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Wer wir sind und woher wir kommen, sind Fragen, die Ridley Scott seit jeher beschäftigen. Egal, welches Genre er je bediente, die explorative Natur des Menschen stand stets im Vordergrund. Scotts zentrale Figuren waren immer Antreiber, Neugierige, Avantgardisten, die ein System, eine Systematik oder Dogmatismen in Frage stellten und schließlich kraft der reinen Entdeckung aufbrachen, bevor beinahe schon naturalistisch die offen gelegten Kräfte walteten, die sich nicht selten der Kontrolle der Hauptfigur zu entziehen drohten, dann aber doch von ihr bewältigt wurden.

Wer wir sind und woher wir kommen, das sind auch Fragen, die bei einem Prequel stets richtig gestellt sind. Mit „Prometheus“ kehrt Ridley Scott an die Anfänge seiner Karriere zurück; aus einem ursprünglich den „Alien“-Kosmos erweiternden Ur-Kapitel der Franchise ist ein existenzialistischer Diskurs entstanden, der auch aus sich selbst heraus funktionieren soll, wenngleich er die Fäden zum 1979er „Alien“ offensichtlich nicht nur inhaltlich und formell, sondern auch dramaturgisch zieht.

Also lässt er den Schriftzug „Prometheus“ in den Credits sich Strich für Strich zusammensetzen, wie es vor 33 Jahren mit „A L I E N“ bereits geschah, um die verstörende Mutation vom Fremdartigen zum Bekannten zu vollziehen. Er lässt unter Führung des Produktionsdesigners Arthur Max auch wieder H. R. Giger zurückkehren, damit die Alien-Relikte das von Darwin’scher Überlebensgröße angehauchte Design nicht verlieren. Außerdem imitiert er vollständig die suspensereiche Eröffnung von „Alien“, um einen Parallelismus zu behaupten: Geschichte wiederholt sich, und der Facehugger, den wir vor Jahrzehnten zum ersten Mal aus seinem Ei springen sahen, war keineswegs der Anfang aller Dinge.

Während Scott den Anknüpfpunkt in seinem eigenen Schaffen sucht, fällt er fast unbemerkt alten Abenteuerfilmklischees anheim und verliert ausgerechnet die Perspektive des Unentdeckten und Unberechenbaren aus den Augen: Wenn die Erkundung einer schottischen Höhle und eine darauf folgende Archäologiestunde gezeigt wird, wähnt man sich bei den letzten Erben des klassischen Abenteuerfilms, „Indiana Jones“ und vor allem „Jurassic Park“. Mit letzterem teilt sich „Prometheus“ sogar die Grundprämisse des Weckens schlafender Hunde. Dass sich Scott der Formelhaftigkeit seiner Einleitung bewusst ist, deutet er wenigstens an, indem er seinen Vertrauten Marc Streitenfeld einen Score komponieren ließ, der – ungewohnt für das „Alien“-Universum“ – überdeutlich an klassische Entdeckerfilme und deren Euphorie des Aufbruchs erinnern soll, dann aber mit einem tief wummernden Bass grundiert wird, der Unheil verkündet.

Der Instant-Charakter des ersten „Alien“, seine unabhängige, freie Art und Weise, Kreativität in einem dramaturgisch simplen, aber perfekten Aufbau aufzulösen, kann „Prometheus“ natürlich schon der Erwartungen wegen, die in ihn gesteckt werden, nicht einlösen und muss dies auch gar nicht. Die Wege teilen sich spätestens ab dem Moment, in dem das Alien damals auf der Nostromo geschlüpft war. Zu diesem Zeitpunkt hat „Prometheus“ pflichtbewusst die philosophischen Grundlagen hinter der Expedition abgehakt und möchte den Zuschauer zu eigenen Überlegungen hinsichtlich menschlicher Existenz getrieben haben, untermauert von symbolischen Items wie einer Jesuskreuzkette oder einem Götzen in Form eines menschlichen Schädels, womit dem mythologisch-scientologischen Ansatz noch eine religiöse Lesart beigemischt wird. Erst danach befreit er sich vom „1492“-Motiv und fährt endlich stückweise seine eigenen Ideen auf. Er beginnt, sich als eigenständiges Werk zu begreifen.

Dabei wird nicht eine einzelne große Entdeckung gemacht, die zum Klimax aufgebaut in der Filmmitte alles ins Unheil stürzt, so wie es das Opening Theme suggeriert; stattdessen werden über die gesamte Laufzeit hinweg schubweise und antiklimatisch einzelne Skurrilitäten und Spannungshöhepunkte aufgefahren, in ihrer willkürlichen und zufälligen Abfolge fast schon ein evolutionstheoretisches Abbild, bebildert im Zeitraffer. Der biologische Zyklus von Alien Queen, Ei, Facehugger, Chestburster und Alien, der in „Alien 2“ noch mit der präzisen Ordnung einer Ameisenkolonie verglichen wurde, scheint also aus dem schöpferischen Chaos des „Trial and Error“ entstanden zu sein. Das Creature Design ist darauf ausgelegt, Ähnlichkeiten zu den vertrauten Elementen der Franchise heraufzubeschwören, doch systematisch funktioniert dabei nichts: Hier verseucht mal Alien-DNA das Wasser, da schwimmen rudimentäre Facehugger-Vorfahren durch eine schwarze Substanz, und irgendwo wird etwas Krakenartiges geboren, das schließlich doch noch das erwartete Unheil anrichtet. Von einem Ordnungsprinzip kann hier nicht die Rede sein, Scott bereitet derlei Evolutionsschübe gleichberechtigt und in kleinen Portionen nebeneinander auf, mit gewissen biologischen Übereinstimmungen zwar, aber doch verästelt wie verschiedene Lösungswege ein und desselben Wurzelstamms. Eingefangen wird die Streuung von Stadien biologischer Entwicklung edel und in eleganten Perspektiven, aber ohne den bombastischen Prestigio-Effekt eines James Cameron – auch wieder ein Verdienst des Komponisten, der sich an den richtigen Stellen zurückhält.

