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Simplizität trifft auf Gradlinigkeit: Ein Paar. Auf einer Party. Ein Streit. Sie beschließt heimzugehen. Wird in einer Straßenunterführung vergewaltigt und zusammengeschlagen. Er sinnt auf Rache. Kann den Täter in einem Club ausfindig machen. Zermatscht ihm mit einem Feuerlöscher den Schädel. That’s it. 

Alle Mühe gibt sich Gaspar Noé in seiner zweiten Regiearbeit "Irreverible", die Einfachheit, die der Schilderung dieses eskalierenden Abends obliegt, zu kaschieren. Indem etwa die Chronologie umgekehrt und die Story somit vom Ende bis zum Anfang erzählt wird, was sich allerdings als ganz und gar sinnentleerter Taschenspielertrick entlarvt, der den Gesamteindruck eher schmälert als ihn zu aufzuwerten: So wird der Auftakt hinsichtlich der richtungsverkehrten Narration mit der Vollstreckung von Marcus‘ Selbstjustiz gemacht, die unweigerlich die Frage nach dem Warum in den Raum wirft. Gut fünfundvierzig Minuten des rund eineinhalb Stunden währenden Streifens müssen wir uns bis zur klaren Antwort gedulden, nur dass der dabei etwas Dummes innewohnt: Sie löst zugleich den einzigen, uns interessierenden Konflikt, der hier wirklich ernsthaft verhandelt wird, und reißt so einen Krater in die ohnehin schon flache Dramaturgie. Dass daraufhin eine unsagbar öde und nutzlose Exposition folgt, ist dann bestenfalls noch als Farce zu betrachten. 

Die Spucke dürfte einem aber nicht nur aufgrund qualitativer Missstände wegbleiben, sondern auch, weil Noé den dubiosen Versuch unternimmt, die Grenzen beim Thema der Gewaltdarstellung auszuloten. Dreh- und Angelpunkte bilden hierbei die Ermordung sowie die Szene der Schändung. Bei ersterer hält die Kamera unerschrocken „voll drauf“, sodass jeder, der schon mal sehen wollte, wie ein Kopf aufplatzt und in seine Einzelteile zerfällt, auf seine Kosten kommt. Bei letzterer wird die Geschmacklosigkeit abermals angezogen, wenn in überlangen, unnötig ausgedehnten zehn Minuten die Misshandlung von Alex visualisiert wird. Für beide Sequenzen gilt: Der Regisseur zieht alle Register beim Spiel auf der Klaviatur der Grausamkeit. Allein diese Brutalität hat keine Funktion für die Erzählung, sondern wird lediglich zum Selbstzweck ausgeschlachtet und soll durch die hervorgerufenen Gefühle von Schmerz, Ekel und Betroffenheit vordergründig frappieren. Da bleibt nicht mal eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung, nur eine gute Gelegenheit, das zahlende Publikum mit dem Vorschlaghammer zu erschüttern.  

Um das „Meisterwerk“ zu vollenden, wird das Endprodukt dann selbstredend noch nachdenklich und bedeutungsschwanger aufgeladen. Die Binsenweisheiten, mit denen die eigene künstlerische Nichtigkeit verbrämt werden soll, serviert Onkel Noé so platt wie Forrest Gump stets zu suggerieren vermochte, dass das Leben wie eine Schachtel Pralinen sei. Fernab von den prätentiösen und pseudovisionären Momenten, die in diesem Film gewuchert sind wie Krebsgeschwüre, offeriert die Kameraarbeit von Benoît Debie dann immerhin ein Paar wirklich interessante experimentelle Werte. Er liefert jene entfesselten und delirierenden Bilder - die zudem nicht selten in ihren Bewegungen Assoziationen an eine Achterbahnfahrt wecken – nach denen Noé im Grunde die ganze Zeit zu plump und zu Beifall heischend auf der Suche ist. Selten wollte ein Film so viel sein und ist so wenig geworden.

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