Einleitend taucht der Schlachter aus "Menschenfeind" (Philippe Nahon) im Knast auf und lässt Gaspar Noés zweiten Film an den vorigen anknüpfen. Der erzählt die Geschichte von Marcus (Vincent Cassel) und seiner Freundin Alex (Monica Bellucci). Dabei bedient er sich eines Kunstgriffes, um die Dramatik in außergewöhnlicher Weise zu steigern: er erzählt die Story rückwärts. Zunächst sehen wir Marcus mit seinem Kumpel Pierre, wie sie in einem Schwulenclub nach einem Mann suchen, den sie auf barbarische Weise töten. Da schluckt der Zuschauer ein erstes Mal und zwar ganz laut, denn wenn der Feuerlöscher den Kopf des Opfers Schlag für Schlag zusammendrückt, ist das mit aller Härte eingefangen. Die Handkamera verfolgt die beiden aufgebrachten Figuren mit der nervösen Art, die alles bildlich wie inhaltlich explodieren lässt. Danach wird der gefesselte Betrachter erst in Rückschritten nach und nach gewahr, wie es zu dem Ausraster kam. Sollte man annehmen, dass dies der üblichen Dramaturgie abträglich ist, ist es weit gefehlt. Denn das eigentliche Drama, das sich hinter diesem Verbrechen verbirgt, ist noch nicht absehbar. Spätestens wenn Noé eine Vergewaltigung in nur einer starren Einstellung minutenlang zeigt, fühlt man sich erdrückt und sprachlos zugleich. So direkt wollen es wohl wenige präsentiert bekommen, um einen amüsanten Kinoabend zu geniessen. Doch "Irreversibel" ist nicht ein allein auf grafische Gewaltorgien angewiesener Film, sondern fesselt vielmehr durch die clevere Story, die, wie auch in "Menschenfeind", scheinbar banale Alltagssituationen bis zur totalen Eskalation erfindet. Dieser Neorealismus ist angereichert mit diversen filmischen Schmankerln, nicht mit Dogma, dafür mit Tempowechseln und abgefahrenen Kamerafahrten. Nur selten gibt es etwas viel der künstlerisch anmutenden Filmemachereffekte und man wünschte sich, der Story entsprechend, noch mehr Akzentuierung. Die Schauspieler glänzen durchweg in ihren teils nicht einfachen Rollen. So hat z.B. Vincent Cassel ("Dobermann") eine hervorragende facettenreiche Vorstellung von großmäulig, frisch verliebt und yuppiesk bis zum draufgängerischen, blindwütigen Racheengel ohne Kompromisse zu bieten, sehr sehenswert. Direktes, schonungsloses Kino verpasst uns der abgefeierte Shootingstar Gaspar Noé, spannend und einzigartig, jedoch stellenweise fragwürdig in der zweischneidigen Moral der Geschichte. So regt er auf jeden Fall zum Nachdenken an, denn wohl kaum jemanden wird die herbe Story kalt lassen. Nichts wirkt irgendwie gekünstelt, das ist wirklich verstörendes Gefühlskino mit beeindruckenden Bildern. Wer bereits "Menschenfeind" genossen hat, wird eventuell den Verdacht nicht los, hier einen programmatischen Skandalfilm serviert zu bekommen, was aufgrund des immensen Interesses an Noés Filmen zumindest als Nerv der Zeit angesehen werden kann, wenngleich das wiederum ein Armutszeugnis für den Spiegel der Gesellschaft darstellt und somit durchaus über der Moral steht.
Fazit: Vordergründig ein Film um Sexualität und Gewalt, letzlich aber über die Vergänglichkeit. Äußerst pessimistisch mal wieder, wenn es heißt "Le Temps détruit tout" - die Zeit zerstört alles. 7/10 Punkten