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Der deutsche Filmverleih hatte Schwierigkeiten, Jonathan Glazers lang geplante Alien-Odyssee kommerziell einzuschätzen und entschloss sich trotz der zugkräftigen Scarlett Johansson in der Hauptrolle, ihn aus dem Kino fernzuhalten. Eine traurige, gleichwohl nachvollziehbare Entscheidung, denn auch künstlerisch steht „Under The Skin“ zwischen allen Stühlen: Bestimmt handelt es sich um kein Kind des Mainstreams, nicht einmal annähernd. Aber klassisches Arthauskino passt auch irgendwie nicht so richtig.

Im Vergleich mit jüngeren Avantgarde-Streifen wie „Holy Motors“ oder „Cosmopolis“ bedient sich Glazer nämlich einer verhältnismäßig banalen Prämisse, die er auch mit einer betont klaren und offenen Bildsprache unterfüttert. Eröffnend bildet sich aus einem Lichtpunkt im Dunkel langsam eine universell kodierte Ringform, aus der schließlich eines der ausdrucksstärksten Motive der gesamten Kinogeschichte ensteht: Ein Close-Up des menschlichen Auges. Es bedient die postulierte Beobachterperspektive des Films vom Start weg und gibt einen neutralen, naturwissenschaftlichen Grundton vor. Anschließend erklingen phonetische Bruchstücke, die sich langsam zu menschlichen Kommunikationsbausteinen herausbilden. Schon hier macht Glazer klar, dass er von einer leeren Ausgangskonstellation ausgeht, die mit nichts meinenden Lauten ausgefüllt werden muss, welche erst durch den Kontext Bedeutung erlangt.

Der Kontext wird in zusammenhanglosen, mitunter abrupt abbrechenden Handlungssträngen immer wieder neu generiert. Selbst als sich zu Beginn des letzten Filmdrittels ein veränderter Ablauf im Verhalten der Alienfrau andeutet, als ein Mann intensiv um ihre Zuneigung wirbt, wird dieser Akt antiklimatisch zu einem gewissen Punkt einfach abgebrochen und nicht wieder aufgegriffen. Das Abstraktionsniveau des Plots bleibt dabei trotzdem verhalten bis gering, weil die aus dem gemeinen SciFi-Horrorkino bekannte Prämisse vom Alien-Weibchen, das Sex gegen Tod tauscht, omnipräsent und überdeutlich in der Luft hängt. Einige Dinge bleiben allerdings konstant mysteriös, weil Glazer sie bewusst nicht ausbuchstabiert. Das betrifft Storydetails wie den Mann im Motorradanzug, der dem Alien offenbar bei der Jagd hilft; aber auch elementare Fragen wie jene, ob das männerverschlingende Wesen überhaupt extraterrestrischen Ursprungs ist – eine Vermutung, die sich einzig über die Unidentifizierbarkeit gewisser Substanzen und Metamorphosen ergibt, denn das reine Verhalten der Frau ist letztlich ein Abbild irdischer Natur, die seit jeher auf Imitation, Täuschung und Überrumpelung aufgebaut ist.

Der Superrealismus des Films schlägt sich nieder in teils dokumentarisch wirkenden Aufnahmen, die sich einerseits stark mit der klinischen Leere des weißen Raums beißen, mit dem die Handlung beginnt, ihn andererseits aber schlussendlich ausfüllen. Per Funk lässt der Regisseur seine Hauptdarstellerin im Lieferwagen durch die Straßen fahren und filmt dabei auch unwissende Passanten, während sie ihren Text improvisiert. Dass es sich bei der Stadt um Glasgow handeln muss, wird deutlich, als man grünweiß gekleidete Fußballfans am Straßenrand stehen sieht. Informationen erschließen sich somit fortwährend aus der Situation.

Scarlett Johansson begegnet den Sinneseindrücken, indem sie das eingangs implementierte Bild des weit geöffneten Auges beibehält, ohne allzu viel Emotionalität zu investieren. Das Auge als „Fenster zur Seele“ bleibt weitestgehend geschlossen, vielmehr spiegelt sich wissenschaftliche Neugierde in ihrem Gesicht, das sich erst spät für primäre Emotionen zu öffnen beginnt. Auch die Alien-Perspektive zur metaperspektivischen, distanzierten Betrachtung des Lebens ist ein eher traditioneller Kniff und führt wiederum zu einer aus Avantgarde-Perspektive allzu simplen Dechiffrierung. Allerdings bietet Glazer zugleich ein einnehmendes, unvergleichliches Filmerleben, das sich aus vielen Aspekten zusammensetzt: Dem Wirken der überwältigenden Gebirgslandschaften Schottlands in der Phase kurz vor der nächtlichen Finsternis; die Spontaneität der dokumentarischen Situationen im Kontrast zur spiegelhaften Reduktion der surrealistisch arrangierten, kontur- und detailarmen Alien-Sequenzen; der ganze Oktaven und mit ihnen den beschallten Raum dehnende Soundtrack; die unterkühlte, mineralische Optik; der manchmal unverhofft auftretende Humor; die lose, repetetive Erzähltechnik im Mittelteil, dessen Einzelteile gerade angesichts der über zehn Jahre Planung erstaunlich redundant wirken und dennoch eine ganz spezielle Faszination ausüben. Und ein Superstar, der sich mehrmals nackt vor die Kamera stellt und sich damit konsequent der Körperlichkeit des Films in den Dienst stellt.

In der Balance zwischen alternativem Filmverständnis und universell begreifbaren Entitäten, wie sie in jeder Filmgattung ebenso wie in unzähligen Mustern des eigentlichen Lebens wiederzufinden sind, birgt sich die eigentliche Faszination von „Under The Skin“, der erzählerisch viele Schwächen bergen mag und dem auch kein zufrieden stellendes Ende im Sinne eines erfüllenden, schlüssigen Abschlusses gelingt, der aber mit einer besonderen Chemie betört und als Filmerlebnis faszinieren kann, die gegebenen Umstände vorausgesetzt.

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