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Gleich zu Beginn fragt Bruno (Vittorio Gassman) den jungen Studenten Roberto (Jean - Louis Trintignant), während sie rasant in seinem Cabriolet unterwegs sind, ob er "L'eclisse" (Liebe 1962) von Antonioni gesehen hätte. Noch bevor dieser richtig antworten kann, lobt Bruno den Film als wunderbare Einschlaf - Droge.

Diese Anspielung auf den kurz zuvor entstandenen Film, verfolgt zwei Motive. Zum Einen charakterisiert sie Bruno als einen Menschen, für den Kultur nur Zeitverschwendung ist, was er noch mit weiteren Bemerkungen zu etruskischen Gräbern oder Berglandschaften untermauert, andererseits leistet sich "Il sorpasso" damit einen Seitenhieb auf den künstlerisch ambitionierten Film, der bei Kritikern einen deutlich höheren Stellenwert hatte, als ein komödiantisch angelegter Film wie "Il sorpasso", dabei verkennend, das selten ein genaueres Abbild der italienischen Realität gelang.


Michelangelo Antonioni und die „Commedia all’italliana“

Ausgehend vom Stil des Neorealismus, der politisch motiviert als Reaktion auf den Faschismus entstanden war, hatten sich die Stilmittel in der Darstellung der Realität schon Ende der 40er Jahre verändert, nicht zuletzt dank der Auflage der gewählten christlichen Regierungspartei, kommunistisch orientierte Filme nicht mehr zu fördern. Filme wie "Riso amaro" (Bitterer Reis, 1949) oder "Miracolo a Milano" (Das Wunder von Mailand, 1951) verbanden die Darstellung der Missstände mit unterhaltsamen Geschichten und Sentiment oder betonten den Starkult, bei gleichzeitiger Zurückhaltung politischer Motive, womit die Popularität an der Kinokasse deutlich zunahm und Hollywood ebenfalls Interesse zeigte, was in deren Zusammenarbeit mit Vittorio de Sica gipfelte ("Stazione Termini" (Rom, Station Termini, 1953)).

Während Regisseure wie Luchino Visconti, Roberto Rossellini oder Michelangelo Antonioni den neorealistischen Stil individuell weiter entwickelten, ohne sich einem politischen oder ästhetischen Diktat zu beugen, entstand parallel eine eigene Stilrichtung, die ihre Kritik an der italienischen Gesellschaft hinter unterhaltsamen, komödiantischen Geschichten verbarg. Besonders an den Drehbüchern Ettore Scolas bis weit in seine eigenen Regiearbeiten hinein, lässt sich diese Entwicklung ablesen, aber auch eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Genres lässt sich feststellen.

Regisseur Dino Risi hatte 1953 gemeinsam mit Antonioni "L'amore in città" (Liebe in der Stadt) gedreht, und die Autorin Suso Cecchi D'Amico hatte nicht nur dessen Drehbücher zu "I vinti" (Kinder unserer Zeit, 1953) und "Le amiche" (Die Freundinnen, 1955) mit verfasst, sondern kam auch aus der Tradition des Neorealismus (unter anderen "L' onorevole Angelina" (Abgeordnete Angelina, (1947)), arbeitete in den 50er Jahren intensiv mit Visconti und Francesco Rosi zusammen und beteiligte sich am Drehbuch von "I soliti ignoti" (Diebe haben's schwer, 1958) von Mario Monicelli, einem herausragenden Film dieses Genres, dem später das Etikett "Commedia all'italiana" angeheftet wurde.

Ettore Scola, der gemeinsam mit Ruggero Maccari eine Vielzahl von Drehbüchern in den 50er Jahren schrieb, entwickelte seinen Stil vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Antonio Pietrangeli, den er bis zu dessen frühen Tod 1968 in fast allen Filmen begleitete. Nach der eher harmlosen Komödie "Il scapolo" (1956) verband die Geschichte über die Prostituierten, die nach dem Verbot von Bordellen in Italien gemeinsam ein Restaurant eröffnen, ("Adua e le compagne" (Adua und ihre Gefährtinnen, 1960)) geschickt Komödie und Realität, aber besonders Pietrangelis "La parmigiana" ( Das Mädchen aus Parma, 1963) und "Io lo conoscevo bene" (Ich habe sie gut gekannt, 1965) erinnern in ihrem zeitgenössischen Stil, der seine Tragik unter einer äußeren Leichtigkeit verbirgt, an "Il sorpasso".

