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„Vielleicht stehe ich gerade neben dem letzten Romantiker!“

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet eine Neuverfilmung von William Lustigs Psycho-Slasher „Maniac“ aus dem Jahre 1980, einem quasi perfekten Genre-Film also, positiv aus dem allgemeinen Remake-Wahn herausstechen würde? Oh, sicherlich einige, die sich an Produzent und Mit-Autor Alexandre Ajas nicht minder herausragende Regiearbeiten für Filme wie „High Tension“ oder „The Hills Have Eyes“ (ebenfalls ein Remake) erinnerten, der mit seinen Filmen der 2000er-Terrorwelle entscheidende Impulse gab und moderne Klassiker schuf. Oder diejenigen, denen Regisseur Frank Khalfouns Weihnachts-Slasher „P2 – Schreie im Parkhaus“ noch in wohliger Erinnerung war – ganz zu schweigen von jenen, die eben nicht in die allgemeine Kakophonie nach Bekanntgabe des Hauptdarstellers einstimmten, da sie über ausreichend Abstraktionsvermögen verfügten, die Intention dahinter zu erkennen. Und wer dann noch bemerkte, dass Ajas Co-Autor Grégory Levasseur war, mit dem er bereits „Mirrors“ und „P2 – Schreie im Parkhaus“ geschrieben hatte, und dass Mr. Lustig höchstpersönlich sich ebenfalls an der Produktion beteiligte und dem Projekt seinen Segen gab, für den dürfte sich der Kreis geschlossen haben. 2012 gelangte der Film schließlich in die Kinos.

Der allein und zurückgezogen lebende Frank Zito (Elijah Wood, „Hooligans“) verdingt sich als Restaurator von Schaufensterpupen in Los Angeles, wo er einen kleinen Laden betreibt. Doch zu seinen Puppen hegt er ein ganz besonderes Verhältnis: Derangiert durch eine traumatisierende Kindheit als Sohn einer alleinerziehenden, drogensüchtigen Mutter, die es vor seinen Augen häufig mit wechselnden Sexualpartnern trieb, entwickelte er ein extrem gestörtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht und begibt sich immer wieder auf die Suche nach neuen Opfern, die er brutal tötet, sie skalpiert und seinen Puppen die Haare aufsetzt, wodurch sie für ihn zum Leben erwachen. Als sich ihm die junge, attraktive Fotografin Anna (Nora Arnezeder, „Der Dieb der Worte“) nähert, die fasziniert von seiner Arbeit ist, scheint er erstmals so etwas wie echte Zuneigung zu empfinden...

Da sich das aktuelle New York im Gegensatz zu Lustigs Original nicht mehr als Schauplatz anbot, verlegte man die Handlung nach Los Angeles, in die Tristesse und Anonymität einer überbevölkerten Großstadt, hinter deren schimmernder Fassade menschliche Abgründe, Elend und Not lauern. Ansonsten bewegt man sich prinzipiell nah am Original, behielt sämtliche Eckpfeiler der Handlung bei, ging jedoch einen entscheidenden Schritt weiter: Machte bereits das Original den Zuschauer gewissermaßen zum Komplizen Zitos, indem er ihn als zwar brutales und skrupelloses Ungetüm, aber eben auch als leidenden Menschen zeigte und in den Mittelpunkt rückte, die Geschehnisse aus seiner Sicht zeigte, versuchten Aja, Khalfoun & Co., die Distanz vollends aufzuheben – indem sie sich des beliebten Slasher-Stilelements der subjektiven Point-of-View-Perspektive nicht nur partiell bedienen, sondern es fast den gesamten Film über anwenden: Das Publikum sieht permanent durch Frank Zitos Augen. Das mutet zunächst experimentell an, doch gewöhnt man sich schnell daran. Franks Antlitz bekommt man lediglich in Spiegelungen oder in seinen verbildlichten Phantasien zu sehen, womit man das Komplizenhafte auf die Spitze treibt, der Ausrichtung des Originals damit jedoch treu bleibt.

