"Byzantium" stellt eine tolle Variation der von mir so überaus geliebten Vampirthematik dar.
Im Mittelpunkt stehen die beiden Vampirdamen Clara und Eleanor (Mutter und Tochter, sich allerdings als Schwestern ausgebend), die sich über 200 Jahre durch das "Leben" schlagen und dabei stets von mysteriösen Verfolgern gejagt werden...
Zu allererst fällt auf, dass Neil Jordan mit fast sämtlichen Vampirklischees aufräumt. Diese Vampire widerstehen dem Tageslicht, haben kaum übermenschliche Kräfte und noch nicht einmal Fangzähne, sondern einen wachsenden spitzen Daumennagel, der zum Anstechen der Opfer benutzt wird. Auch das "Vampirwerden" vollzieht sich hier gänzlich anders, als in klassischen Blutsaugerstreifen. Dabei hat Neil Jordan 18 Jahre zuvor mit "Interview mit einem Vampir" einen schon fast benchmarkverdächtigen Film bezüglich der klassischen Vampirromantik geschaffen, was die Unkonventionalität seines neuesten Werkes umso erstaunlicher wirken lässt.
"Byzantium" spielt ganz und gar nicht in einer klassischen, gothic-horrorliken Umgebung, sondern in tristen Wohnblocks, dreckigen Hotels sowie einer heruntergekommen Hafengegend. Diese Tristesse wird allerdings einige Male unterbrochen, wenn durch Rückblenden die Vorgeschichte der beiden Protagonistinnen sowie die Entstehung der Verfolgungssituation durch einen Geheimbund näher beleuchtet werden. Diese Rückblenden besitzen wiederum teilweise einen leicht gothischen Kostümfilmcharme, da diese Anfang des 19. Jahrhunderts angesiedelt sind. Aber auch hier ist die Atmosphäre sehr kühl und vom wohligen Schauer alter Hammer-Produktionen meilenweit entfernt.
"Byzantium" als Horrorfilm zu bezeichnen wäre nicht ganz korrekt. Dafür gibt es (bis auf ganz wenige Spitzen) kaum Gewalt, keinen vordergründigen Spannungsaufbau und auch keinen Psychohorror oder Schauerromantik. Es ist vielmehr ein Drama, das die Spannungen von Mutter und Tochter in einem hoffnungslos erscheinenden, 200 Jahre währenden Lebenskontext beleuchtet, samt zarter Lovestory als Nebenkriegsschauplatz. Ein wenig klassische Spannung erfährt der Film nur durch das unheilvolle Damoklesschwert des verfolgenden Geiheimbundes als Handlungsüberbau.
Die ganz große Stärke des Films ist hier eindeutig in den beiden Hauptdarstellerinnen zu sehen, die wirklich großartig aufspielen und der Geschichte Tiefe und wirkliche Identifikationsfiguren verleihen. Aus dem Spannungsfeld von Mutter und Tochter und deren Seelenleben zieht "Byzantium" seine Kraft, die den Zuschauer in seinen Bann zieht. Gerade auch Saoirse Ronans zerbrechliche Darstellung eines 200-jährigen "Teenagers" und ihre Probleme mit dieser Existenz überzeugen. Auf der anderen Seite spielt Gemma Arterton als ihre Mutter mit einer tollen, emotionalen Performance groß auf.
Ein weiteres großes Plus des Streifens ist die Bildsprache. Wunderbare Bilder (z.B. die mystische Insel mit den Wasserfällen und die toll ausgearbeiteten, kostümlastigen Rückblenden) wechseln sich mit einer großartig eingefangenen Tristesse der irischen Küstenstadt der Gegenwart ab. Eine ruhige Bildsprache ohne hektische Schnitte unterstreichen dabei optimal den melancholischen Grundtenor der Geschichte.
Fazit: Tolles Schauspielerkino jenseits des Mainstreams, auf das man sich allerdings einlassen muss, schon allein wegen der sehr ruhigen Inszenierung. Neil Jordan zeigt mal wieder sein Gespür für besondere Stoffe und sein Talent für ungewöhnliche Inszenierungen, was er schon 1984 in der abgefahrenen Rotkäppchen-/Werwolf-Interpretation "The Company of Wolves" eindrucksvoll bewiesen hat.
8,5/10