Review

Der Strudel der Gewalt.

Ich muss sagen, dass ich mich lange zurückgehalten habe, hierzu eine Kritik zu schreiben. Ich wusste noch nicht genau, was ich von dem Film im Detail halten sollte.

Und es ist auch schwer. Die szenenweise rückwärts erzählte Geschichte eines grausamen Verbrechens und seiner verheerenden Folgen auf verzweifelte Individuen wird einerseits sehr provokativ brutal in Szene gesetzt, andererseits doch auch emotional bewegend und nachdenklich.
Gerade der Anfang, wo man als Zuschauer noch rechte Schwierigkeiten mit dem Zurechtfinden hat, wirkt durch die ständig wirbelnde (wackeln ist hier das falsche Wort...) Kamera und einem hektisch und aggressiv gespielten "Finale" sehr intensiv und nervenaufreibend (das meine ich mit brutal hier). Kaum nachvollziehbar wird man erst mal hineingezogen in eine rauschhafte Entladung von Aggression und Gewalt in einer ebenso unangenehmen Kulisse eines SM-Schwulenclubs.

Hat man das nun überstanden, so erkennt man im Rest des Filmes die eigentliche Motivation für die Bluttat, nämlich eine andere: Die Freundin des Täters, gespielt von Monica Belucci (großes Lob für ihren Mut!) wird von einem Zuhälter mehr oder weniger grundlos vergewaltigt. Ihr Freund sieht sie nur noch, wie sie im Koma liegend abtransportiert wird, und der Teufelskreis setzt sich fort...

Ist hier eine "akzeptable" Rechtfertigung zu sehen?
Kann man die Reaktion des Freundes anklagen?

Eine Diskussion darüber ermöglicht der Rest des Filmes aufgrund der Zeitumkehr. Mit einer ruhigen Behutsamkeit werden in voller Harmonie die schönen Tage des frischen, jungen Paares geschildert. Detailverliebt, mit angenehm lockeren Dialogen entfaltet "Irreversible" hier seine andere Stärke. Die Liebesbeziehung kommt spürbar echt und wundervoll rüber, und genau diese dargestellten Kleinigkeiten und Umstände sind es, die das "Ende" des Films so heftig erscheinen lassen, obwohl dort auf Gewalt und Schmerz vollkommen verzichtet wird.

Die ruhigen Bilder in der letzten Hälfte des Films sind es, die erst das Ausmaß der Katastrophe zeigen (was normalerweise erst danach ersichtlich ist...). Die Vernichtung der Illusion auf ein Happy-End in einer gnadenlosen Form. Schlagartig wird man sich bewusst, wie determiniert unser Zusammenleben ist, wie determiniert wir in unserem Handeln und Denken, in unserer Moral sind, von den äußeren Umständen, von Leid, und von der Zeit.

Gaspar Noe geht dabei den entgegengesetzten Weg, wie etwa ein Michael Haneke in "71 Fragmente". Die Motivation der zentral stehenden Gewalt, die äußeren Umstände werden nicht wie bei Haneke in einer kalt-distanzierten, scheinbar unbeeidruckten Kamera eingefangen. Man bekommt als Zuschauer nicht eine Voyeur-Rolle, sondern man wird regelrecht hineingerissen in den Strudel (schön verdeutlicht durch eben diese wirbelnde Kamera und durch die anstrengend wilde Farben- und Beleuchtungsflut) und kann sich dessen nicht entziehen.
Beide Methoden sind genial, wobei die französische sicherlich ein größeres Publikum findet. Haneke wäre dafür eher zu hintergründig, sein Stil zu "arm".

Dennoch will ich nicht bestreiten, dass Noé's Werk meisterhaft ist. Die emotionale , fast an Sadismus grenzende Tragik (siehe auch "Requiem for a dream") bleibt einem noch lange haften und wirft die Frage auf, inwiefern und in welcher Darstellung Gewalt eigentlich Unterhaltungspotential besitzen kann/darf. 10/10

Details
Ähnliche Filme