Mit Dino Risi hatte Scola zuvor "Il mattatore" (1960), auch mit Vittorio Gassman in der Hauptrolle, entwickelt, eine Zusammenarbeit, die weit über "Il sorpasso" hinausging. Seine Verbundenheit mit Risi und Gassman, aber auch mit Mario Monicelli, der ähnlich wie Scola versuchte, den Abgründen hinter dem fröhlichen Augenschein nachzuspüren, zeigte sich Jahre später noch in dem gemeinsamen Film "I nuovi mostri" (Viva Italia!) von 1977, der sich als Weiterentwicklung von Risis "I mostri" (1963) verstand und den Blick auf die neuen "Monströsitäten" der italienischen Gegenwart warf. Diese Beispiele, die nur einen Eindruck der gegenseitigen Beeinflussung wiedergeben können, sollen verdeutlichen, wie nah sich Anfang der 60er Jahre die Werke von Antonioni und der Commedia all’italiana trotz der verschiedenen Ästhetik und Erzählform inhaltlich standen. Vergleicht man konkret „Il sorpasso“ mit „Il grido“ (Der Schrei, 1957) zeigen sich Parallelen – die Gestaltung als Road – Movie und der Blick auf den sich verändernden Status der Geschlechter.

Das es sich bei der Anspielung auf „L’eclisse“ zudem weniger um eine Kritik, als um ein Spiel mit der Wahrnehmung handelte, wird zudem an einer späteren Bemerkung Brunos erkennbar, als er nach Sophia Loren gefragt wird, der damals populärsten Schauspielerin in Italien. Diese ordnet er in seinem Interesse ebenfalls in der Nähe der etruskischen Gräber ein, im Prinzip ein Widerspruch zu seiner Aussage zu Antonionis Film und zu seinem Charakter als vergnügungssüchtigem Großstädter. Weniger die Vergleiche zu den Kunstfilmen Antonionis, als die internationale Vereinnahmung von Filmen wie „I soliti ignoti“ oder „Divorzia all’italiana“ (Scheidung auf italienisch, 1961) unter einer Vielzahl von Komödien, die sich der italienischen Folklore bedienten und in den 50/60er Jahren erfolgreich waren, klingen hier an - oft mit Sophia Loren in der Hauptrolle.

Deutlich wird das auch an dem deutschen Titel „Verliebt in scharfe Kurven“, der nichts mit dem Originaltitel „Il sorpasso“ zu tun hat, der auf „das Überholen“ anspielt, sei es konkret im Straßenverkehr oder in der italienischen Gesellschaft, die sich Anfang der 60er Jahre nach einem Jahrzehnt des Wirtschaftswachstums in einem permanenten Überholmanöver befand. Trotzdem verstieg sich der Kritiker der FAZ damals zu der Bemerkung „der Originaltitel deute die positiven Seiten, während der deutsche Titel den Schwächen entspräche“, als wäre es möglich, das komplexe Gebilde des Films in einen ernsthaften und einen oberflächlichen Teil zu dividieren, ganz abgesehen davon, das es auch inhaltlich keinerlei Übereinstimmung zu der sexuellen Anspielung des deutschen Titels gibt, der fälschlicherweise den Charakter einer oberflächlichen Komödie vermittelt.

In Italien, wo man die vielen Anspielungen auf den Alltag besser verstand, war „Il sorpasso“ sowohl bei den Kritikern, als auch dem Publikum sehr erfolgreich, aber unabhängig von dem Wissen darüber, das erst 1957 in Italien das Verkehrsrecht eingeführt wurde, was auch Brunos Ignoranz gegenüber den Verkehrsregeln erklärt, oder die Tatsache, das erst ab 1970 Scheidungen möglich waren, weshalb dieser trotz der jahrelangen Trennung von seiner Frau noch verheiratet ist, liegt die Stärke des Films in seiner generellen Betrachtung einer modernen Gesellschaft, die bis heute und über Italien hinaus seine Gültigkeit bewahrt hat.


Männer

Bruno und Roberto sind als gegensätzliche Typen angelegt. Während der Jüngere auch während des heißen Sommermonats August, in dem Rom traditionell entvölkert ist, weil sämtliche Einwohner ihre Ferien am Meer verbringen, brav für seine Jura – Prüfung lernt, ist der etwa 40jährige Bruno in seinem Cabriolet unterwegs, um sich mit einer Frau zu treffen, die aber nicht erscheint. Ihre Begegnung ist zufällig, aber gleichzeitig folgerichtig, denn außer ihnen scheint sich Niemand in dem völlig ausgestorbenen Stadtteil von Rom aufzuhalten. Roberto bietet Bruno an, die Frau von seinem Telefon aus anzurufen, was ergebnislos bleibt, worauf Bruno den Studenten überredet, mit ihm ein Stück im Cabriolet zu fahren.

