Review

„Spider“ ist, das muß man gleich angeben, von David Cronenberg.
Es ist kein typischer Cronenberg, vielleicht sein intimster Film überhaupt.
Es gibt keinen Gore, keine wirklich aufsehenerregenden Szenen. Aber das Grauen ist im Film enthalten.
Und es ist kein Unterhaltungsfilm. Nie. In keiner Szene.

Was den Zuschauer erwartet, ist ein intensives und verstörendes Portrait eines bis in die Grundfeste gestörten Mannes. Man hat ihn nach ca. 30 Jahren aus der Anstalt entlassen und in ein Heim für betreutes Wohnen gesteckt. Tatsächlich ist das eine Bruchbude in einem industriellen Vorort von Sonstwo, ein identitätsloses Haus in einer Reihe anderer, mit Zimmern so nüchtern, leer, leblos und heruntergekommen, wie es keine Anstaltszelle sein könnte. Gegenüber ein monströses Gaswerk. David Lynch würde es lieben.
Und es ist genau der Stadtteil, in dem Clegg, gespielt von Ralph Fiennes, aufgewachsen ist.

Die neue Wohnstatt wird zur Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit, seiner Kindheit. Langsam und in vielen Rückblenden sehen wir, wie Clegg zu dem geworden ist, was er jetzt ist, ein scheinbar wirr vor sich hinmurmelnder Mann, kettenrauchend und furchtsam blickend, Schnur sammelnd und vier Hemden übereinander tragend.

Das Problem für den Zuschauer besteht darin, daß man über den vollen Film keinen Bezug, kein wirklichen Einblick, kein Verständnis für die Hauptfigur bekommen. Der Zuschauer muß ihn von außen betrachten, seine Sichtweise teilen. Man muß dafür auf Kommunikation mit anderen Personen verzichten, denn man spricht ihn zwar an, er antwortet aber fast nie.
Wer immer „Spider“, wie Clegg genannt wird, sieht, wird auf sich selbst und auf ihn zurückgeworfen, alles was wir sehen, sieht Spider genauso.

Und das ergibt einen unheimlichen und wunderbaren Effekt, denn plötzlich ist die Filmwirklichkeit etwas Formbares geworden. Das was Spider sieht, sind manchmal Überschneidungen von Zeiten, von Personen, von Orten. Hier änderen Figuren plötzlich ihr Gesicht oder ihren Charakter, überlappen sich, verunsichern ihn und uns. Dabei glaubt der Zuschauer erst, dem Geheimnis der Jugend sicher auf der Spur zu sein, das Trauma aufgedeckt zu bekommen, um den Schrecken dieses schizophrenen Geistes erst nach und nach auf die Spur zu kommen.

Fiennes bietet eine Glanzleistung für dieses verschreckten Häuflein Mensch, auch wenn der emotionale Zugang fehlt. Dagegen präsentiert sich Miranda Richardson gleich in drei Rollen, die so unterschiedlich sind, daß man die Frau trotzdem nicht wiedererkennt. Eine heroische Leistung.

„Spider“ wird sicher Schwierigkeiten haben, ein Publikum für lange an sich zu binden, doch der Schrecken, das Grauen des Wahnsinns und die Erkenntnis über die (scheinbaren) wahren Ereignisse, der wirkt nach. Wer immer den Film sieht und die Geduld aufbringt, über den langsamen und wirren Erzählton hinwegzusehen, wird mit einer Erfahrung belohnt, die man vielleicht nicht wiederholen will, die aber ohne Zweifel nachwirkt.

Erfahrung ohne definitive Erkenntnis, inside a madmans mind. David Lynch would love it! (8/10)

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