Schüsse ins Herz der glaubenden Demokratie
Selbst wenn man "Snowden" letztes Jahr ganz in Ordnung fand (wie ich), bekommt man mit "JFK" aufgezeigt, wie verdammt gut Oliver Stone mal im Polit-Thriller-Genre war. Zwischen diesen beiden Filmen liegen 25 Jahre & qualitativ Welten. "JFK" ist eindeutig einer der drei besten Filme des engagierten Regisseurs, vielleicht sogar DER Stone-Film überhaupt. Thriller & Politik verflossen selten so flüssig & explosiv. Weit über drei Stunden & nur ganz wenig überschüssiges Fett - ein dicker Brocken, selbst Jahrzehnte nach seinem Release. Und leider in einer unübersichtlichen Welt aus Fake-News, Verschwörungstheorien & Machtgeilheit, aktueller denn je. Das Mysterium John F. Kennedy-Mord - ein Rätsel, bei dem ich mir unsicher bin, ob ich die Wahrheit je erfahren werde.
Oliver Stones Mammutwerk über die Geschehnisse, den offensichtlichen Komplott & die (viel zu wenigen) Prozesse danach, gibt für mich persönlich eine recht logische Erklärung. Sicher nicht in allen Details korrekt & nicht immer vollends überzeugend & übersichtlich, doch im Endeffekt ein mutiger & überfälliger Schlag ins Gesicht der verschwiegenen & verlogenen US-Regierung. Und wieder mal ist wesentlich schockierender als der eigentliche Mord, dass bis heute Unklarheit & wenig Interesse an der Wahrheit besteht. Hat die Bevölkerung aufgegeben danach zu suchen? Haben wir kein Recht auf Wahrheit? Wenn die Regierung so mächtig ist & ohne wirklichen Gegenwind mit so etwas durchkommt... was schlummert da noch so alles hinter verschlossenen Türen? Da soll sich nochmal einer Wundern über den verlorenen Glauben in Politik, Medien & "Fakten". Oder das jetzt leider über jedes Unglück oder jeden Mord eine Verschwörungstheorie zu finden ist...
Zurück zum Film, obwohl eben sein kritisches Thema & spürbarer Rattenschwanz die größte Nachwirkung & Brisanz besitzen. Doch auch filmtechnisch ist "JFK" eines der großen amerikanischen Werke der letzten 30 Jahre. Schauspielerisch wird hier ein Ensemble aufgefahren, dass jede Kinnlade runterklappen lässt. Eine Liste bekannter Gesichter würde jede Kritik sprengen - bis in kleinste Nebenrollen gibt es hier Acting-Gold. Hier jemanden herauszupicken würde allen anderen Hochkarätern unrecht tun. Dicker besetzt als Pescis Augenbrauen... Ok, Kevin Kostner steht über allen - sowohl seine emotionalen, familiären Ausbrüche mit Sissy Spacek wie sein legendäres Abschlussplädoyer lassen daran keinen Zweifel. Allein der finale Part im Gericht, u.a. über die "magische Kugel", hat einfach alles. Spannung, Humor, Schock, Überraschung, Brisanz.
Doch der geheime Star des Films ist wohl sein Cutter. Bzw. alle Beteiligten Personen vom Kameramann über die Cutter bis zum Regisseur als Dirigent. Wieviele Arten & Stile, wieviele Schnitte & Farben, wieviel Tempo aufgebaut & Brücken geschlagen werden, ist schlicht faszinierend & fast inspirierend für dieses filmische, oft unterschätzte Berufsfeld. Die Geschichte ist etwas einseitig erzählt & in der ersten Hälfte verliert man auf Grund des Umfangs, der verschiedenen Theorien & etlichen Beteiligten, leicht den Überblick. Das Interesse geht jedoch nie flöten & insgesamt hat das Team um Stone einen fabelhaften Job gemacht, eine komplexe Epoche & wortwörtlich unfassbare Verschwörung darzulegen. In überzeugender Manier & realistischer, klarer, unwidersprüchlicher, als es die US-Regierung je konnte. Leider änderte selbst ein so mächtiger Filmhit wenig an der wirklichen Aufklärung oder dem finalen Druck & Interesse der Öffentlichkeit... Übrigens: ein exzellentes Double Feature mit dem schicken Biopic "Jackie", das momentan im Kino läuft, über die First Lady Kennedy.
Fazit: Oliver Stone in Topform - die größte & unverschämteste Verschwörung der US-Geschichte, die man ruhigen Gewissens glauben kann. Eines der wichtigsten Herzensprojekte. Episch, aufrüttelnd, spannend. Extrem lang & unglaublich packend!