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"Mona Lisa" entstand auf dem Höhepunkt des "neuen englischen Films" Mitte der 80er Jahre und ist ein Paradebeispiel für dessen außergewöhnlichen Stil. Heute gelten viele dieser Filme als Vorbild für den Gangsterfilm der 90er Jahre, denn sie bereiteten die Akzeptanz für Themen vor, die vor 20 Jahren im zeitgenössischen Kino noch stark tabuisiert waren.

So spielt auch "Mona Lisa" im Gangstermilieu, in dessen Mittelpunkt der Klein-Gangster George steht, genial von Bob Hoskins gespielt mit einer Mischung aus Dummheit, Vorurteilen und Brutalität, aber auch Einsicht, sozialem Verhalten und moralischem Gewissen. Wie kaum ein anderer Schauspieler kann Bob Hoskins solche kleingeistigen Loser zu Sympathieträgern machen, einfach indem er sie menschlich nachvollziehbar und damit verständlich in ihren Gedanken und Reaktionen darstellt.

Als George aus dem Knast entlassen wird, muß er feststellen, daß seine Frau nichts mehr von ihm wissen will, aber seine alten "Freunde" nehmen sich seiner an und vermitteln ihm einen Job als Fahrer der Edelprostituierten Simone (Cathy Tyson). Alleine die anfänglichen Szenen, in denen die Beiden sich kennenlernen - der kleine untersetzte Londoner Ganove und die großgewachsene, sehr schlanke "Schwarze" mit dem immer distinguierten,geheimnisvollen Gesichtsausdruck (der wohl den Namen des Films begründet) - ist von höchster Qualität. George lebt seine rassistischen Vorurteile zuerst voll aus, aber die daraus folgende Auseinandersetzung zeigt deutlich, wie sehr eine solche Haltung auf Unwissen, Angst und eigenen Minderwertigkeitskomplexen beruht - sobald George sich ernstgenommen fühlt, ändert er seine Meinung völlig und unterstützt sie in jeder Hinsicht...

Neil Jordans Stärke liegt hier - wie auch in seinem späteren "Crying Game" - in dem sensiblen Umgang mit ungewöhnlichen menschlichen Konstellationen, bei denen er jegliche Klischeehaftigkeit oder gar Beurteilung vermeidet. So ist auch das Callgirl Simone keineswegs ein besonders guter Charakter ,sondern durchaus egoistisch bei der Umsetzung ihrer Ziele.

Die ganze Story wird abwechslungsreich und spannend erzählt. Als George auf Bitten von Simone beginnt, nach einer anderen Prostituierten zu suchen, gerät er in einen Strudel von Zuhältern, Machtinteressen, Erpressung, Drogen und verschiedenen expliziten sexuellen Spielarten, besonders dem Sex zwischen alten Männern und Minderjährigen.

Wer hier eine "coole" Story modernerer Art erwartet ,wird enttäuscht. Neil Jordan zeigt Georges Weg in den Untergrund in kalten Londoner Bildern, denen jegliche Wärme oder Stilisierung fehlt. Dabei wird weder in die eine noch andere Richtung übertrieben, im Gegenteil - die äußeren Räume sind von solch alltäglicher Qualität, daß sie die Lieblosigkeit und das Geschäft mit dem Sex völlig demaskieren.

Dabei spielt auch Michael Caine als Gangsterboß eine wesentliche Rolle - äußerlich durchaus cool und scheinbar kontrolliert und überlegen, doch blitzen kleinbürgerliche und engstirnige Denk- und Verhaltensweisen immer wieder durch, die deutlich machen, daß hier Jemand eine wichtige Rolle spielen will, aber letztendlich doch nur ein mieser, schmieriger Gangster und Erpresser ist, der mit kleinen Mädchen handelt.

Und genau darin liegt der Unterschied zu den späteren Gangsterepen, die scheinbar ähnliche Versatzstücke bieten. Inzwischen sind wir noch wesentlich mehr Sarkasmus und Menschenverachtung gewöhnt und man fragt sich ,wieso der Film die Altersbeschränkung von "18" hat, obwohl hier keinerlei deutliche Nacktszenen oder explizite Gewalt gezeigt wird. Nur ist hier alles von solch klarem Realismus - besonders angesichts der Gesichtsausdrücke und Verhaltensweise der benutzten minderjährigen Mädchen - daß "Mona Lisa" keinerlei Faszination an diesem Gewerbe verbreitet, wie das heute in so manchem Film der Fall ist.

Neil Jordans Kunst liegt darin, seinen Film trotz des miesen Ambientes, der illusionslosen Realität und der beinahe ausweglosen Konstellation, die bis zum Schluß spannend bleibt, auch heiter und fast komödiantisch wirken zu lassen. Das liegt besonders an Bob Hoskins Rolle, die zwischen seinem skurilen Freund, dem Wiederkennenlernen seiner Tochter, seinem Job mit Simone und dem Konflikt mit dem Zuhälterkartell kurzweilig hin und her driftet und trotz aller Ernsthaftigkeit gleichzeitig menschlich witzig ist.

Fazit : überragendes Werk des "Neuen englischen Films" der 80er Jahre, dem es gelingt trotz eines ernsthaften realistischen Hintergrundes seine Leichtigkeit zu bewahren. Das hat nichts mit dem Showwert oder der Stilisierung heutiger Filme zu tun, die im ähnlichen Milieu spielen - angesichts solcher Werke wirkt "Mona Lisa" fast dokumentarisch - dafür hat dieser Film eine Tiefe in den menschlichen Charakteren, die den heutigen Filmen meist abgeht (9,5/10).

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