Einige Zeit nach dem offiziellen Ende des Bosnienkrieges sind in einem ehemaligen Mädchen-Waisenhaus immer noch eine handvoll minderjähriger Teenager eingesperrt, die dort unter katastrophalen hygienischen Umständen in einer Art Privat-Puff "arbeiten" müssen. Das heruntergekommene Bauwerk, vom ehemaligen serbischen Freischärler Viktor (Kevin Howarth) und seinem Leibwächter Dimitri (David Lemberg) geleitet, ermöglicht gleichgesinnten Paramilitärs, ihre viehischen Triebe an den durch Drogen ruhiggestellten Mädchen zu befriedigen. Unter den entsetzlich leidenden Teenagern hat Angel (Rosie Day), eine vielleicht 15jährige Taubstumme, eine Sonderstellung: Mit einem Feuermal auf der Wange als zu häßlich für die Prostitution befunden, "darf" sie als eine Art Hausmädchen für Viktor Kalfaktordienste verrichten - dazu gehört, den Mädchen vor den Freierbesuchen Drogen zu injizieren und sie hinterher ein wenig sauberzumachen. Die zierliche Angel hat im Lauf der Zeit die engen Lüftungsschächte des Hauses inspiziert und bewegt sich manchmal heimlich darin - für sie eine Möglichkeit, dem kontrollierenden Viktor oder den brutalen Freiern aus dem Weg zu gehen. Als eines Tages mit Goran (Sean Pertwee) der Kommandant jener serbischen Einheit vorbeischaut, die ihre Mutter vor ihren Augen erschossen hatte und einer seiner Männer ein bereits schwer verletztes Mädchen zu Tode vergewaltigt, beschließt Angel, einzugreifen...
Schwer verdaulicher Stoff, den Regisseur Paul Hyett in seinem Spielfilmdebut da umsetzt: Eine für die Mädchen kaum zu ertragende Situation in einem keineswegs befriedeten Land, in dem die kindliche, von Viktor "Angel" getaufte Kleine (die ihren eigentlichen Namen nicht aussprechen kann, welcher daher auch nie erwähnt wird) von Anfang an im Fokus steht. Mit Lippenlesen langsam an einen düsteren Alltag in einem schmutzigen Zuhause gewohnt, besteht für sie keinerlei Fluchtmöglichkeit aus dem mit Brettern an den Fenstern verrammelten Haus, und so hat sie sich im Lauf der Zeit an die Umstände gewöhnt - und sich dennoch ihre Menschlichkeit erhalten. Ihre unbemerkten zeitweiligen Spaziergänge durch die Lüftungsschächte ermöglichen ihr eine gewisse, sehr kleine und begrenzte Freiheit und Unabhängigkeit, neben Essen kochen und die Zwangsprostituierten versorgen bleibt ihr ansonsten nur ein schmutziges kleines Bett in irgendeinem abgedunkelten Raum. Es ist berührend mitzuverfolgen, wann und wie Angel sich entscheidet, erstmals und unter hohem persönlichen Risiko bei den schon öfters heimlich hinter dem Lüftungsgitter mitverfolgten Schandtaten der serbischen Soldateska zu intervenieren. Dabei tritt sie keineswegs als Racheengel auf oder hat einen bestimmten Plan, sondern gehorcht nur ihrer momentanen, kindlichen Intuition. Ihr einziger Vorteil ist ihre Körpergröße, die ihr das schnelle Verschwinden im Luftschacht ermöglicht, wohin ihr Goran und seine Männer nicht folgen können. Die (durchaus schwierige) Darstellung dieses Filmcharakters ist eine Meisterleistung der 1995 geborenen Rosie Day, der dies mit Bravour gelingt: als "Angel" ist sie zwar nicht unbedingt eine Sympathieträgerin herkömmlichen Zuschnitts, lädt durch ihren Widerstand gegen die brutalen Militärs jedoch umso mehr zum Mitfiebern ein. Ein Lob geht aber auch an alle anderen beteiligten Protagonisten, allen voran Sean Pertwee, der die undankbare Rolle des Goran durchweg überzeugend spielt.
Paul Hyett, dessen Thriller viele Stilmittel des Psychodramas enthält, vermeidet jegliche Schuldzuweisungen und gibt nur sehr dezente Hinweise auf den geschichtlichen Hintergrund - tatsächlich aber sind solche Kinderbordelle kein Einzelfall gewesen, sondern in von Serben eroberten Gebieten fürchterliche Realität - bezeichnenderweise auch nach dem die offiziellen Kriegshandlungen beendenden Dayton-Abkommen. Obgleich kein reales Vorbild genannt wird, ist die Geschichte in Ostbosnien angesiedelt, worauf auch die in einigen Rückblenden gezeigten Szenen aus Angels (Vor-)Leben hinweisen: Schwer bewaffnete serbische Freischärler durchkämmen die Dörfer, treiben die Bewohner aus den Häusern und erschießen sie wie Karnickel - auch Angels Mutter, die ihre beiden Töchter verzweifelt mit einem Küchenmesser vor den Serben schützen will, wird kalt lächelnd niedergemäht. Dass einer der uniformierten Täter zuhause eine brave Frau und reichlich Nippes (wie eine Sammlung von Porzellanschweinchen) im Wohnzimmerschrank hat, ist ebenfalls charakteristisch für die bigotte Weltanschauung der von einem "Großserbien" träumenden Mörder, die ihre Taten bis heute(!) bagatellisieren und marginalisieren, sofern sie sie nicht komplett leugnen.
Die überlebende Angel und einige gleichaltrige Leidensgenossinnen landen jedenfalls beim Zuhälter Viktor, der zur Abschreckung der zitternden Mädchen eine von ihnen einfach abschlachtet. Für einen Thriller ist diese - wie auch einige andere - Szenen übrigens erstaunlich blutig geraten, hier beweist special makeup effects-Designer Hyett, der hier erstmals auch Regie führte, sein angestammtes handwerkliches Können.
Die bei weitem unerträglichsten Szenen sind jedoch jene, in denen die Vergewaltigungen gezeigt werden, wenn sich grunzende Serben, ihrer Militärklamotten entledigt, an wehrlosen Kindern abreagieren - man möchte kotzen, nur noch kotzen... Aber selbst hier gebührt der Kameraführung ein Lob, wie sie solch widerwärtiges Handeln abseits jeglichen Voyeurismus durchweg "überzeugend", sprich realistisch, ins Bild setzt.
Zu den wenigen Kritikpunkten des in erdigen, düsteren Farben gehaltenen Films gehört die eine oder andere Situation vor allem im letzten Filmdrittel, in der Angel ein geradezu unglaubliches Glück hat: nicht jedem gelingt es, von gezielten Kugeln nicht getroffen zu werden oder sich in einer engen Röhre noch einmal umzudrehen, davon abgesehen lassen sich die hartgesottenen Söldnern zu leicht düpieren - aber dies ist freilich der Filmdramaturgie geschuldet und angesichts der klar verteilten Rollen wohl auch verständlich oder zumindest verschmerzbar.
The Seasoning House ist ein von Anfang bis Ende unangenehm anzuschauendes Drama, das überdies mit einem (halb) offenen Ende ausgestattet vielleicht nicht jeden Zuschauer zufriedenstellt, damit jedoch Raum läßt, sich über die weiteren Geschehnisse wie über den Film an sich Gedanken zu machen. In jedem Fall eine Empfehlung, starke Nerven vorausgesetzt: 9 Punkte.