Cuarón gelingt etwas schier Unmögliches dieser Tage, etwas, das allenfalls den Ahnen und Urahnen seiner Profession noch gelungen war: Er dressiert das auf Eventkino erzogene Publikum nach nur wenigen Sekunden, womöglich hypnotisiert er es sogar. Ein anschwellender Orchesterton implodiert und hinterlässt absolute Stille - nicht nur auf der Leinwand, die ausdrücklich von jedem Transport des Schalls absieht, sondern auch im Kinosaal, der praktisch dazu gezwungen wird, die Klappe zu halten. Ein Funkgespräch erahnt man ebenso dezent wie einen weißen Punkt am schwarzen Bildhorizont vor der großen blauen Kugel, bis beides lauter beziehungsweise größer wird. Nur zaghaft. Eigentlich zu zart und nuanciert, um neben all den Krawallspektakeln in den anderen Sälen seinen Platz zu finden.
Die große Regel der alten Meister, man müsse sein Publikum gleich zu Beginn packen, macht der "Children Of Men"-Regisseur auf eine Weise wahr, die heute beispiellos ist. Das gewährt ihm massig Freiraum für seinen großen Spielplatz, eine perlenkettenartige Abfolge von unfassbar aufwändigen Plansequenzen, die das Atmen und Blinzeln vergessen lassen. Gerade die Kameraarbeit zieht alle Register und wendet auch nie gesehene perspektivische Tricks an, um das Erlebnis Weltraum so erfahrbar wie nur möglich zu machen. Die Erde ist weit, weit weg, auch weil sie nie wirklich als Schauplatz dient, sondern eine Aussicht in der Ferne bleibt.
Auf dieser Ebene ist "Gravity" praktisch makellos, so rein, einfach und reduziert wie nur möglich. Formell hat der Film all seine Vorschusslorbeeren ohne jeden Zweifel verdient; wann wurde der Versuchung, unnötigen Ballast in Form nutzloser Nebenschauplätze mitzuschleifen, zuletzt so konsequent widerstanden?
Die federleicht durch Schrottpartikel tauchende und kreiselnde Kamera, angefeuert durch ein Orchester, das eher durch schwelende Laut-Leise-Übergänge Akzente setzt als durch besondere Kompositionen, die spröde Anhäufung von Zufällen, das neutrale Schwarz und das matte Funkeln der Sterne lässt den allgegenwärtigen Tod, vielleicht das Thema des Films, als ein neutrales, teilnahmsloses Ereignis erscheinen. Hier setzt Cuarón zu einer philosophischen Frage an, die er leider im späteren Verlauf mit einem allzu offensichtlichen psychischen Überlebenskampf der Hauptdarstellerin zu untermauern versucht. Problematisch auch, dass die wenigen großen Blöcke, aus denen „Gravity“ besteht, niemals ganz die grünen Leinwände vergessen lassen, vor denen Clooney und Bullock geschwebt haben müssen; man muss lediglich Schwarz gegen Grün tauschen und gewinnt einen lebhaften Eindruck davon, wie die offenbar mit einer schweren Hypothek an choreografischer Vorarbeit belasteten Szenen an den Sets realisiert wurden; ein Bezug auf das Handwerk, den es abgeschieden von der Erde nicht unbedingt gebraucht hätte.
Zudem hätte man statt Bullock eine Schauspielerin nehmen können oder gar müssen, die zu mehr Nuancen im mimischen Ausdruck in der Lage ist. Physisch meistert sie ihre Rolle mit Bravour, ihr steifes Gesicht passt aber nicht zu der Anlage des Films, der gerne mit Close-Ups arbeitet und sich einmal gar dicht in den Helm drängt und es sich neben ihrem Gesicht bequem macht, um den ergatterten Beifahrerplatz im Weltall wahrzunehmen und das Chaos des Weltalls genießen zu können.
Dennoch sollte man „Gravity“ als das nehmen, was er ist: Eine mörderisch spannende, auf den maximalen Effekt reduzierte Abfolge von Szenerien, die immerhin im technisch-visuellen Sinn Neuland betreten, von dem man noch gar nicht wusste, dass es existiert.