Verdauliche Vergewaltigung
Grundsätzlich mag es ja lobenswert sein, sich dem Tabuthema Vergewaltigung und Unterdrückung der Frau in der (speziell japanischen) Gesellschaft zu widmen - "Freeze Me" tut es - jedoch darf man gerade bei so einer heiklen Thematik nicht in Klischees und einfache Gewaltschablonen fallen. Genau dieser Fehler wurde hier gemacht.
Es geht um eine junge Frau, die vor langer Zeit von einem alten Schulfreund und seinen Verbrecherfreunden vergewaltigt und dabei gefilmt wurde. Mitten in ihrem neuen, glücklichen Leben, mit einer neuen Liebe und Arbeit taucht plötzlich der alte "Freund" auf und nistet sich bei ihr ein. Er erpresst sie mit Fotos von de vergangenen Tat, zwingt sie wieder zu Sex und schlägt sie. Bevor es ihr genug wird und sie sich entschließt, den Peiniger umzubringen, erwähnt dieser noch, dass auch die anderen Beteiligten aus dem Knast entlassen wurden und bald kämen. Und so geht es dann auch weiter: Ihr Geliebter verlässt sie und Chihiro, das Opfer, tötet auch die anderen und sperrt jeden in eine jeweils extra gekaufte Tiefkühltruhe.
Zunächst fängt die Inszenierung des Ganzen gut an. Die Bedrohung, die vom ersten Besucher ausgeht, seine Gewaltbereitschaft gegenüber der schwächeren Frau wird authentisch gezeigt, was sicherlich auf die immer noch extrem niedrige Stellung der Frau in Japan anspielt. Der Ernst geht jedoch schnell verloren, als der Tyrann sich bei ihr einwohnt und durch sein Verhalten wie ein tumber Proll abgestempelt wird. Das ständige Reden von Ficken und Bier gerät manchmal zur unfreiwilligen Komik. So ist dann zwar der erste Mord sowie Chihiros innerer Konflikt aufdringlich genug inszeniert, jedoch geht es einem zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sehr nahe. Schlimmer noch: Danach wird die Stereotypie immer mehr, die Voraussehbarkeit monoton. Fast die ganze restliche Laufzeit werden dann die anderen alten Peiniger nach dem gleichen Muster abgehandelt: Sie kommen rein, saufen, führen sich auf wie die letzten Prolls, missbrauchen und schlagen Chihiro und wollen dann erstmal dort wohnen. Daraufhin packt sie den Hammer aus und bestellt eine neue Tiefkühltruhe.
Nicht nur Spannung und Ernst verlieren sich mit fortschreitender Filmdauer. Der Film, so scheint es, will das schwierige Thema gar nicht wirklich aufarbeiten. So fehlen Psychologisierung und Motivation von Opfer und Tätern nahezu vollkommen. Diese ständige Monotonie der Misshandlungen, in Verbindung mit der Abstumpfung des Opfers Chihiro und den triefenden Klischees, führt zu einer Verharmlosung des Themas Vergewaltigung - es wird als simpler Thriller verdaulich gemacht. Dazu kommt, dass die Darstellung zu inkonsequent ist. Man muss nicht unbedingt expliziter werden, doch das Leid, was die Frau zur Mörderin werden lässt, ist einfach nicht nachvollziehbar. Selbst die Nacktszenen vermitteln oftmals eher den Eindruck, als wären sie nur zum Selbstzweck und als Zugabe für den männlichen Zuseher gedacht, anstatt Zerbrechlichkeit, Verlorenheit, Machtlosigkeit o.Ä. auszudrücken.
Zu den groben Schnitzern kommen dann noch kleinere handwerkliche Unsauberkeiten: So bemüht sich der Regisseur scheinbar wenig, ein etwas lebhafteres Milieu und einen Hintergrund für die Figuren zu skizzieren. Informationen darüber, sowie über einige wesentliche logische Fragen zum Plot werden ganz billig durch eingefügte Telefonate oder Selbstgespräche der Darstellerin vermittelt. Da hätte man sich mehr einfallen lassen können. Ebenso verhält es sich mit dem Ekelmotiv. Um die bösen Vergewaltiger möglichst schweinisch und abstoßend wirken zu lassen, verwendet der Film geradezu primitive Mechanismen: So erwähnt der eine dauernd, wie sehr er doch stinkt, weil er im Knast nicht duschen konnte. Der andere popelt sich mit einem Taschentuch in der Nase und tunkt dieses dann in sein Schnapsglas. Alle dürfen auch mal im Stehen pissen, einer pult sich gleich danach mit seinen Fingern an den Zähnen und fummelt dann an Chihiro herum. Ekel ist hier Masche und daher kaum wirksam (ähnlich auch bei "The Passion of Christ"). Gerade dafür hat der Film ja eine Bildsprache, die nicht nur durch das wirkt, was gezeigt wird, sondern auch, wie es gezeigt wird.
Als krasser Kontrast hierzu sei einmal "Irréversible" genannt. Die Vergewaltigung und deren psychische wie reale Folgen haben ein völlig anderes Gewicht und wirken nicht nur als Aufhänger für ein Unterhaltungsfilmchen. Zwar gibt es auch hier nicht unbedingt eine große Psychologisierung aller Beteiligten (der meisten aber schon), jedoch wird dies durch die durchdachte Struktur, die raffinierte und konsequente Bildsprache und durch die intensive, kompromisslose Inszenierung mehr als ausgeglichen. Im Grunde fehlt das alles in "Freeze Me". Durch seine Längen und Klischees bleibt der Film eigentlich nur ein sehr mittelmäßiger Thriller. Ich hatte mir mehr erwartet. 4/10.