Der neue realistische Stil im italienischen Kino verstand sich seit Luchino Viscontis "Ossessione" (1942) als Antwort auf den Mussolini-Faschismus, nicht nur in der Abkehr einer geschönten Realität und einer idealistisch dargestellten Sozialisation, sondern ganz konkret in seiner politischen Ausrichtung - Regisseure wie Luchino Visconti oder Roberto Rossellini machten aus ihrer kommunistischen Haltung keinen Hehl. Während der Spätphase des Kriegs und den ersten Nachkriegsjahren konnten sie den Freiraum für exemplarische Werke wie "Roma, città aperta" (Rom offene Stadt, 1945, Rossellini) , "Scuscia" (Schuhputzer, Vittorio De Sica, 1946) oder "Caccia tragica" (Tragische Jagd, Giuseppe De Santis,1947) nutzen, aber die gesellschaftlichen Veränderungen holten sie schnell ein. Der aus sehr wohlhabenden Verhältnissen stammende Adlige Luchino Visconti finanzierte "La terra trema" 1947 aus privaten Mitteln, konnte damit aber nur den ersten Teil „Episodio del mare“ seiner geplanten Trilogie über die arbeitende Bevölkerung auf Sizilien verwirklichen, denn nachdem die christliche Partei 1948 die ersten demokratischen Wahlen gewonnen hatte, wurden offen linksgerichtete Filme nicht mehr finanziell gefördert.
Neben diesen pragmatischen Veränderungen zeigten sich auch die Grenzen eines konsequent realistischen Stils. Die vom Krieg zerstörten Häuser und die ärmliche Situation der Menschen bildeten in den frühen neorealistischen Filmen einen authentischen Hintergrund für die inmitten dieser Verhältnisse spielenden Dramen, aber zunehmend wurde der Grat zwischen Stilwillen, Intention und einem realen Szenario schmaler. Die Konsequenz, eine Insel als solitären Raum zum Hintergrund zu wählen, traf nicht nur Visconti. Rossellini ließ seinen 1950 entstandenen Film „Stromboli“ auf der gleichnamigen Vulkaninsel spielen und auch Damiano Damiani drehte den vom Neorealismus beeinflussten "L'isola di Arturo" (Insel der verbotenen Liebe, 1962) vor dem Hintergrund einer archaisch geprägten Gesellschaft, an der die zukünftige soziale Entwicklung noch exemplarisch durchdacht werden konnte. „La terra trema“ entstand 1947 in dem Fischerdorf Aci Trezza an der Ostküste Siziliens, einem von industriellen Einflüssen noch unberührten Ort, in dem die Menschen seit Generationen nach unveränderten Regeln lebten.
Viscontis Konsequenz, nur Einheimische zu besetzen, die ausschließlich ihre sizilianische Muttersprache benutzten – nur die Stimme aus dem Off spricht Italienisch – und die Handlung ungeschönt in dem kleinen, kargen Ort am Meer spielen zu lassen, ließ „La terra trema“ zu einem Hauptwerk des Neorealismus werden, vermittelte gleichzeitig aber auch, wie gezielt die hier gezeigte Authentizität vom Regisseur, Drehbuchautor Antonio Pietrangeli und Regie-Assistent Francesco Rosi erschaffen wurde. Dafür war weniger der Handlungsrahmen verantwortlich, der auf dem 1881 erschienenen Roman „I malavolia“ des sizilianischen Dichters Giovanni Verga beruhte – er beschreibt darin das harte Leben der Fischer auf der Insel - als die Drehbuchbearbeitung durch Antonio Pietrangeli und Luchino Visconti. Die sonst allgegenwärtige katholische Kirche, sieht man von den Heiligenbildern an den Wänden einmal ab, spielt in „La terra trema“ keine Rolle, denn Visconti ging es darum, den Konflikt zwischen Kapital und Arbeitern detailliert heraus zu arbeiten, verbunden mit den tradierten Verhaltensmustern der Ausgebeuteten, deren Einhaltung erst die bestehenden Machtverhältnisse bestärken.
