Review
von Con Trai
Eröffnung der Sechsten Staffel von Inspector Lewis, inspiriert durch die Bücher des britischen Autoren Colin Dexter um Inspector Morse, die hiermit und dem dortigen Assistenten ein durchaus erfolgreiches spin-off auch mit Ausstrahlungen im Deutschen Fernsehen erfahren. Starten tut das neue Jahr der Produktion mit einem lieblichen Sonnenaufgang, der rötlichen Glut im Hintergrund, umgeben vom morgendlichen Nebel, der nur langsam die Aussicht auf eine Flussfahrt in einer Gondel und den Spaziergang durch einen scheinbaren Garten Eden preisgibt. Wird in den ersten Minuten der Schönheit gerade von Umgebung und Natur und dies mit fast märchenhafter Gesinnung gefrönt, so macht sich schnell die Enttäuschung, das Durchbrechen der Bösheit und des Grauens in dem vermeintlichen Wunderland um Oxford breit:
Als die Botanikerin Liv Nash [ Nadine Lewington ] bei ihrer Tätigkeit die Leiche von Professor Hawes entdeckt, stoßen die mit dem Fall beauftragten DI Robert Lewis [ Kevin Whately ] und DS James Hathaway [ Laurence Fox ] schnell auf mehrere Rätsel und Ungereimtheiten. Was hat es mit Hawes Manie für Lewis Carroll "The Hunting of the Snark (An Agony in Eight Fits)" und der Rivalität zu seinem Bruder, Reverend Conor Hawes [ Alex Jennings ] auf sich ? Arbeitet Dr. Alex Falconer [ James Fleet ], der mit seinem wissenschaftlich medizinisch Experimenten auch die Testperson Hawes und dessen Leidenschaft finanziert hat, mit wenigstens im Labor sauberen Mitteln ? Oder steht sein Verhältnis zu Helena Wright [ Matilda Ziegler ], der Leitung des Botanischen Gartens, und die plötzliche Kränklichkeit der betrogenen Ehefrau Thea Falconer [ Annabel Mullion ] auch dazu im Zusammenhang ? Und wieso schnüffelt die Zivilperson Michelle Marber [ Celia Imrie ] so neugierig in den Ermittlungen umher ?
Wie üblich besteht das Panoptikum der Verdächtigen und anderweitig Auffälligen dabei aus den Elitären der Gesellschaft, weniger den künstlerisch Veranlagten, als vielmehr der durch Geld der Eltern, einer teuren und guten Schulbildung und dem Drang nach blasierter Exzentrizität Gesegneten. Die Studierten und Gelehrten, die Privilegierten Träumerles, die sich über dem Normalbürger zu stehen glauben, dies auch offensichtlich kundtun, aber die gleichen Ängste und Sorgen, oder eher gleichen moralischen und ethischen Schwächen aufweisen. Anders als bspw. Inspector Barnaby, der sich tief in der (fiktiven) Grafschaft einer ländlichen Provinz die Ehre beim dörflichen Volk und der dortigen Normalität und Durchschnittlichkeit erweist, wird hier Wert auf öffentlichen Anstand und optischer Sitte und der Regelkunde von Manieren gelegt. Dies gilt für die beteiligten Figuren ebenso wie für den Sergeant, nur der titelgebende Hauptdarsteller fällt weiterhin aus der Rolle und entsprechend auf.
Denn Lewis selber wirkt vielmehr wie der Außenseiter, an den Rande gedrängt, mangels offenem Geist oder der Muße, der Zeit, dem Geld dafür sich nicht in Kunst und Kultur vergraben und auch nicht mit dem Gespür für Aktualität gesegnet. Die weisen Sprüche und die Arbeit im Vorderen kommt vielmehr durch den durch Rang eigentlich Zweiten Mann in der Reihung, dem erst attraktiv, da sportlich-jugendlich wirkenden Hathaway, einem ladies- und action-man gleichermaßen, der hier allerdings gleich mehrmals exaltiert auf die Pauke der Effekthascherei haut und dabei auch mehrere Anläufe von Aufgeblasenheit und anderer Wichtigtuerei nicht scheut. Selbst die Episode wildert im Terrain des Zitatenallerlei, so stammt der Titel von Mozart ("Neither a lofty degree of intelligence nor imagination nor both together go to the making of genius. Love, love, love, that is the soul of genius.”), werden Andeutungen Richtung Pulp Fiction, plottechnisch ein starker Bezug zu Lewis Carroll epic nonsense poem "The Hunting of the Snark (An Agony in Eight Fits)" und zusätzlich der – erst witzige, dann allerdings deprimierende – Querverweis auf Agatha Christies Miss Marple und ihrer Schnüffelei in Polizeiangelegenheiten gemacht.
Angesichts der Unauffälligkeit der höchst soliden Fernsehinszenierung, der in ihren Rollen mittlerweile gewohnten Darsteller und der Beliebigkeit des Schatzes von medialen Informationen wirkt diese Sammlung an Belegstellen und Sinnsprüchen gleichsam ein wenig großsprecherisch, gefangen zwischen dem "fancy-dress intellectualism" und "act of living postmodernism", der einigen Figuren hier angelastet wird; was auch der detektivische Fall gleichsam an sich nicht komplett stemmen und mit seiner Brisanz eventuell wieder aufwiegen kann. So ist das Rätsel um die Originalausgabe und ihrem Zusammenhang und tieferen Sinn – das Streben nach Glück – ebenso wie die Befragung in alle Richtung und rund um den Botanischen Garten herum durchaus mit Gespür für die Aufdeckung des Geheimen und Verborgenen und selber vielerlei kniffligen Rate- und Verwirrspielchen belegt, macht sich allerdings auch in Nebenspuren wie einer zart angedeuteten Flirterei mit Chancen zur Romanze von Hathaway zur Zeugin Liv Nash und dem (bald dramatischen) Hintergrund von Miss Marple alias Marber breit. Restauration und Aufmerksamkeit in Bezug auf die Weitererhaltung der Serie ist zugleich vorhanden wie das Fehlen sprühender Passion und Obsession.