Die Leere der Stadt steht symbolisch für die innere Einsamkeit der Männer, auch wenn diese nicht vordergründig auffällt. Bei Roberto wirkt sie selbst gewählt, auf Grund seines Bemühens um einen erfolgreichen Studienabschluss, während Bruno mit Aktionismus und eloquentem Gerede jeden Eindruck von Langeweile zu überdecken versucht. Doch das Zusammenkommen dieser unterschiedlichen Charaktere wäre nicht möglich, ohne ihre jeweilige innere Bedürftigkeit – Roberto lässt sich, trotz der inneren Stimme der Vernunft, gerne von Bruno dazu drängen, etwas zu erleben, während dieser Jemanden braucht, der ihn begleitet, letztlich austauschbar. Und schon bald befindet er sich mit seinem Lancia Aurelia B24 wieder auf der Überholspur, jede Verkehrsregel missachtend, aber sein Cabriolet ist nicht mehr neu und wirkt beschädigt mit dem unlackierten Kotflügel – einen Eindruck, den auch sein Fahrer vermittelt.

Vittorio Gassman gelingt es großartig, einen Mann zu verkörpern, der ständig unter Strom zu stehen scheint, dessen Erfolgsattitüde sich als Täuschung herausstellt, der rücksichtslos, oberflächlich und voller Vorurteile agiert und redet, aber trotzdem sympathisch bleibt. Er ist gleichzeitig von einer entwaffnenden Ehrlichkeit, spielt mit der eigenen Unzulänglichkeit, um im nächsten Moment dieses Verhalten wieder für den eigenen Vorteil zu nutzen. Vordergründig verkörpert er in seiner Bindungslosigkeit – er lebt schon lange von seiner Frau und Tochter getrennt – und seinem hedonistischen Drang nach Selbstbestätigung, den modernen Menschen und damit die Veränderungen in der italienischen Nachkriegsgesellschaft, während der gut erzogene, bescheidene Roberto, der weder einen Führerschein, noch eine Freundin hat, noch den altmodischen Gestus eines geordneten Lebenswandels verfolgt.

Doch Scola, Maccari und Risi ging es nicht um die Gegenüberstellung zweier Prototypen, sondern um Komplexität. Als sie bei ihrer Tour, die sie von Rom in die Toscana führt, bei Robertos Verwandten auftauchen, die dieser auch schon einige Jahre nicht mehr gesehen hatte, zeigen sich erste Risse in dessen Wahrnehmung. Die heile Welt, die er in Erinnerung hatte, und die ihm Vorbild war, wird zur Vortäuschung falscher Tatsachen. Der Konservatismus der Anwesenden trieft geradezu aus ihren Gesichtern, während Bruno ihn darauf aufmerksam macht, dass eines der Kinder seiner Tante (Linda Sini) offensichtlich nicht von deren Mann, sondern vom Verwalter, abstammt. Robertos bisheriges Leben war nicht selbst bestimmt, sondern nur die Folge von Erwartungen. Das macht ihn empfänglich für Brunos Aktionismus, obwohl er ihn durchschaut, denn vieles, was Bruno einfach ausspricht, entspricht seinen heimlichen Gedanken, die ihn der Film laut denken lässt, wodurch es zunehmend deutlich wird, das sie sich ähnlicher sind, als es äußerlich erscheint.

Begleitet von zeitgenössischer Musik, tanzenden, feiernden und am Strand liegenden Menschen, treiben sie durch ein Land, das Ferien macht, wobei sie auch auf erfolgreiche Männer treffen, die in ihrer Selbstüberschätzung und offensichtlichen Nähe zum faschistischen Gedankengut der Mussolini-Zeit wesentlich unsympathischer wirken.


