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Ein Film wie The Amazing Spider-Man schreit nach Polemik. Es scheint, als fühle sich jeder zweite Autor zu seiner Pflicht berufen, diese Produktion auf seine Schwächen zu durchleuchten oder einfach nieder zu machen, um möglichst noch in selbstinszenatorischer Weise über den angerichteten Scherbenhaufen zu strahlen und doch im Grunde eine ehrliche Filmkritik außen vor gelassen zu haben. Sicher, ein Rüdiger Suchsland findet in seinem Artikel für Artechock sehr viele zutreffende Worte für die Neuauflage des Spinnenmannes. Aber diese Sichtweisen sind letztlich nur eine Seite der Medaille.
Als ausschlaggebender Faktor für The Amazing Spider-Man gilt zunächst der Kollaps des Vorgängersystems. Sicher hätten die Produzenten gern auch die Erfolgsmaschine um Sam Raimi weitergeführt. Immerhin war es sein Film, der Die Spinne im neuen Jahrtausend willkommen geheißen hat. Ferner geschah dies zu einer Übergangszeit, in der die heute so angesagten Comicblockbuster in ihrem Format überhaupt etabliert wurden.

Klar waren insbesondere die DC-Figuren Superman und Batman auch vorher ein großes Thema in den Kinos. Oftmals aber wurden gerade noch in den 90ern Comicverfilmungen in Wechselwirkung mit den hohen Kosten für echte Effekte oder noch kaum bezahlbaren CGIs eher klein gehalten. Insbesondere Spider-Man war ein Superheld, welcher in seiner Umsetzung arge Probleme mit sich brachte. Immerhin liegt es doch in seiner Natur, mit Spinnfäden um sich zu schießen und sich behende zwischen Hochhausdächern umherzuschwingen. Als Vorbild aller Base-Jumper und Roofer saust Spider-Man im Kampf mit seinen Erzfeinden durch die Häuserschluchten, daß es einem schwindelig wird.
Erinnert man sich nun an die guten alten, aber auch behäbigen Klettertouren von Adam West in seinen Batman-Strumpfhosen, so glaubt man kaum, daß eine adäquate Umsetzung zu frühen Zeiten möglich gewesen wäre. Umso unterhaltsamer waren natürlich die amerikanischen Fernsehfilme der späten 70er oder der Lizenzausflug in die japanische Tokusatsu-Serie Supaidâman, welche von der Toei mit nur wenigen übernommenen Trademarks mit Parallelen zu den erfolreichen Kamen Rider und Super Sentai Formaten ebenfalls Ende der 70er umgesetzt wurde.

Obschon Sam Raimi mit seiner Spider-Man Trilogie größte Erfolge feiern konnte, war dieser Reihe doch kein vierter Teil vergönnt. Streitigkeiten über das Drehbuch und Schwierigkeiten mit dem Cast, der zudem seinen Figuren zusehens entalterte, waren Faktoren, die eine Grundlage für den aktuellen The Amazing Spider-Man geschaffen haben. Jetzt noch einmal neu oder gar nicht waren die Optionen.
Natürlich sind 10 Jahre eine verdammt kurze Zeit für ein Reboot. Andererseits entspricht dies in etwa einem Turnus, mit dem eine Comicserie auf dem Heftmarkt teils radikalen Wandlungen unterworfen wird.
Auch im Falle von Spider-Man gibt es ohnehin nur bedingt die eine Erzählung, sondern es werden immer neue Ansätze um das immer gleiche Grundprinzip gesponnen.
Für einen normal marktwirtschaftlich denkenden Kinobesucher wirkt diese Handhabe möglicherweise verstörend. The Amazing Spider-Man war aber auch vor allem eine Gelegenheit, technisch aufzurücken und eben genau diese spektakulären Hangeleien durch die Kulissen New Yorks in neuester 3D-Technik umzusetzen. Wo, wenn nicht hier ist der Einsatz dieser Effekte legitim? So drehte man The Amazing Spider-Man dann auch gleich räumlich, anstatt wie oft noch üblich die zweidimensionalen Bilder nachträglich umzurechnen.

Mit Marc Webb wurde ein Regisseur ausgewählt, dessen Name nicht nur gut zu einem Film über einen Spinnenhelden passt, sondern der sich mit (500) Days of Summer einen Achtungserfolg erarbeitet hat. Auffällig ist, daß er bisher gar keine weiteren Kinofilme angefaßt hat. The Amazing Spider-Man sollte offenbar kein heruntergekurbelter Schnellschuß eines einschlägig verbrauchten Kopfhinhalters werden. Immerhin hatte Marc Webb sich selbst bei Bekanntwerden der offenen Stelle direkt um den Regieposten bemüht.
Seine Interpretation sorgt im durchaus postmodernen Ansatz nun sicher für gespaltene Lager unter den beinharten Spider-Man-Fans, scheint man doch bemüht, sich in den verwendeten Elementen zu emanzipieren. Dies beginnt natürlich mit der Figur Peter Parker (Andrew Garfield) die als unscheinbare graue Skatermaus mit Analogkamera deutlich abgeklärter wirkt. Zwar wird Peter herumgestoßen, doch könnte man sich ihn auch im Hintergrund einer Szene aus Kids vorstellen, zumindest als einen, der an den Fingern riecht, die noch vom Saft der letzten Jungfrau benetzt sind.

