlich noch unter Eindruck Brunos stehend – anzusprechen traut, worauf sie zwar nicht ablehnend reagiert und sich auch kurz auf den Flirt einlässt, bald jedoch von ihrem Bruder abgeholt wird und damit genauso schnell wieder aus Robertos Leben tritt, wie sie hineingekommen war. Roberto wertet dies anscheinend dennoch als Erfolg, was ausgehend von seinen Kontaktschwierigkeiten durchaus verständlich ist. Er entscheidet sich spontan, zu Bruno in den Tanzschuppen zurückzukehren, wo dieser in eine Schlägerei gerät, in die sich Roberto nach kurzem Zögern einmischt.
Betrunken fahren sie zu Brunos Ex-Frau Gianna, deren Ehe noch nicht annulliert wurde. Brunos fünfzehnjährige Tochter Lilly (Catherine Spaak, „Süße Begierde“) kreuzt mit ihrem älteren Freund auf – und mit Bruno geschieht etwas Bemerkenswertes: Obwohl er jahrelang nicht mehr für sie da war, führt er sich plötzlich als patriarchalischer Spießbürger auf. Zwischen Strandparty direkt vor der Tür und einer ungeklärt wirkenden Beziehung zur Ex-Frau nähern sich Bruno und Lilly wieder aneinander an und führen gute Gespräche. Lillys älterer Freund hat es bereits zu etwas gebracht und wirkt auch dadurch attraktiv und es wird deutlich, dass Bruno das nicht ganz geheuer ist – denn es ist noch einmal eine ganz andere Art von Kontrast seiner eigenen Persönlichkeit gegenüber als der Robertos, der mittlerweile längst von ihm eingenommen ist und zu ihm bewundernd aufschaut, wenngleich er sich noch immer so zugeknöpft gibt, dass er am Strand sämtliche Kleidung anbehält. Auf eine eigenartige, unverbindliche Weise scheint Bruno den Aufenthalt bei seiner Familie aber wertzuschätzen.
Halbwegs konzentrierten Zuschauern dürfte derweil nicht entgangen sein, wie der von Riz Ortolani mit bläserlastigen Big-Band-Klängen unterlegte Film nach und nach Bruno ein gutes Stück weit entzaubert, seine beschwingte Genusssucht und aufdringliche Laissez-faire-Einstellung als Schutzpanzer dekonstruiert hat, unter dem er seine eigene Tragik verbirgt: Im Endeffekt ist Bruno nämlich weder ein guter Ehemann und Vater noch ein erfolgreicher Playboy, der jeden Tag eine andere vernascht – wenngleich er sich für diesen Lebensentwurf entschieden zu haben scheint. Dies verleiht dem Film eine weitere, laut Filmkennern die entscheidende Ebene: Ein Portrait des sich im wirtschaftlichen Aufschwung befindenden Nachkriegs-Italiens in Zeiten eines gesellschaftlichen Umbruchs hin zu größerer persönlicher Freiheit und Individualität bei gleichzeitigem Abbau autoritärer und klerikaler Einflussnahme, worin sich die Menschen neu zu orientieren versuchen – und der Oberflächlichkeit der neuen Leichtigkeit des Seins, der Sehnsucht die sich hinter ihr verbirgt sowie der neuen Bedürfnisse und Träume, die sich aus ihr entwickeln. Wer die Empathie besitzt, dies auch heute noch nachempfinden zu können und sich vielleicht sogar der Herausforderung ausgesetzt sieht, bisweilen noch immer ähnlich zu empfinden, hat das Glück, über den filmhistorischen Kontext hinaus auch emotionalen Zugang zu diesem nicht mehr ganz taufrischen Schwarzweißfilm zu finden.
Als die beiden Männer endlich zusammen zurückfahren, betont Roberto, dass dies die besten beiden Tages seines Lebens gewesen seien. Er will frohen Mutes zu seinem Schwarm Valeria, doch dazu kommt es nicht mehr: Sie fahren wieder wie die Henker und es kommt zu einem folgenschweren Autounfall, bei dem Bruno herausgeschleudert wird, aber Roberto mitsamt dem Auto die Klippen herunterstürzt und stirbt. Dies geschieht auf eine solch abrupte Weise, dass man sich als Zuschauer vor den Kopf gestoßen fühlt. Risi und Co. werden das jedoch nicht als Moralismus verstanden haben wissen wollen. Welche Intention dem zugrunde lag, welche Bedeutung es für die Charaktere des Films hat und welche Aussage ihm innewohnt, bietet Anlass zu Gedankenspielen, unterstreicht jedoch vor allem die tragische Ausrichtung, die dieser Film aller (übrigens darstellerisch hervorragend) gespielten Fröhlichkeit zum Trotz hat.