Review

Irreversible ist das, was der unsägliche Memento hätte werden sollen - ein geiler Film, dessen Story rückwärts erzählt wird.

Der französische Regie-Newcomer Gaspar Noe lieferte ein dermaßen geniales Drehbuch ab, dass sogar Topstars wie Vincent Cassel und Monica Bellucci nicht ablehnen konnten und sich zur Verfügung stellten. Und nehmen wir es vorweg: Dies hier ist Belluccis beste Rolle überhaupt. Mal was anderes als diese ganzen flachen Playmate-Rollen.

Der Film beginnt (und die Story endet) ruhig in einem kleinen Zimmer, in dem sich zwei schwule ältere Herren über die Zeit Gedanken machen. Auf einmal hören sie von unten Lärm. Die Kamera schwenkt um und fährt zur Quelle des Lärms...ein Höllentrip beginnt.

Der ahnunglose Zuschauer wird erst einmal sofort mit irre wilden Kamerschwenks und mit treibender, bedrohlicher Hammermusik völlig verwirrt und praktisch erschlagen.

Wir befinden uns in einem pervesen Sado-Maso-Schwulenclub. Vincent Cassel sucht einen Mann und führt uns mit wilden Schwenks durch die in Rot getränkte perverse Welt. Er findet den Gesuchten tatsächlich, doch welche Überraschung...der Typ nimmt einen Feuerlöscher und schlägt Cassel derbst brutal den Schädel ein.

Ein paar Kapitel später sehen wir eine Frau namens Alex (Bellucci), die eine Party verlässt. Eine Hure am Straßenrand rät ihr, die Unterführung zu benutzen, was sie auch tut. Doch dort lauert ihr der Typ aus dem SM-Club auf und vergewaltigt sie anal. Hört sich nicht sonderlich interessant an denkt ihr? Na dann solltet ihr wissen, dass das ganze ungefähr 15 Minuten dauert und ohne einen einzigen Schnitt am Stück gefilmt wurde. Am Schluss prügelt sie der Typ dann auch noch ins Koma.

Nun haben wir 2 Personen, die wir noch nicht so gut kennen und beide sind tot bzw. schwer verletzt. Schön und gut, doch was kommt jetzt? Was dann kommt, hat man als Zuschauer so nicht erwartet.

Bis zum Ende hin erfahren wir kapitelweise die Beziehung zwischen den beiden Opfern und diese schockiert uns dermaßen, dass der Anfang des Films (und das Ende der Story) plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheint. Wir sind schockiert und entsetzt angesichts der Tatsache, dass die beiden ein verliebtes Paar sind, voller Hoffnungen, Träume, Spass und Freude. Doch dies alles wird in der Zukunft der Charaktere ein jähes Ende finden. Sie wissen es nicht, aber wir als Zuschauer schon, und das quält uns den Rest des Films über.

Doch die Story eröffnet uns noch mehr gräßliche Details, die uns mit den Opfern mitleiden lassen: Omenhafte Alpträume und andere Andeutungen, die das Zukünftige andeuten, von dem wir wissen, dass es so passiert. Man möchte am liebsten den Bildschirm anschreien und die beiden warnen.

Dann gibt es diese intensiven Sexszenen, in denen beide Hauptdarsteller splitterfasernackt ungehemmt ihrer Liebe Ausdruck verleihen. Sie führen dazu, dass der Zuschauer nicht mehr nur Beobachter, sondern Teilnehmer der nun schon fast dokumentationsartigen Handlung ist. Dazu gehört, dass sämtliche Kapitel ohne Schnitte gedreht wurden, jedes besteht aus einer einzigen Kamerafahrt. Dazu fällt auf, dass die Kameraführung sich dem Innenleben der Hauptfiguren anpasst. Wenn Cassel rasend vor Wut durch den Club geht, dann saust die Kamera wild herum, in den ruhigen Szenen bekommen wir auch ruhige Kameraeiunstellungen zu sehen. Künstlerisch eine Wucht.

Meint man gegen Ende, dass es nicht mehr schlimmer und grausamer kommen kann, so belehrt man uns wieder eines besseren. Details will ich hier nicht verraten, nur soviel: Die letzten beiden Einstellungen zeigen die glückliche Bellucci ein Buch lesend in der Sonne im saftig-grünen Gras liegend. Ein Kind spielt. Ein Rasensprenger sorgt für erfrischende Kühlung. Plötzlich dreht sich die Kamera wild im Kreis, der Bildschirm beginnt zu blitzen. Nach einiger Zeit erscheint der Spruch, der den Film charakterisiert: LE TEMPS DETRUIT TOUT! (Die Zeit zerstört alles!).

Ein abschließendes Lob Gebührt Vincent Cassel und Monica Bellucci, für deren Improvisationsleistung ich sofort alle Schauspielpreise der Welt vergeben würde. Man stelle es sich mal vor:
Beide liegen im Schlafzimmer im Bett. Cassel steht auf und zieht sich an, während Bellucci duschen will. Während die Kamera nun Cassel beim Anziehen zusieht, muss die Bellucci backstage durch die Wohnungsrequisite in die Dusche rennen, bevor die Kamerafahrt mit Cassel dort eintrifft. Das ist Schauspielerei auf allerhöchstem Niveau!
Außerdem ist ihnen ihr Mut hoch anzurechnen, sich nackt zu zeigen, denn man sieht bei beiden so ziemlich alles. Es würde nämlich überhaupt nicht zum Stil des Films passen, wenn sich die Darsteller dauernd verschämt mit irgendwelchen Tüchern etc. verhüllen, immerhin soll der Film voyeuristisch wirken, d.h. als ob die Kamera gar nicht da wäre.

Die Moral von der Geschicht':
LE TEMPS DETRUIT TOUT. Die Zeit zerstört alles - Schönheit, Liebe, Glück. Was bleibt ist Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Wut. Was wäre gewesen, wäre Alex nicht oder eine Minute später in die Unterführung gegangen? Ihr Leben wäre total anders verlaufen, vermutlich besser. Der Film zeigt uns, wie wichtig die Zeit für unser Leben ist, wie sie uns prägt und beeinflußt. Ein Film, nein ein Meisterwerk, das uns nachdenklich stimmt und über das man sich tagelang unterhalten und streiten kann - für die einen faszinierend, für die anderen Ekel erregend.

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