Die radikalste Änderung gegenüber Lustigs Original ist somit nicht die Wahl der Perspektive, sondern die des Hauptdarstellers, der einen äußerlich ganz anderen Typus Mensch verkörpert: Entsprach Joe Spinell in seiner Rolle als Frank Zito mit seinem ungepflegten, pockennarbigen und grobschlächtigen Äußeren noch den damaligen Klischeevorstellungen eines psychopathischen Serienkillers, ist Elijah Wood vielmehr der unscheinbare Typ, ein eher zierlicher junger Mann mit müdem, scheuem Blick, in dem nicht permanent der Wahnsinn funkelt – womit er auch den Erfahrungen entspricht, nach denen die wirklich brutalen und abartigen Schlächter häufig diejenigen sind, denen man es am wenigsten ansieht und zutraut.

Zu den Eröffnungstiteln beobachtet er eine Frau, um sie schließlich brutal zu ermorden und zu skalpieren – der Film geht gleich in die Vollen. Die nötige Modernisierung des Stoffs, um ihn glaubhaft in der Gegenwart anzusiedeln, verdeutlicht Franks Methode, seine Opfer per Internet-Dating auszuwählen. Der Zuschauer bekommt ihn erstmals zu sehen, als er ein Foto von sich im PC heraussucht. Überraschend und sicherlich etwas unrealistisch schnell, wie eher dem exploitativen Duktus des Genres folgend, gelingt es ihm, eine attraktive Sexualpartnerin zu finden, die er jedoch bereits beim Vorspiel erwürgt. Bevor detailliert und entsprechend unappetitlich gezeigt wird, wie er sie skalpiert, verdeutlicht der Film Franks Schizophrenie, indem er ihn mit sich selbst hadern und streiten lässt. Auch leidet er unter heftigen Migräneanfällen. Eingestreute Rückblenden zeigen seine Mutter beim Drogenziehen und Sex.

Nachdem er Anna kennengelernt hat, entspinnt „Maniac“ nachvollziehbar eine im Aufbau begriffene Beziehung, die jedoch mit Störfaktoren wie dem plötzlichen Auftauchen von Annas Freund einhergeht. Auf Franks angeschlagene Psyche haben solche Momente starke negative Auswirkungen, doch auch ohne wäre die Situation früher oder später eskaliert – aus dem Wann und Wie bezieht „Maniac“ seine Spannung, erst recht, da sich der Zuschauer womöglich dabei ertappt, dem außerhalb seiner Gewalttaten bemitleidenswert wirkenden Frank alles Gute zu wünschen, das Unmögliche herbeizusehen: eine Heilung durch die Liebe zu Anna. Eine Hoffnung, die natürlich zum Scheitern verurteilt ist.

Künstlerisch-experimentell aufgeladen wird „Maniac“ beispielsweise, als sich Frank und Anna „Das Cabinet des Dr. Caligari“ im Kino ansehen und sich Frank plötzlich selbst auf der Leinwand wiederfindet oder er bei einem Mord sozusagen seine menschliche Hülle verlässt. Der irre Synthesizer-Soundtrack Raphael Hamburgers verleiht dem Film eine eigentümliche, entrückte Stimmung, die letztlich zu Zitos Charakter passt. Ja, diese Neuverfilmung gehört zu den inspirierteren, wenngleich sie sich recht nah ans Original hält, was auch diverse Kunstgriffe und die volle Konzentration auf die Point-of-View-Perspektive nicht kaschieren können. In Kombination mit dem eindringlichen, filmisch distanzlosen Terror und der mit Wood geglückten Neubesetzung und -ausrichtung Frank Zitos reicht das jedoch locker für ein beunruhigendes Stück urbanen Terrorkinos, das genügend Raum für in der Großstadtanonymität ruhende Paranoia bietet, auch Platz für Tragik und Melancholie findet und den Zuschauer weit mehr berührt als jeder x-beliebige Slasher-Neuaufguss, wenngleich ich Lustigs Original noch immer für das intensivere Filmerlebnis halte.

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