Review

- Operation Inhaltsangabe fehlgeschlagen -

Bereits mit seinem poppigen Yakuza-Musical „Tokyo Drifter“ zog sich Seijun Suzuki 1966 den Zorn seiner Brötchengeber bei der Nikkatsu-Filmproduktion zu. Seinen Hang zu abstrakter Narration und ungewöhnlicher Bildgestaltung lebte er auch im Nachfolgefilm „Branded to kill“ exzessiv aus- dieses Mal allerdings zu exzessiv. Die Produzenten wünschten den ohnehin mit den Arbeitsbedingungen unzufriedenen, indirekt rebellierenden Regisseur zum Teufel und kündigten ihm.

Heute darf sich der Freund ungewöhnlicher Filmkunst glücklich schätzen dass man in der Chefetage nicht schon während der Dreharbeiten bemerkte das sich Suzuki um das Drehbuch und seinen Aufbau nicht viel scherte. In „Branded to kill“ hat Suzuki eine surreale Welt aus streng komponierten Bildern erschaffen, deren tragischer Kern dem beinahe in Trance versetzten Zuschauer ins Unterbewusstsein schlüpft und damit als Film eine nachhaltige Wirkung im Oberbewusstsein erzeugt.

Doch die Bilder alleine wirken zu lassen ist nicht ausreichend, man sollte als Zuschauer auch ein nicht unbeträchtliches Maß an Erfahrung mit und Aufgeschlossenheit gegenüber dramaturgischen Konventionsbrüchen mitbringen- kurz: Die eigenen Sehgewohnheiten über Bord werfen können. Denn „Branded to kill“ als Unterhaltungsfilm zu goutieren und seiner brüchigen Handlung zu folgen gestaltet sich schwierig. Suzuki pendelt spielend zwischen erzählerischen, mitunter auch rasanten Szenenfolgen wie einer Schießerei im Hafen mit waghalsigen Manövern und metaphorischen Momentaufnahmen hin- und her und macht es dem Zuschauer alles andere als einfach, seinen Film als das zu verstehen, was er vermutlich sein möchte: Eine Parabel über unbewussten und teilweise selbstverschuldeten Identitätsverlust.

Dies ist allerdings wohl nur eine oberflächliche Lesart, mit der man sich dem Film annähern kann da sie als einziger Themenpunkt das gesamte, komplexe Gefüge aus verschiedensten Episoden zusammenhält. Hitchcock hätte die „Geschichte“ von „Branded to kill“ sicherlich zu einem elektrisierenden Psychothriller verarbeitet, doch unter Suzukis Regie wandelt sie sich vom zeitgenössischen Gangster-Krimi zu Beginn zu einer abstrakten Charakterstudie seines Protagonisten Hanada im Finale. Die Art und Weise, in der uns das Innenleben Hanadas konsequent verschlossen bleibt und wie gerade dieser Umstand mehr über seine Persönlichkeit und den Ursprung seines seelischen Zustands erzählt als es konventionelle Stilmittel vermocht hätten, ist bewundernswert. Hanada ist jeglicher Selbstreflexion fern, Ursachen für die Vorgänge um ihn herum und für das Verhalten seiner Mitmenschen untersucht er nie unter Einbezug seiner eigenen Person sondern projektiert all das auf Gegenstände, Menschen und physische Gesetze. Die Repression in seinem Kopf wird erst mit ihm sterben. Und deswegen ist der Film auch ungemein hart mit seinem Protagonisten, da er ihm somit eine ungesunde Unreife und große Schuld am eigenen, wenig erfreulichen Schicksal aufbürdet.

Ob „Branded to kill“ anhand dieser Motive als pessimistischer, die Gattung Mensch verdammender, vergeistigter Filmessay einzuordnen ist? Nicht unbedingt. Ich hoffe, durch diesen Review niemanden vor ein zunehmen. All das oben beschriebene spiegelt meine persönliche Interpretation dieses schwierigen Films wieder- die natürlich keinesfalls die richtige sein muss. Es gibt Filme die treffend zu umschreiben mir kaum möglich ist. Und hierzu zählt auch „Branded to kill“, an dessen verschlüsselten Inhalten man sicherlich lange zehren kann.

Doch das erste Sehen (ich habe ihn mir zweimal hintereinander angesehen) wird sicherlich dominiert von dem unermesslichen, visuellen Reichtum der hier auf Zelluloid gebannt wurde. Suzuki setzt hinter die 1967 auslaufende Ära des Schwarzweißfilms einen glorreichen Schlusspunkt. Anders als die für ihre visionären, traumartigen Kompositionen bekannten und (zurecht) geschätzten Landsmänner Akira Kurosawa, Masaki Kobayashi oder Hiroshi Teshigahara vertraut Suzuki seiner spartanischen Art-Deco-Ausstattung und zieht einen Großteil seines Kapitals aus der Beleuchtung und der Staffelung verschiedener Bildebenen seiner Scope-Bilder und muss sich mit seiner Vorgehensweise vor dem Expressionismus eines Paul Wegener oder Fritz Lang ebenso wenig verstecken wie vor dessen postmodernen Kindern (u. a. Mario Bava, Alfred Vohrer, Michelangelo Antonioni). Die in der zeitgleichen Hochphase der Pop-Art entstandenen Assemblages und Akkumulationen in filmgerechte Settings umgewandelt und dementsprechend vereinfacht- das beschreibt die Extravaganz, mit der Suzuki seine Studioaufnahmen dekoriert und ausgeleuchtet hat, am ehesten. Geheime Höhepunkte dieser Art sind Hanadas Begegnungen mit der in Todessehnsucht versunkenen Misako in ihrem „Schmetterlingszimmer“. Die kubistische Strenge weicht hier einer bizarren Schönheit und überhaupt sind diese Sequenzen trotz ihrer Kälte das „schönste“ und „sanfteste“ an Suzukis Film.

„Branded to kill“ ist dafür prädestiniert, sein Publikum zu spalten. Die einen werden nur der todschicken Oberfläche Beachtung schenken, die anderen werden ebenso wie ich zumindest versuchen, sich Suzukis Film auch auf inhaltlicher Ebene zu nähern. Da jedoch- ähnlich wie in den Filmen meines Lieblings Dario Argento- die visuellen und inhaltlichen Zahnräder permanent ineinander greifen ist man schlussendlich beinahe gezwungen, beide in der Nachbetrachtung des Films mit einzubeziehen. Das steht dem Genuss jedoch keinesfalls im Wege sondern regt zu mehrmaligem Sehen an- und das einmal nicht wie sonst so oft aufgrund einiger vager, missverstandener Details in der Handlung sondern zum besseren „Kennenlernen“ des Protagonisten Hanada. Und somit kann man zweifellos folgern, das Seijun Suzuki einen ebenso außergewöhnliches wie hochwertiges, ästhetisch wie erzählerisch faszinierendes, düsteres Kunstwerk geschaffen hat. Und es ist schön, dass der Regisseur die verdiente Renaissance seiner Filme noch miterleben kann. Nicht alle Künstler müssen sterben um berühmt zu werden- und so wenige Produzenten haben sich gestern wie heute über ein exzentrisches Ausnahmetalent, das ihnen in den Schoß gefallen ist, gefreut.

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