Und auch wenn sie in „Il sorpasso“ scheinbar nur eine Nebenrolle einnehmen, ist ihr Verhalten entscheidend für das Charakterbild der Männer - die

Frauen

Als Bruno von Roberto erfährt, das sich dessen Frauenkontakt auf die Schwärmerei für eine junge Frau aus dem Haus gegenüber beschränkt, mit der er erst einmal gesprochen hatte, amüsiert er sich noch über ihn, aber seine Erfolge bleiben weit hinter seinen sprachlichen Ankündigungen zurück. Schon in Rom war er versetzt worden und die Verfolgungsjagd zweier deutscher Touristinnen, die die beiden Männer von Rom in die Toskana führt, endet ausgerechnet in dem Moment, als diese anhalten. Bruno folgt ihnen noch auf das mondäne Grundstück, zieht sich dann aber – auch zum Erstaunen der Frauen – plötzlich zurück. Man könnte annehmen, dass die Frauen Bruno ablehnen, aber das ist nicht der Fall. Auch seine Frau (Luciana Angiollilo), die er nachts in ihrem Haus überraschend besucht, hegt keinen Groll gegen ihn, selbst als er es noch einmal ungeschickt bei ihr versucht.

Zwischen den Geschlechtern entstehen keine Beziehungen. Die Frauen nehmen die Männer nicht ernst und diese wollen nur Spaß haben. Wenn es nicht klappt, dann bleibt immer noch das Auto, dessen Stellenwert bei den Männern höher scheint. Die einzige Ausnahme bildet für Bruno seine Tochter Lilly (Catherine Spaak), die begleitet von einem deutlich älteren, wohlhabenden Mann nach Hause kommt, den sie zu heiraten gedenkt. Bruno ist konsterniert, weil er seine Position als Vater in Frage gestellt sieht, obwohl er als solcher praktisch kaum vorhanden war. Als er am nächsten Tag den zukünftigen Bräutigam beim Tischtennis schlägt, worüber auch seine Tochter jubelt, ist die Welt für ihn wieder in Ordnung. Die Tragik liegt nicht etwa in der Oberflächlichkeit der Beziehungen, die durchaus von Sympathie geprägt sind, sondern darin, diese gar nicht mehr in Frage zu stellen. Auch Lilly redet nicht von Liebe, wie auch sonst Niemand, sondern einzig Aspekte wie Sicherheit und Status bleiben für Jeden von Bedeutung, so unterschiedlich die Ansprüche sind.

Wie weit der Film von einer typischen Komödie entfernt ist, wird an Roberto deutlich, der sich als Gegenpol zu Bruno anböte. Trintignant, der in vielen Filmen als junger Liebhaber besetzt wurde („Estate violenta“, (Wilder Sommer, 1959)), begegnet auch in „Il sorpasso“ einigen jungen Frauen, aber diese zeigen an ihm nie wirklich Interesse. Sehr schön wird das in einer Szene deutlich, als sich Roberto erstmals wagt, eine Frau anzusprechen, die er an dem kleinstädtischen Bahnhof antrifft. Er stellt sich keineswegs ungeschickt an und sie flirtet mit ihm, aber dann entfernt sie sich einfach, weil ihr Bruder sie abholt. Trotz der offensichtlichen Erfolglosigkeit der beiden Männer, verlieren diese nur selten ihre gute Laune – im Gegenteil, als sie wieder rasend auf der Überholspur unterwegs sind, spricht Roberto von den schönsten zwei Tagen seines Lebens.


„Il sorpasso“ ist ein sehr genaues Abbild Italiens Anfang der 60er Jahre mit vielen Anspielungen an den damaligen Zeitgeist und geprägt vom Wandel der Gesellschaft parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung. Scola und Risi konnten noch nicht ahnen, das die technische und wirtschaftliche Entwicklung die Unterschiede zwischen den Ländern weiter nivellieren würde, weshalb die hier beschriebenen Charaktere, von lokalen Eigenheiten einmal abgesehen, eine generelle Gültigkeit erlangten. „Il sorpasso“ hat entsprechend nichts von seiner Aktualität verloren.

Die damalige Kritik, der Film würde sich mit dem Tod eines der Protagonisten vor einer Lösung drücken, wirkt heute geradezu absurd, denn keinen Moment vermittelt „Il sorpasso“ den Eindruck, es gäbe die Möglichkeit einer Katharsis. Und das für viele Betrachter des Films in Deutschland - unter dem Titel „Verliebt in scharfe Kurven“ - der Tod Robertos am Ende dieser Komödie unpassend und überraschend vorkam, lässt nur deutlich werden, wie sehr sie sich schon dem Charakter der Protagonisten angenähert hatten. Die Tragik in seinem Tod ist nicht das Unglück selbst, sondern das er bedeutungslos bleibt.(10/10)

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