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Man darf durchaus skeptisch sein, wenn ein Regisseur ein Film über ein heikles Thema dreht, das er selbst miterlebt hat. So hätte Polanskis "Der Pianist" ein persönlicher Rachefilm werden können, aber er wurde genau das Gegenteil: Erschütternd, ehrlich und doch kontrovers, da er nicht alle Deutschen als seelenlose Mörder hinstellt.

Die Zustände und Entwicklungen im Warschauer Ghetto verfolgt man aus der Sicht des jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman (Adrien Brody), für den die Ereignisse zu einer qualvollen Odyssee am Rande des Todes werden. Er verliert seine Musik, seine Familie und seine Freunde durch die Grausamkeiten der Nazis. Bemerkenswert, wie Polanski an der Optik der verschiedenen Zeitabschnitte feilte. Anfangs ist die Wohnung der Szpilmans farbenfroh, auf Hochglanz gebracht, bis die Farben mit zunehmender Dauer immer eintöniger werden. Der Höhepunkt ist erreicht, als Szpilman auf der Suche nach Nahrung vor dem zerbombten ehemaligen Ghetto steht. Was für ein Gänsehaut-Anblick!

Noch mehr Intensität erlangt "Der Pianist" durch die besondere Sichtweise. Man sieht praktisch den ganzen Film nur durch die Augen Szpilmans, sodass man das Gefühl hat, die Geschehnisse nicht zu beobachten, sondern an ihnen teilzuhaben. Was dieses Stilmittel bringt, wird bei den Aufständen in Warschau klar, die man, wie Szpilman, nur aus dem Fenster einer Wohnung verfolgt. Die inszenatorische Klasse erkennt man auch, als seine Wohnung bombardiert wird, wo der Zuschauer für einige Sekunden auch taub zu sein scheint.
"Der Pianist" zeigt ausschließlich das grausame Schicksal der Juden und hält sich nicht mit politischem Geplänkel auf, was gewisse historische Grundkenntnisse voraussetzt.

Polanski schafft es, die Spannung über zweieinhalb Stunden aufrecht zu erhalten. Erstens ist die Figur des Pianisten derart interessant, dass man es vor Spannung kaum aushält, wenn er nahe davor ist, erwischt zu werden, zweitens brennen diverse Grausamkeiten noch Minuten später im Gedächtnis, sodass man sich vor Schock fast vom Fernseher abwenden möchte. Dabei zeigt Polanski rein graphisch gar nicht so viel, zieht allerdings willkürliche Tötungsszenen quälend in die Länge und hält gnadenlos drauf. Selten zuvor hat mich eine Szene so geschockt wie die vom alten Mann im Rollstuhl, der vom Balkon geworfen wird.

Trotzdem ist "Der Pianist" kein Dauerpulshochtreiber, es gibt genügend ruhige, nachdenkliche Szenen. Herausragend das Aufeinandertreffen Szpilmans mit dem SS-Offizier (Thomas Kretschmann), der ihm letztendlich das Leben rettet. Das beschert dem Film warmherzige Minuten und bewahrt ihn vor der Pauschalverurteilung der Deutschen.

Vergleiche mit "Schindlers Liste" tun sich wegen des gleichen Themas natürlich auf, dennoch ist "Der Pianist" völlig anders. Welcher besser ist, sei dahingestellt, auf jeden Fall hat man bei Polanski keine einzige Sekunde Zweifel daran, dass er es ehrlich meint und auf jeden kommerziellen Hintergedanken pfeift. Das war bei Spielberg vielleicht nicht so, obwohl ich sein Werk auf langfristige Dauer bevorzugen würde, in erster Linie aufgrund der vielschichtigeren Story. Wer jedoch die schonungslose Wahrheit über ein trauriges Kapitel Zeitgeschichte sehen möchte, das Ganze aus den Augen einer bemerkenswerten Persönlichkeit, der kommt um "Der Pianist" nicht herum.
Ein packender, schockierender Film, bei dem man in jeder Sekunde spürt, dass es Polanski ein ernstes Anliegen war - grandios!

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