Das ganz große amerikanische Drama schwebte Derek Cianfrance mit „The Place Beyond the Pines" offenkundig vor. Wuchtig, sperrig, generationenumspannend sucht er das Große im Kleinen, das Komplexe im Einfachen. Das gelingt nicht über die gesamte Laufzeit, da die Geschichte mitunter ins klischeehafte abdriftet und die ungewöhnlich Struktur, für die das Feuilleton den Begriff „Tritychon" ausgegraben hat, der Sogwirkung der Geschichte am Ende eher im Weg steht. Dafür entschädigen tolle Schauspielleistungen, bei denen vor allem Bradley Cooper und Eva Mendes herausragen sowie ein atmosphärischer Score.Der Stuntfahrer Luke (Ryan Gosling) begegnet im kleinen Ort Schenectady seinem alten One-Night-Stand Romina (Eva Mendes). Als er erkennt, dass sie einen Sohn von ihm hat, will er Verantwortung übernehmen. Um Geld aufzutreiben beginnt er, Banken auszurauben und kreuzt dabei den Weg des jungen Polizisten Avery Cross (Bradley Cooper). Der kämpft auch gegen kriminelle Machenschaften innerhalb seiner Abteilung und hadert mit der Erwartungshaltung, die sein angesehener Vater an ihn stellt. Jahre später begegnen sich die Söhne der beiden im Teenager-Alter und werden von den Sünden ihrer Väter eingeholt.
Liebe, Hass, Rache, Vergebung, Schuld, Sühne, Ehrgeiz, Gier, Schicksal, Verantwortung - „The Place Beyond The Pines" (2012) mangelt es wahrlich nicht an gewichtigen Themen. Und Derek Cianfrances („Blue Valentine") nimmt sich in seinem Bastard aus Familiendrama, Copkrimi und Psychothriller auch angemessen Zeit, wirklich alles in seine Handlung einzubauen. Dazu sind allerdings einige Haken in der Geschichte notwendig, die teils plausibel, teils allerdings auch unbefriedigend eingeflochten werden und mitunter sogar ins Klischeehafte abdriften. So gerät insbesondere der Polizei-Korruptionsplot um Ray Liotta recht holzschnittartig bis plump. Auch schwankt die Qualität der einzelnen Segmente und insbesondere der letzte Akt um die Söhne von Luke und Avery gerät reichlich überkonstruiert und vorhersehbar. Die Folge: Gerade zum Ende zieht sich der Film ziemlich in die Länge und fühlt sich auch wirklich nach 2,5 Stunden Spielzeit an.
Im Vorgänger „Blue Valentine" (2010) Spielte Cianfrance seinen Background als Dokumentarfilmer geschickt aus, um eine absolut geerdete Geschichte mit glaubhaften Charakteren zu inszenieren. Ähnliches schwebte ihm offenkundig auch für „The Place Beyonds The Pines" vor. Tatsächlich beißt sich die konstruierte Geschichte allerdings mit der auf Realismus und Authentizität getrimmten Inszenierung. Der reale Drehort, die eingesetzten Laiendarsteller und durch massenweise Unterschichten-Insignien entstellte Hollywoodschönheiten - Cianfrance ist sichtlich um eine geerdete Inszenierung bemüht, wobei er zu vergessen scheint, dass sein Plot für jeden sichtbar in höheren Sphären schwebt. Diesen stilistischen Widerspruch kann „The Place Beyond The Pines" (2012) bis zum Ende nicht vollkommen auflösen.Können Männern dem Schicksal entfliehen, das ihnen durch ihre Väter vorgezeichnet wurde? Das ist eine der zentralen Fragen, die Cianfrances Film verhandelt. Damit wird allerdings auch der konservativ-patriarchalische Grundton der Geschichte deutlich. Obwohl Eva Mendes Charakter durchaus facettenreich gestaltet ist, gerät sie letztendlich doch zum Spielball der dominanten Männerfiguren. Beim Bechdel-Test fällt „The Place Beyonds The Pines" (2012) mit Pauken und Trompetendurch und so bleibt der Beigeschmack eines tendenziell konservativen Machokinos im schick-alternativen Independent-Schafspelz.
Das soll allerdings nicht bedeuten, dass „The Place Beyonds The Pines" gänzlich misslungen sei. Unterstützt von dem hypnotischen Score von Mike Patton sowie den grandiosen Darstellerleistungen entwickelt der Film über weite Strecken, eine intensive und fesselnde Atmosphäre. Insbesondere die Darsteller heben den Film aus dem Mittelmaß. Während Ryan Gosling seinen Part als wortkarger Unterschichten-Outlaw mit Prinzipien überzeugend aber auch etwas sehr routiniert im Drive-Autopilot abspult, ragen vor allem Bradley Cooper und Eva Mendes darstellerisch heraus. Beide schienen zuletzt bemüht, ihr oberflächliches Schönling-Image in ambitionierten Projekten wie „Bad Lieutenant" (2009), „Last Night (2010), „Der Dieb der Worte" (2012) und Silver Linings" (2012) abschütteln zu wollen - „The Place Beyonds the Pines" ist für beide ein weiterer Schritt in Richtung Charakterfach.„The Place Beyond The Pines" ist ambitioniertes und gut gespieltes Independent Kino, das sich mit zunehmender Laufzeit thematisch etwas verzettelt und in einem überkonstruierten und erstaunlich banalen dritten Akt mündet, der genauso langatmig wie vorhersehbar gerät. Dank der tollen Darstellerleistungen für Indie-Fans trotzdem sehenswert, aber weit davon entfernt, das angepeilte Meisterwerk zu sein.
Daran werde ich mich erinnern: Ryan Gosling Tattoo am Auge