Der Peter Parker in The Amazing Spider-Man hat seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz verloren und wächst nun bei den kongenial besetzten Tante Mae (Sally Field) und Onkel Ben (Martin Sheen) auf. Am Rande der Erzählung wird Peter Parkers technische Begabung hervorgehoben. Er scheint nicht gänzlich isoliert, aber doch einzelgängerisch und schwierig. Bald stößt er dabei zu den Schattenseiten seines Jähzorns und Vorstellung von Gerechtigkeit vor, als er damit Schicksalsschläge provoziert, die schließlich die Figur des Spider-Man formen.
Marc Webb verwendet viel Zeit für diese Coming of Age Geschichte, was schließlich auch ein Grund dafür wird, daß The Amazing Spider-Man mit seinen bummelig 136 Minuten einen kleinen Tick zu lang wirkt. Auch wenn die Einführung einer großen Heldenfigur für eine potentiell neue Filmreihe die nötige Sensibilität erfordert, so hätte man an einigen Ecken etwas raffen können.
Dennoch entsteht gerade in dieser Abteilung eine für die Wirkung des Films essentielle Beziehung zu Parkers Schulkameradin Gwen Stacy (Emma Stone). Es ist dabei nicht der Kitsch auf den Kopf gestellter und damit tausendfach parodierter Spider-Man-Knutscheaction eines Tobey Maguire mit Kirsten Dunst, sondern es ist ein kecker Flirt, welcher immer wieder einzelne Elemente zusammenführt. So arbeitet Gwen Stacy auch bei Oscorp, der Firma, für die auch Dr. Curt Connors (Rhys Ifans), der ehemalige Kollege von Peters Vater (Campbell Scott) an artübergreifender Genetik forscht.

Bei Oscorp wird Peter Parker von einer Spinne gebissen und bei Oscorp könnte schließlich auch das Antiserum gegen den hier zum Einsatz kommenden Superschurken The Lizard liegen. Nicht nur schließt sich dieser Kreis in The Amazing Spider-Man, sondern auch Gwen Stacys Vater wird zu einer wichtigen Figur in Peter Parkers erstem Aufbegehren gegen das Böse dieser Welt, weil er als Polizist eine Vorstellung von Ordnung hat, die sich nicht zwingend mit dem Gerechtigkeitssinn Spider-Mans deckt.
Selbst wenn Emma Stone ihre Stärken weniger ausspielen kann, als in einem eigenen Vehikel wie Einfach zu haben, bleibt es doch bei ihrer gewohnt leicht sarkastischen, trockenen Art. Gerade in Gesprächen mit den Eltern läßt man hier noch einmal Revue passieren, was die beliebte Schauspielerin in ihren Filmen so ausgezeichnet hat. Im Gegensatz dazu ist sie in The Amazing Spider-Man in ihrer Naturhaarfarbe Blond zu bewundern, während man sie bisher stets auf einen rot/braunen Typ abonniert hatte. Daß darüber hinaus die Chemie mit Andrew Garfield einfach stimmt, verwundert angesichts der Liaison zwischen den beiden nicht.

Mit einigen komödiantischen Zügen kann The Amazing Spider-Man begeistern, während Peter Parker sein neues Körpergefühl kennenlernt. Hierbei kommt es zu einigen rasanten Szenen, welche ganz neue athletische Kompetenzen zum Beispiel auf dem engen Raum eines U-Bahn Waggons offenlegen. Auch in der Entscheidung über sein Spinnenkostüms gibt Peter Parker einen Seitenhieb in Richtung seiner Superheldenvorgänger, als er sich mürrisch durch ein Überangebot von Spandex scrollt. Gerade an solchen Details spürt man die Existenz gänzlich anders konzipierter Helden wie Kick-Ass, welche dem klassischen Superhelden mit einer gewissen Ironie begegnen.
Sein schließlich gewählter Look fügt sich mit modern rauher Struktur genauso homogen in das Gesamtbild von The Amazing Spider-Man ein, wie die weiteren Elemente. Erfreulicherweise schaffte man es, eine Einheit mit den Computergrafiken zu knüpfen, die nicht zu einer Pixelanalyse einläd, wie es bisher doch noch so manches Comicabenteuer mit sich brachte.
Über die Überbetonung von einigen Gags kann man hinwegsehen. In Körperhaltung und spielerischem Umgang mit dem Netz bietet The Amazing Spider-Man einen Protagonisten, wie man ihn jeher in seinen Inkarnationen für einen ureigenen Spider-Humor schätzte. Ein sich mit Stille umgebender Stan Lee ergänzt diesen Faktor durch die Pointe seines traditionellen Cameo-Auftritts.

Daß die digitale 3D-Technik seine Tücken nicht verliert und während der zunehmenden Action die Optik verwischt war leider nicht zu umgehen. Es sind mehr die Momente der Gemächlichkeit bei der gesamten Entwicklung und die generische Beliebigkeit der Klangteppiche eines James Horner, die den Zuschauer auf den Boden der Tatsachen zurückholen. The Amazing Spider-Man ist jedoch in vielen Aspekten durchaus interessant. Die Tücke steckt offenbar darin, daß er das Zeug hat, sein Potential mit einer zweiten Sichtung noch zu entfalten. Das macht ihn zunächst angreifbar. Und hierbei muß man dann in Betracht ziehen, daß man selbst am Kinotag mit Überlängen- und 3D-Aufschlägen seine etwa 13 Euro zu löhnen hat.
Es ist ein daraus folgender Anspruch, dem sich The Amazing Spider-Man genauso zu stellen hat, wie den subjektiver geprägten Eindrücken von Fans und Feuilletons. Hoffen wir darauf, daß der Film auf dem Heimvideomarkt weiter wächst und schließlich die bereits bestätigten Fortsetzungen in der Chronologie die Wertigkeit dieses Neustarts noch zu steigern wissen. Denn ein bisschen gehemmt ist so eine Einleitung erzählerisch ja immer. Nur Mut, auch in 2D funktioniert die Heimversion bestens.

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