Anstatt jedoch das Chaos der Entstehung für die existenzialistische Grundidee arbeiten zu lassen und einen nihilistischen, sich im Dunkel windenden Bastard zu gebären, verlässt sich der Regisseur viel zu sehr auf die Strahlkraft seiner Bilder. Betont gerne spielt er mit Strukturen und Substanzen, erkundet die CGI-Technik, um fremdartige Organismen lebensecht darzustellen. Fleisch und Schleim, aber auch die Botschaftentechnologie der Aliens wird mit einem unerschöpflichen Vorrat an Pixeln zum Leben erweckt und zeigt Materie auf, wie man sie in dieser speziellen Form noch nicht zu sehen bekam. Denn wenngleich die Elemente in sehr ähnlicher Form bereits für andere Science-Fiction-Universen verwendet wurden (Das „schwarze Öl“ mit einer ähnlichen Funktion in „Akte X“ beispielsweise): Ihre mikroskopische Zusammensetzung, beginnend im Prolog mit einem animierten Alien-DNA-Strang, der sich in Nahaufnahme im Wasser auflöst, wurde noch kaum in einem Film so nahbar gemacht.
Aber der Fokus auf die detaillierte Ausarbeitung einzelner „Begegnungen der Dritten Art“ nimmt den Blick auf das große Ganze. Wenn eine Alien-Geburt in schockierender grafischer Explizitheit aufgezeigt wird oder das hufeisenförmige Raumschiff durch seine schiere Größe drohende Schatten wirft, so sind das bloß autonome Spannungsmomente, durch deren gestaffelte Aneinanderreihung der Film als Ganzes streckenweise nicht nur monoton wirkt, sondern sogar oberflächlich, liegt der Fokus doch viel zu sehr auf den etappenartigen Happenings und viel zu wenig auf den Subtexten und Bindeelementen, die seltsam leer bleiben.

Ebenso leer und holzschnittartig sind entsprechend auch die Figuren angelegt. Bezeichnenderweise erfährt Android David die stärkste Charakterisierung im gesamten Cast. Spürbar lehnt Michael Fassbender ihn nicht an die „Alien“-Androiden an, sondern eher an die mechanischeren, kälteren Mensch-Roboter aus „Blade Runner“ - was Sinn macht, bedenkt man, dass sich die Forschung der Weyland Corporation und damit auch die Androiden mit der Zeit noch zu der Menschlichkeit entwickeln mussten, die von Lance Henriksens Interpretation in „Alien 2“ ausging. Von David gehen auch sämtliche relevanten Handlungen aus, die mal mitfühlend wirken können, dann wieder irrational oder hinterlistig – ein fast menschlicher Facettenreichtum an Emotionen, die dem Rest der Crew ironischerweise komplett verborgen bleibt. Dieser besteht weitgehend aus Opferfleisch ohne nennenswerte Charakterisierung; Idris Elba, Benedict Wong, Rafe Spall und einige andere wirken wie Computerspielcharaktere (faktisch wie solche aus dem SciFi-RPG-Action-Adventure „Mass Effect“), die lediglich das Deck füllen sollen, und selbst Charlize Theron reicht mit einer größer angelegten Rolle kaum darüber hinaus. Noomi Rapace würde man der Screentime wegen als Hauptfigur bezeichnen (wenn man dies bei einem Androiden wie David nicht kann), ihr Handeln zeigt das aber kaum auf. Wer sich von schauspielerischer Seite Impulse erwartet, sieht sich getäuscht; angesichts der Vorkommnisse wird die menschliche Gattung von starren Streichholzmännchen repräsentiert, die in Ehrfurcht erstarrt sind, von einer Situation überrumpelt werden oder sich im besten Fall mal rein instinktiv gegen das eigene Ende wehren.

Die erschlagende Passivität sämtlicher Figuren macht es letztlich schwer, der düsteren Symbolik des durchaus gelungenen Produktionsdesigns tiefere Diskurse abzuringen. „Prometheus“ bringt die visuellen Anlagen mit, eine Geschichte zu erzählen, die den Menschen in seinen Grundfesten erschüttert – nur aus diesem Grund funktionierte überhaupt der Trailer. Jedoch begnügt er sich mit seinen (viel versprechenden) Ansätzen und wirkt dadurch wie nicht zu Ende gedacht. Indem Ridley Scott teilnahmslose Astronauten von einem Schauplatz zum nächsten jagt und sie diversen Mutationsprozeduren beiwohnen lässt, die für sich genommen ohne Bedeutung bleiben, verpasst er die Gelegenheit, eine existenzielle Tiefe zu erreichen, die zweifellos angestrebt wurde. Im Nachhinein ist es dem Zuschauer zwar möglich, sich diese Tiefe selbst zu erschließen, jedoch nur, wenn er sich aus eigenem Antrieb dazu aufrafft. Automatisch dorthin getragen wird er von „Prometheus“, zweidimensionales Hochglanzprodukt, das er (trotz jedes 3D-Hokuspokus) letztendlich ist, nicht.

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