Damals als Oliver Stone sich noch als Gesellschaftskritiker betätigte und keine Sülze Marke „World Trade Center“ fabrizierte, warf der gute Mann auch einen Blick auf die Kennedy-Ermordung.
Basierend auf Büchern und akribisch recherchierten Fakten nimmt Stone den mysteriösen Präsidentenmord unter die Lupe, ähnlich wie Don Delillo in „Libra“ und James Ellroy in seiner bisher noch nicht beendeten Trilogie, die mit „American Tabloid“ und „The Cold Sixthousand“ begann. Stones Vorspann erzählt in epischer Breite vom 22. November 1963, verwebt reale Aufnahmen aus Dallas an dem Tage mit selbstgedrehten, um seinen Film direkt stärker in die Realität einzuweben.
Man verhaftet Lee Harvey Oswald, dieser wird erschossen, die Warren-Kommission beendet die Untersuchung. Doch Staatsanwalt Jim Garrison (Kevin Costner) rollt den Fall auf, zeichnet Unstimmigkeiten und Verschleierungen auf...
„JFK“ ist ein Brecher von einem Film, mit seinem Fokus auf Fakten und Dialoge alles andere als großes Entertainmentkino – man könnte sich fast zu dem Begriff unfilmisch hinreißen lassen, da diverse Szenen als Hörspiel oder Buch ähnlich funktionieren würden. Doch Stone macht aus dem dialoglastigen Buch dann doch wieder eine filmische Angelegenheit, indem er Stilmittel wie besagtes reales Material vom Kennedy-Attentat und schwarz-weiß-Szenen zur Akzentuierung einsetzt. Stone bebildert auch Vermutungen und Rekonstruktionen der Ereignisse, vor allem während Garrison sein Plädoyer hält.
Mit seiner Lauflänge von drei Stunden in der Normalfassung (und noch mehr im Director’s Cut) verlangt „JFK“ dem Zuschauer so einiges ab und tatsächlich lassen sich im zweiten Drittel kleinere Hänger verzeichnen, denn gerade die Subplots um Garrison funktionieren nur teilweise. Die Zerrüttung der Familie angesichts von Garrisons Arbeitsbesessenheit stellt „JFK“ glaubwürdig dar, aber für diverse Streitigkeiten und Rivalitäten im Büro fehlt dann doch die nötige Aufmerksamkeit, da man sich ja primär doch lieber auf die Rekonstruktion der Kennedy-Ermordung konzentrieren will.
Hier ist „JFK“ dann besonders interessant, da es eines der großen ungelösten Geheimnisse des zwanzigsten Jahrhunderts ist, niemand so wirklich an die Theorie von Oswalds als einsamen Schützen glaubt. Stone verpackt das Ausbreiten der Fakten dann passenderweise in eine Gerichtsszene, in der Plädoyer und Beweisführung einen wesentlich größeren Eindruck hinterlassen als würden die Fakten einfach nur so vorgetragen.
Stone folgt dabei der populären Theorie, dass Kennedys Friedensangebote im Kalten Krieg und sein angekündigter Rückzug aus dem Vietnamkrieg Grund für seine Ermordung waren – Vietnam ist bekanntermaßen ja eh Stones Obsession. „JFK“ führt ein mögliches Gebilde von Hintermännern aus FBI, CIA und Militär ein (andere Theorien weisen noch besonders stark auf das organisierte Verbrechen als möglichen Mit-Drahtzieher hin), ist aber schlau genug, sich nicht auf eindeutige Behauptungen festzulegen. Das Ende lässt offen inwieweit Garrisons Vermutungen richtig sind, die angesprochenen Unstimmigkeiten im Report der Warren-Kommission bleiben jedoch im Gedächtnis des Zuschauers hängen und regen zum Hinterfragen an, was definitiv eine stolze Leistung ist.
Apropos stolze Leistung: Kevin Costner, hier gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere, spielt den Staatsanwalt sehr überzeugend, verkörpert die Akribie und den Fanatismus des Ermittlers ausgesprochen glaubwürdig. Das Ensemble der Nebendarsteller ist ebenso prominent wie gut aufgelegt, selbst große Namen wie Donald Sutherland, Walter Matthau und Jack Lemmon haben nur kleine Rollen. Selbst der echte Jim Garrison hat einen Gastauftritt in Stones Film, ein Zeichen der Bewunderung des Regisseurs für den Mann.
Oliver Stones Aufarbeitung der Kennedy-Aufarbeitung kommt ohne große Schauwerte aus, ist dialoglastig und trotzdem sehr fesselnd. Im zweiten Drittel schwächelt „JFK“ etwas, doch die hochinteressant aufbereiteten Fakten und das hervorragende, extrem prominente Ensemble entschädigen da auf jeden Fall.