Ntoni (Antonio Arcidiacono) ist der älteste Sohn einer alteingesessenen Fischerfamilie, der nach dem Tod des Vaters – er war von einem Fischfang nicht wieder zurückgekehrt - verantwortlich für seine zahlreichen Familienmitglieder ist, die gemeinsam in ihrem einfachen Haus leben. Jeden Abend geht er auf einem Fischerboot seiner Arbeit nach, begleitet von seinen jüngeren Brüdern, die - kaum dem Kleinkindalter entwachsen - mitarbeiten müssen. Zur Schule geht Niemand von ihnen, denn auch so reicht es für die Familie gerade zum Überleben. Obwohl sie einer anstrengenden und gefährlichen Arbeit nachgehen, kaufen ihnen die Großhändler die Fische nur zu geringen Preisen ab, ihren eigenen Gewinn damit maximierend. Die Konsequenzen dieser Konstellation sind offensichtlich – die Fischer haben keine Möglichkeit aus dieser Position der Abhängigkeit auszubrechen und leiden unter geringer Bildung, Armut und fehlenden Aufstiegschancen. Detailliert beschreibt der Film das traditionelle soziale Gleichgewicht. Als Töchter eines armen Fischers haben Ntonis hübsche Schwestern Rosa (Rosa Catalano) und Nedda (Rosa Costanzo) nur wenig Chancen auf eine angemessene Heirat, aber auch Ntoni selbst ist kein geeigneter Bräutigam für die von ihm begehrte Mara (Nelluccia Giamonna).
„La terra trema“ gelingt trotz der Gratwanderung zwischen Viscontis formaler Bildsprache, die die karge Landschaft und ihre Bewohner in wunderschönen, klar aufgebauten, dabei die Tiefe des Raums betonenden Bildern erfasst und der beabsichtigten politischen Botschaft, ein reales Abbild des Lebens der Menschen an diesem Ort. Zudem verzichtete Visconti auf einen vordergründigen ideologischen Duktus, so wie Ntonis Verstoß gegen die herrschende Ordnung nicht kommunistisch motiviert ist, sondern sein Bestreben, selbstständig als Fischer arbeiten zu wollen, um das Preisdiktat der Abnehmer zu brechen, schlicht geschäftstüchtig ist. Doch Visconti ging es weniger darum, auf die Ausbeutung kleinerer Berufsgruppen aufmerksam zu machen, sondern wollte das archaische Szenario dazu nutzen, um grundsätzliche gesellschaftspolitische Missstände aufzuzeigen, deren in reiner Form gezeigten Mechanismen bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
Ntonis nicht konformes Verhalten und damit sein Ausbruch aus der ihm zugewiesenen Rolle, konfrontiert die anderen Fischer mit ihrer eigenen Passivität und Feigheit. Doch anstatt seine nahe liegende Idee aufzugreifen, lehnen sie sein aus ihrer Sicht unangemessenes Verhalten ab und lassen ihn allein. Es bedarf weder eines großen Unglücks, noch einer Kette von Missgeschicken, um Ntoni die Grenzen aufzuzeigen. Sein mit einem Kredit finanziertes Schiff gerät in einen Sturm und wird stark beschädigt - ein alltägliches Risiko für einen Fischer und gleichzeitig ein Ereignis, dass Visconti nicht ohne Grund in der Mitte des Films geschehen lässt, denn sein Hauptgewicht liegt auf der zweiten Hälfte, die sich den daraus entstehenden Konsequenzen widmet. Es sind nicht die Gutachter und Bankangestellten, die vertragsgemäß das Haus pfänden, da er seine Kreditraten nicht mehr zahlen kann, sondern der Ausschluss aus der Gemeinschaft, der ihn scheitern lässt und in deren Folge auch seine Geschwister beschädigt werden.
Ntoni wird zutiefst erniedrigt und bekommt keine Arbeit mehr, eine seiner Schwestern lässt sich auf einen Carabinieri ein und verliert ihr moralisches Ansehen und sein Bruder gerät an zwielichtiges Gesindel und verlässt die Heimat, aber das eigentliche Drama liegt darin, dass diese Folgen leicht zu verhindern gewesen wären, hätten die Fischer, die alle unter den bestehenden Verhältnissen leiden, zusammen gehalten. Visconti lässt an diesem exemplarischen Beispiel deutlich werden, dass der Einzelne zu schwach ist, um sich gegen eine bestehende Ordnung aufzulehnen, selbst wenn diese die Mehrheit offensichtlich benachteiligt. Vorurteile, tradierte Rollen und Werte erschweren die Entstehung einer Solidargemeinschaft, die Visconti in „La terra trema“ als Ideal beschwört. Aber nicht einlöst, denn die Machtverhältnisse bleiben bestehen, womit sich der Film bis heute seinen realistischen Charakter bewahrt hat. (9/10)