Review

                                                                „Loyalität ist das Mark der Ehre"

                                                                                                        Paul von Hindenburg

Ein Satz, der uns Deutschen des Jahres 2012 so anachronistisch anmutet, dass wir provoziert auflachen möchten. „Ehre" - dieses abstrakte Konstrukt ist nach seiner Malträtierung und Pervertierung nicht nur unter den Nationalsozialisten, doch eben vor allem durch sie, derart mit Anrüchigem besudelt, dass auch heute noch, siebzig Jahre nach dem großen Krieg, der Versuch seiner Instrumentalisierung beinahe lächerlich wirkt. Die historisch Bewanderten unter uns wissen um den genialen Schachzug Hitlers, nur ein Jahr nach seiner Machtübernahme die Wehrmacht ihm gegenüber unbedingte Treue schwören zu lassen - und zwar bei Gott. Die freilich eher atheistisch-esoterischen Nationalsozialisten schmiedeten so einen unheilvollen Pakt, den zu brechen nicht nur den Eid vor Gott betroffen, sondern auch die soldatische Ehre besudelt hätte. Hitler wusste um die altpreußisch-pietistische, inzwischen längst universell im Reich verbreitete vaterlandsliebende Loyalität des deutschen Offizierskorps. Und er nutzte sie. Man brauchte damit überhaupt nicht überzeugter Nazi zu sein, um, nach dem Verständnis der Zeit, gehorsam bleiben zu müssen. Es genügte, gläubiger Christ oder eben überzeugter Offizier zu sein. Eine verhängnisvolle Kausalität, die den Widerständler Carl von Hardenberg zu folgender, verzweifelter Äußerung nötigte: „Wir haben fast alle in der Wehrmachtsführung angesprochen. Niemand hat uns verraten, aber auch keiner unterstützt."

Diese Einstellung gegenüber dem Versuch, Deutschland seine Dämonen (an der Regierung) auszutreiben, war symptomatisch für das letzte Kriegsjahr, das, obwohl der Krieg längst verloren war, noch einmal so viele tote deutsche Soldaten sehen sollte wie die gesamten viereinhalb Jahre zuvor. Natürlich muss man, möchte man fair und historisch triftig urteilen, auch die potentiellen Folgen in Rechnung stellen, ist man denn im Jahre 1944 bei dem Versuch erwischt worden, seinem Gewissen zu folgen. Nicht nur der Handelnde selbst wurde von den Schergen Hitlers förmlich zerfetzt, auch die Familie, die Freunde, die Nachbarn wurden niederträchtig drangsaliert. Es fragt sich heute, im tiefsten Frieden, sicherlich ungleich leichter „warum die Menschen damals nicht gehandelt haben" als in jenen finsteren Tagen der deutschen Geschichte vor siebzig Jahren. Damals wäre eine solche Frage eher rhetorischer Natur gewesen.

Es gab allerdings noch einen weiteren Grund für das Zögern beim doch so dringend gebotenen Tyrannenmord: Versailles. Nie wieder wollten Deutschland, seine Soldaten und seine Offiziere so gedemütigt werden wie im Jahre 1918, als ihnen - wider den Tatsachen - die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg in die Schuhe geschoben wurde. Die Westalliierten streiften sich so bequem Imperialismus, Militarismus und Machtstreben wie eine alte Haut ab, um sie den Deutschen überzustülpen. Den Schwarzen Peter hatte nun das Deutsche Reich, beileibe nicht zu Unrecht, aber schuld am großen Blutbad der Jahre 1914-1918 waren ebenso Großbritannien wie Frankreich. Will man den Geist der Zeit verstehen, muss man die Folgen Versailles‘ für den kollektiven Unmut der Deutschen gegenüber den Siegern des Ersten Weltkriegs begreifen - ein Unmut, der die Deutschen angesichts der Tausenden Hungertoten in den Zwanzigern übrigens von rechts außen bis links außen einte. Die Weltwirtschaftskrise traf Deutschland, das Unsummen an Reparationszahlungen an die Sieger zu zahlen hatte, zudem besonders schwer. So antwortet Generalfeldmarschall Erwin Rommel (Ulrich Tukur) auch auf die Frage, ob man nicht die Waffen einfach niederlegen solle: „Wollen sie ein zweites Versailles?" Eine Frage, die ein Großteil der Deutschen heute in ihrer Tragweite nicht mehr versteht, die jedem Zeitgenossen aber die Haare zu Berge gestellt hätte.

