Großzügige Inhaltsangaben sowie technische Details sind wie immer bei Hanekes Filmen absolute Nebensache. Er führt das Medium Film in radikaler Weise auf das Wesentliche zurück – eine Geschichte zwischen Menschen. Und so ist die Story des alten und noch in tiefer Liebe verbundenen Paares Anne (Emanuelle Riva) und Georges (Jean-Louis Tritignant) und der Schlaganfall der sie in einen Pflegefall verwandelt der Mittelpunkt von LIEBE. Wie realistisch und bewegend zugleich dies Haneke darstellt, ohne jedoch auf die Betroffenheits- und Tränendrüse zu drücken ist die Stärke des Films. Wer auch nur annähernd eine Pflegefall-Situation im privaten Umfeld miterlebt hat weiß, wie gut es Haneke gelungen ist diese abzubilden.
Und auch die Liebe zwischen Anne und George ist spürbar, vom ersten bis zum letzten Moment. Sie gehen in einzigartiger Weise in ihrer Rolle auf und sind wahrhaftige "Ziemlich beste Freunde". Und sie versprechen sich Liebe bis zuletzt. Sehr leise und behutsam wird die in Pflegesituationen früher oder später auftretende Überforderung der Familienangehörigen, in diesem Falle Georges, dargestellt. Aufgrund dieser Belastung ist man irgendwann auch ungerecht zum dem Pflegebedürftigen, was aber leider nur menschlich ist, da wir alle keine Übermenschen sind. Haneke seziert die diversen Gefühlsebenen zwischen den Liebenden Anne und Georges auf eindringliche, aber natürlich auch unbequeme Weise. Dennoch tut er es stets auf dem gesicherten Boden größter Menschlichkeit in ergreifender, reifer und sehr ruhiger Form.
In dieser Ruhe liegt - wie meist bei Haneke - die Kraft von LIEBE. Und er schafft es den Zuschauer nicht mit formalen Nebenkriegsschauplätzen wie einer Kritik am Gesundheitssystem oder den Behörden abzulenken und konzentriert sich – wie eingangs erwähnt – auf die zwischenmenschlichen Ebenen. Auf die finale Entwicklung der Handlung und das Ende des Films und seine vielfältigen Interpretationsmöglichkeit möchte ich hier nicht eingehen, und es insbesondere für Interessierte und deren garantiert einsetzende anschließende Diskussion offen halten. Die Aufrichtigkeit und Konsequenz mit der Haneke auch hier ans Werk ging ist einzigartig.
Zuguterletzt wird der Zuschauer durch eine mehrmals in die Wohnung der beiden fliegende Taube noch in die Wüste der Spekulationen rund um diese potentielle Metapher geschickt. Meine Interpretation in Anlehnung an Hankes eigene Statements dazu ist folgende: Eine Taube ist eine Taube ist eine Taube......In vergleichbarer Form habe ich das Filmthema zuletzt nur bei dem ebenfalls sehr gelungenen Film HALT AUF FREIER STRECKE erlebt. Wie dieser ist LIEBE ein nicht steigerbares Plädoyer für das Pflegen und Sterben im eigenen Familienumfeld trotz der damit verbundenen großen Belastungen für die Familienangehörigen.
Wie immer bei Haneke gibt es keine überflüssigen Schnörkel und eine recht statische Kamera die oft scheinbar quälend lange über den Szenen weilt. Die Handlung spielt sich in Echtzeit ab und oft verschwinden Personen aus dem Bild und tauchen dann wieder auf. Keine Kamera folgt Ihnen, sie hält sich zurück. Der filmverwöhnte Zuschauer muss Geduld und Muße mitbringen im Zeitalter der zahl- und seelenlosen Videoclips und 3D Blockbuster. Dazu kommen harte Schnitte und der Verzicht auf jegliche emotionsunterstützende Filmmusik. Wer Hankes Filme kennt weiß um diese schon als minimalistisches Stilmittel zu bezeichnende Eigenheit. Dies ist eine ganz bewusste Entscheidung und wer mehr darüber erfahren möchte, dem kann ich das Haneke SPIEGEL-Interview dieser Woche empfehlen.
Ich möchte es noch einmal klar sagen: Es ist unnötig eine Empfehlung für LIEBE auszusprechen. An diesem Film darf man nicht vorbeikommen.
8,5/10 Punkten