„Punktlandung"
Robert Zemeckis hatte nach fast einem Jahrzehnt erschreckend seelen- und gefühlloser Motion-Capture-Streifen (u.a. "Der Polarexpress", "Die Legende von Beowulf", "Eine Weihnachtsgeschichte") offenbar wieder Sehnsucht nach einem richtigen Film, mit „echten" Darstellern, realen Situationen und v.a. spürbaren bzw. miterlebbaren Emotionen. Dabei fängt zunächst auch hier alles Zemeckis-typisch effektgeladen an.
Der Beinahe-Absturz einer amerikanischen Verkehrsmaschine ist hyperrealistisch und nervenaufreibend in Szene gesetzt und dürfte so manchen Vielflieger die ein oder andere schlaflose Nacht bereiten. Nicht nur dass dort ein Pilot einsteigt, der sich am Abend zuvor hat ordentlich zulaufen lassen und nur mit einer ordentlichen Koksline einigermaßen einsatzfähig wirkt. Auch der technische Defekt einer angeblich vor jedem Flug akribisch gewarteten Maschine lässt die viel gepriesene Flugsicherheit in einem beunruhigend schummrigen Licht erscheinen.
Man merkt in jeder dieser Szenen, dass Zemeckis selbst über einen Pilotenschein verfügt. Handgriffe und Konversation im Cockpit sind von nüchterner Sachlichkeit geprägt, die die Bedrohung des von heftigen Turbulenzen durchgeschüttelten Flugzeugs noch greifbarer macht.
Dieses perfekt inszenierte Katastrophenfilm-Szenario ist letztlich aber nur Ausgangspunkt bzw. Basis eines menschlichen Dramas, das in eine gänzliche andere Richtung geht. Denn wie durch ein Wunder endet der Horrorflug nicht in einer Katastrophe mit zahllosen Todesopfern. Durch ein irrwitziges Manöver des Piloten Whip Whitaker (Denzel Washington) - er stabilisiert das unaufhaltsam abstürzende Flugzeug indem er es zeitweise in Rückenlage dreht - gelingt eine kontrollierte Bruchlandung die fast sämtlichen Passagieren das Leben rettet. Presse und Öffentlichkeit feiern gleichermaßen euphorisch das fliegerische Husarenstück. Hinter den Kulissen der Flugaufsichtsbehörde braut sich allerdings ein handfester Skandal zusammen. Blutuntersuchungen haben ergeben, dass Whitaker während des Fluges unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol stand. Bei einer Verurteilung droht ihm eine Eine wohlmöglich lebenslange Freiheitsstrafe.
In den nun folgenden zwei Stunden entfaltet Zemeckis das ebenso subtile wie aufwühlende Portrait eines im fortgeschrittenen Stadium Alkoholkranken, dessen Sucht längst zur lebensbedrohenden Gefahr nicht nur für sich selbst, sondern auch für die ihm immer wieder anvertrauten Menschen geworden ist. Whitakers Hauptwaffe gegen die Auswirkungen der Krankheit ist dabei die Lüge, nicht nur gegenüber seinem privaten und beruflichem Umfeld, sondern insbesondere auch gegenüber sich selbst. Immer wieder redet er sich ein jederzeit aufhören bzw. die Sucht kontrollieren zu können. Dass kein anderer Pilot es schaffte im Flugsimulator die abstürzende Maschine abzufangen, bestärkt ihn noch zusätzlich in seinem selbst errichteten Zerrbild, das eigene Leben vollständig im Griff zu haben.
Weder die Entfremdung von seiner Familie, noch die zunehmenden Spannungen mit seinem alten Fliegerfreund Charlie (Bruce Greenwood) führt er auf die eigene Krankheit zurück. Als er im Krankenhaus die Heroinabhängige Nicole (Kelly Reilly) kennenlernt , nimmt er die vermeintlich Seelenverwandte bei sich auf und gibt sich der Illusion hin, ihr bei dem letzten Versuch endlich clean zu werden eine moralische und tatkräftige Stütze zu sein. In Wirklichkeit stellt diese sich weitaus vehementer und offener der eigenen Suchtproblematik und bringt dabei auch noch die Kraft und Energie auf, Whip aus dem von ihm völlig verdrängten Abhängigkeitssumpf ziehen zu wollen.
Dass dieses erschütternde Trinkerportrait weder in gefühlsduseliger Weinerlichkeit, noch in heuchlerischem Betroffenheits-Pathos versinkt, ist neben Zemeckis unaufgeregter Regie insbesondere der eindringlichen und nuancierten Darstellung Denzel Washingtons zuzuschreiben. Die innere Zerrissenheit eines zwischen Selbsthass, Selbstverleugnung und einer Normalität behauptenden Fassade eingezwängten Suchtkranken ist förmlich greifbar und gehört zu den ambitioniertesten Leistungen Washingtons seit Jahren. Zwar war er stets präsent, wirkte dabei aber häufig in seinen zunehmend austauschbar werdenden Action-Thriller-Rollen seltsam undifferenziert und auf ermüdende Weise routiniert.
Regisseur Zemeckis gibt seinem Star aber glücklicherweise sehr viel Raum, seine ambivalente Figur zu entwickeln und ihre charakterlichen wie emotionalen Untiefen auszuloten. Der Erzählduktus ist dabei nach dem schweißtreibenden Auftakt angenehm unaufgeregt, ohne dabei in die Drögheitsfalle zu tappen. Manch einer mag dies als altmodisch empfinden, für diesen Film ist es genau die richtige Gangart. Zumal Zemeckis es durchaus versteht Spannung zu erzeugen und das Interesse an Whitakers Schicksal aufrecht zu erhalten.
Der letztendliche Ausgang bleibt ungewiss und lässt Spekulationen für verschiedene, durchaus konträre Richtungen zu. Zemeckis trifft dann auch hier den richtigen Ton und bietet weder ein rabenschwarzes, noch ein Hollywood-typisch verkitsch-versöhnliches Finale. Bleibt nur noch zu hoffen, dass sein jahrelanges Motion-Capture-Projekt nicht einfach nur unterbrochen wurde, um mal wieder zu zeigen wie man Filme mit Herz, Hirn und Seele dreht. „Flight" ist jedenfalls in jeder Hinsicht eine punktgenaue Landung eines (Regie-)Piloten, der entgegen dem befürchteten Anschein nichts verlernt hat. Manchmal muss man eben einfach zurück fliegen, um in der Zukunft (wieder) erfolgreich zu sein. Und mit Zeitreisen dieser Art kennt Zemeckis sich ja bekanntermaßen bestens aus.