Nikolaus Stein von Kamienski packt für das Erste Deutsche Fernsehen politisch brisanten Stoff an. Die Rolle des deutschen Widerstands und erst recht die der Mitläufer ist noch heute ein Politikum, das nicht selten instrumentalisiert wird. Besonders die Figur des Generalfeldmarschall Erwin Rommel scheint, eingebettet in ihre historische Matrix, nicht recht griffig zu sein. Zumindest für uns heutige Deutsche nicht, die mit der Hochachtung vor militärischen Leistungen auf Kriegsfuß stehen. Eine Folge der Kriegstreiberei der nationalsozialistischen Diktatur. Die Briten etwa betrachten die Ereignisse und die Akteure des Zweiten Weltkriegs viel unverkrampfter. Für sie ist Erwin Rommel ein deutscher Held - obwohl er für Hitler gekämpft hat. Sie erinnern sich an einen Mann, der seine Gegner (also die Engländer) mit Ritterlichkeit und Fairness behandelt hat, dem die proletenhafte Barbarei der Nationalsozialisten fremd war. Dennoch fühlte er sich Hitler, den er, wie die meisten Deutschen, anfangs mit Deutschland gleichsetzte, in Treue verbunden. So hetzte er die Engländer trotz vielfacher nummerischer Unterlegenheit gewieft quer durch Nordafrika und wurde zum „Wüstenfuchs", zur Legende. Diese Legende würde nicht durch eigene Taten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland (!) Schaden nehmen, sondern durch die Verbrechen, die durch seinen heldenmütigen Kampf gedeckt wurden, die der faschistischen Regierung. Ist Rommel nun ein Großer, weil er einer vielfachen Übermacht, zudem ohne Hass und in aller Fairness trotzte, oder ist er keiner echten Würdigung wert, da er letztendlich nicht für Deutschland, wie er meinte, sondern „für den Teufel kämpfte". Diese Frage muss sich jeder aufgeklärte Mensch selbst beantworten. Sie ist obendrein dem jeweiligen Zeitgeist unterworfen. In einigen Jahrzehnten mag sich auch das Bild von Rommel wieder ändern.

Von Kamienski jedenfalls versucht ein so authentisches Rommelbild wie möglich zu zeichnen, ohne allerdings in die Falle der mangelnden politischen Korrektheit zu tappen, die nicht eben karrierefördernd wäre. Mit Behutsamkeit versucht er die innere Zerrissenheit des militärischen Führers zwischen der Realität und dem, was er als seine Pflicht ansah, zu schildern. Dabei gerät ihm sein Hauptprotagonist letztendlich als sympathische Figur. Angeblich wollte er das so garnicht, sei aber nach längerem Studium der Persönlichkeit seines Titel-"Helden" in Kombination mit dem Charakterspiel Ulrich Tukurs praktisch automatisch zu dem Rommel seines Fernsehfilms gelangt. Von Kamienski vermeidet allerdings bewusst jede Darstellung von Rommels militärischem Geschick. Sein taktisches Genie in Afrika oder seine herausragenden Leistungen im Ersten Weltkrieg werden nur im Vorbeigehen erwähnt, finden aber keinerlei Bebilderung. Sicherlich mögen hier auch die geringen Produktionskosten eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, doch ist man noch weit davon entfernt, Militärisches der neuesten deutschen Geschichte unvoreingenommen schildern zu können, oder zu wollen. Dem derzeitigen Horizont sind hier Grenzen gesetzt. Der Regisseur geht jedenfalls auf Nummer Sicher und umschifft so hitzige Diskussionen. Mutig ist das zwar nicht besonders, dafür aber unproblematisch. Diese natürlich wenig zeitgenössische Herangehensweise an die Person Rommel und sein Wirken führt sogar soweit, dass aus dem Kreis der Verschwörer über den Generalfeldmarschall zu hören ist, dass er „nun die einmalige Gelegenheit habe, dem Volk einen wirklich großen Dienst zu erweisen". Solche eine Denkweise ist völlig anachronistisch und widerspiegelt keinesfalls das damalige, im Vergleich zu heute wesentlich weniger pazifistisch geprägte Denken. Auch von Kamienski gelingt es nicht, die damalige Zeit vollends professionell zu durchleuchten, sie also authentisch wiederzubeleben. Hier bleibt Oliver Hirschbiegels Kinofilm „Der Untergang" (2004) trotz seiner mangelnden didaktischen Anwendungsmöglichkeiten weiterhin der Maßstab schlechthin. Dennoch, Nikolaus Stein von Kamienski bemüht sich um Authentizität, auch wenn sie ihm nicht zur Gänze gelingt. Er verlässt die plattgetretenen Pfade deutscher Vergangenheitsbewältigung, die bis auf wenige Ausnahmen wie „Das Boot" (1981) oder den „Untergang" nur Karikatur oder Persiflage - die historisch über keinerlei Nährwert verfügen - aufbieten konnten. Ein ZDF-„Dresden" (2006) Roland Suso Richters hat mit dem Untergang der sächsischen Metropole des Jahres 1944 nichts mehr zu tun, sondern ist anspruchslose Fernsehunterhaltung im Zeitgeistgewand. Hier hat von Kamienski mit seinem „Rommel" womöglich doch ein wenig Pionierarbeit geleistet.

„Rommel" ist ein um Authentizität bemühter Fernsehfilm eines ambitionierten Nachwuchsregisseurs, der zwar unseren Blick auf die Vergangenheit repräsentiert und damit zu wenig die Motivationen und Sehnsüchte der Zeit wiedergibt, der aber durchaus auf Niveau pocht. Leider fehlt das Budget, um das Drumherum auch optisch ansprechend in Szene setzen zu können. Zu jeder Sekunde sieht man dem Historiendrama an, dass es eine ARD Abendproduktion ist. Auch finden einige Anachronismen ihren Weg in den 2012er Fernsehfilm. Doch die moralische Zwickmühle, in der sich Erwin Rommel befand, wird überzeugend herausgearbeitet, nicht zuletzt aufgrund eines formidablen Ulrich Tukur. Nur wer sich der Bedeutung des Wortes „Eid" für die Menschen in früheren Tagen bewusst ist, versteht in einer Zeit, in der ein „Eid" zu einer nahezu austauschbaren Floskel degradiert worden ist, noch die innere Zerrissenheit des Hauptakteurs. Aber wer wüsste heute noch mit dem Begriff „Pietismus" etwas anzufangen?

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