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"The Amazing Spider-Man" hat es in jeder Hinsicht schwerer als der 2002 erschienene erste Film der späteren Trilogie mit Tobey Maguire in der Titelrolle. Dank der CGI-Technik war es damals erstmals gelungen, die Comicabenteuer der menschlichen Spinne adäquat umzusetzen, was einen erheblichen Qualitätssprung gegenüber allen vorherigen Versuchen bedeutete, während dieser erneute Beginn eines "Spider-Man" - Sequels - trotz seiner 3-D Optik - den heutigen Sehgewohnheiten entspricht. Ein Aha-Effekt beim Anblick des durch Manhattan schwingenden Superhelden war deshalb kaum zu erzielen, aber die Macher um Regisseur Mark Webb erweiterten den Tanz zwischen den Wolkenkratzern noch mit dem subjektiven Blickwinkel Spider-Mans.

Der Schatten des Vorgängers wird nicht nur an solchen Details sichtbar, sondern besonders in der Anlage der Story, der man anmerkt, das sie sich so weit wie möglich von Sam Raimis Vorlage entfernt halten wollte. Man könnte zurecht anmerken, das der Beginn einer klassischen Superhelden-Saga nur wenig Freiheiten in der Gestaltung zuließe, aber damit würde man die Comicvorlage von Stan Lee und Steve Ditko unterschätzen, die das Spiderman-Universum sehr langsam und komplex entwickelten. Schon Sam Raimi war zu Gewichtungen gezwungen, übernahm den Anfang, als der gerade von einer Spinne gebissene Peter Parker sich mit Show-Kämpfen ein paar Dollar verdienen wollte, aus dem Original, konzentrierte sich dann aber auf die Freundschaft zu Harry Osborn und dessen Umfeld, sowie die Liebe zu Marie-Jane Parker, die in der Comicserie erst viel später eine wesentliche Rolle einnimmt.

Beide Figuren kommen in "The Amazing Spider-Man" nicht vor, was bei Kennern nur der Filme für Irritationen sorgen könnte, aber die Beziehung zu Gwendolyne Stacy (Emma Stone) ist näher am Original. Einzig der Spinnenbiss und der Tod seines Onkel Ben (Martin Sheen) durch einen Verbrecher, den Peter Parker (Andrew Garfield) aus Arroganz zuvor nicht überwältigt hatte, wiederholt sich hier, aber in einen neuen erzählerischen Zusammenhang gebracht. Dadurch das sein Coming-Out als Superheld schon unmittelbar mit dem Auftauchen eines neuen Superschurken verbunden wird, bekommt der Film einerseits den Charakter eines Sequels, andererseits eine neue Gewichtung hinsichtlich des Beginns der Saga, womit der Film einer klassischen Marvel-Tradition folgt.

Die ersten Marvel Stories waren sowohl zeichnerisch, als auch inhaltlich noch sehr einfach gehalten - im Grunde ein Testlauf, ob die neu kreierte Comic-Figur überhaupt angenommen wurde - weshalb es in späteren Ausgaben häufig komplexere Überarbeitungen des Beginns gab, ohne die Traditionen in Frage zu stellen. Das gelingt auch in "The Amazing Spider-Man", in dem erstmals die Eltern des noch sehr kleinen Peter auftauchen, die ihren Sohn bei Tante May (Sally Fields) und Onkel Ben mitten in der Nacht abgeben, bevor sie kurz darauf einem geheimnisvollen Unfall zum Opfer fallen. Peter findet viele Jahre später in der alten Aktentasche seines Vaters ein Foto von ihm und Dr.Connors (Rhys Ifans) , wie er erst nach reichlichem Zögern von seinem Onkel erfährt.

Kenner der Comic-Serie wissen, das sich Niemand anderes als "The Lizard" (Die Echse) dahinter verbirgt, einer der gefährlichsten Gegner Spider-Mans, es sich dabei aber gleichzeitig um einen seriösen Wissenschaftler handelt, der mit seinen Forschungen an Reptilien, die Reproduktion von Gliedmassen auch für Menschen ermöglichen will. Für ihn, der einen Arm verloren hat, ein ganz persönliches Anliegen. Durch dessen Kontakt zum Vater Peter Parkers, der ebenfalls im OSCORP-Building geforscht hatte, womit auch eine Verbindung zu Norman Osborn hergestellt wird, entsteht ein komplexes Gerüst, aus dem der Film die Entstehung Spider-Mans, die Auseinandersetzung mit der Echse und die Grundlage für weitere Folgen entwickelt - ganz im Sinn der Comicvorlage, deren Stärke darin lag, schon sehr früh Anspielungen auf kommende Ereignisse zu streuen.

Neben diesem neu interpretierten Beginn, bleibt "The Amazing Spider-Man" auch nah an der Comicvorlage, die der Film anders gewichtet als sein Vorgänger. Wer Superhelden vor allem wegen der Action mag, wird zuerst nicht auf seine Kosten kommen, denn die erste Hälfte des Films ist weniger Spider-Man als Peter Parker gewidmet. Seine Rolle in der High-School, besonders seine Auseinandersetzung mit Flash Thompson (Chris Zylka), werden hier stärker betont, wie Peter Parker insgesamt einen unreiferen, lockereren Eindruck hinterlässt. Andrew Garfield wirkt jungenhafter, bleibt auch als Spider-Man eher schmal, wobei es dem Film gut gelingt dessen Teenager-Leben aus den 60er Jahren in die Gegenwart zu transformieren, wenn er sich etwa die Zeit beim Warten auf den Superschurken mit dem Spielen am Smartphone vertreibt. Trotz aller Dramatik ist der Film weniger pathetisch und witziger während der Kämpfe, als Raimis drei Filme.

An einer Vielzahl weiterer Details kann man die bewusste Unterscheidung zu den drei bisherigen "Spider-Man" Filmen erkennen, etwa dem vollständigen Weglassen seiner Beschäftigung als Fotograf beim cholerischen J.J.Jameson, einer wesentlichen Figur des Spider-Man Universums, die in Raimis Filmen besonders gut gelungen war. Dafür liegt hier das Gewicht auf der Figur von Captain Stacy (Denis Leary), zudem Vater seiner geliebten Gwen, und in der Folge davon in der Auseinandersetzung mit der Polizei.

Letztlich spielen solche Feinheiten nur für Diejenigen eine Rolle, die die Marvel-Comics kennen, aber es zeigt sich darin die Bemühung, einen Film zu entwickeln, der sowohl ohne, als auch mit Kenntnis der Vorgänger-Trilogie funktioniert. In dieser hatte die Entwicklung des Spider-Man Charakters und dessen Beziehung zu Mary-Jane schon den Zenit ein wenig überschritten, war man schon im Erwachsenenalter angekommen, weshalb die neue Interpretation des Superhelden die Thematik entschlacken konnte und die Betonung seiner Jugendlichkeit - die letzte Szene spielt während des Unterrichts in der Highschool - noch viele Optionen offen lässt. Deshalb war auch eine Neubesetzung des Protagonisten zwingend nötig.

"The Amazing Spider-Man" ist ein gelungener Neuanfang, der den Vergleich zu den Vorgängerfilmen nicht scheuen muss, und ein individueller Streifzug durch das Spider-Man Universum, das über seine gesamte Laufzeit zu fesseln vermag - vorausgesetzt man kann sich für den Wandkletterer erwärmen (8,5/10).

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