Review

Was für ein Film!

Bereits in den Rezensionen zu „Don't Torture a Duckling" und „Die sieben schwarzen Noten" habe ich mein Erstaunen kundgetan, dass der berüchtigte Lucio Fulci auch seriöse und gute Filme machen konnte, die konzentriert und virtuos eine Geschichte erzählen. „Una sull'alltra", in Deutschland mal wieder zu „Nackt über Leichen" verunstaltet, liegt mir in der US-Version von Mondo Macabro vor, die mit „Perversion Story" betitelt wird, im Vorspann jedoch als „One On Top Of The Other" benannt wird. Na dann... 


Mit 108 Minuten beinhaltet die Blu Ray eine integralen Cut, der zwei Schnittversionen kombiniert. Und ich habe beinahe jede Minute davon wirklich genossen und muss sagen, dass Fulci als Autor und Regisseur hier wirklich den Vogel abschießt. Man, hat der Mann mal gute Filme gemacht! Dieser Ausruf führt dann mit Blick auf sein Schaffen ab den späten Siebzigerjahren unweigerlich zu der Frage: Was ist mit ihm geschehen? Bleiben wir aber beim Film.  


Inhalt 

Dr. George Dumurrier (Jean Sorel) führt nicht ganz sauber mit seinem Bruder Henry (Alberto de Mendoza) eine Klinik in San Francisco, die in finanzielle Schieflage geraten ist, was George mit rotzfrechen Behauptungen über medizinische Durchbrüche und dadurch erhoffte Investitionen von Geldgebern zu kaschieren versucht. Seine an Asthma erkrankte Frau Susan (Marisa Mell) wird von George vernachlässigt und er vertreibt sich seine Zeit lieber mit Jane (Elsa Martinelli), als ihn ein Anruf ereilt, seine Frau sei gestorben. Einige Tage später durch anonyme Anrufe in einen Stripclub gelenkt, trifft George dort auf die Tänzerin Monica (Marisa Mell), die seiner Frau bis auf Haar- und Augenfarbe zum Verwechseln ähnlich sieht. Als herauskommt, dass seine Frau eine Lebensversicherung über zwei Millionen Dollar abgeschlossen hatte und bei einer Exhumierung Gift als Todesursache festgestellt wird, gerät George unter Mordverdacht. Da winkt dann auch schon die Gaskammer in St. Quentin... 


Psycho-Sex-Mystery-Krimi 

Was man Fulci zugutehalten muss, ist, dass er hier das Verwirrspiel eines mysteriösen Rätsels sehr sorgfältig und detailliert auserzählt. Dem mysteriösen Anstrich des Films wird eine sehr detaillierte Polizeiarbeit gegenübergestellt, wenn Schriftproben untersucht werden oder mit allergrößter Akribie die Wohnung Monicas auf den Kopf gestellt wird, um irgendwelche Hinweise auf die Täterschaft zu finden. Die Balance zwischen sexuell aufgeladenem Mystery-Thriller und Kriminalfilm beherrscht Fulci hier gekonnt und es kommt nur wenig Leerlauf vor. Die Schauwerte bestehen dabei nicht in ausschweifend dargestellter Gewalt, der Film ist hier extrem zurückhaltend, sondern in spektakulären Bildern und einer hohen Dosis an Erotik. Die sexuelle Komponente wird hier nicht nur der Andeutung überlassen, sondern wird in der ersten Hälfte in aller Ausführlichkeit ausgespielt, wobei man sich sowohl in einer Überästhetisierung als auch in einer glaubhaften Intimität ergeht. Das Kunststück ist, dass man die bildliche Freizügigkeit vom reinen Selbstzweck freisprechen kann, dient sie doch der Etablierung der Figur Monica, die so zum maximalen Kontrast zur Figur Susan wird.  


Hauptdarsteller 

Marisa Mell geht dabei in ihrer Darstellung der Monica so offensiv mit ihrer Sexualität um, dass sie einen krassen Gegensatz zu den oftmals sehr passiven und schwachen Lustobjekten bietet, die der filone sonst so als weibliche Rollen bereithält. Wie sie in dem Stripclub die Treppe herunterschreitet oder nach dem Akt spärlich bekleidet zwischen ihren gespreizten Beinen eine Patience legt, bringt eine selbstbestimmte Sexualität zum Ausdruck und mit ihrer schnippischen Art erweist sich die Figur Monica als Epizentrum des Films. Dieses Bild der manchmal schon burschikosen femme fatale bricht erst dann, wenn Monica von der Polizei mit den Vorwürfen des Versicherungsbetrugs konfrontiert wird und ab da bekommt der Film auch einen anderen Drive. Mit der Doppelrolle hat sich Marisa Mell hier meines Erachtens ein Denkmal gesetzt. 
Die Figur George erweist sich mehr und mehr als ausgeliefert und wird über den Film tatsächlich immer passiver. Am Schluss bekommt er nicht einmal mehr Screentime, was ich ziemlich geschickt fand. Trotzdem leidet man mit, was einfach daran liegt, dass Jean Sorel als recht fähiger Darsteller die Hilflosigkeit überzeugend spielt. Wenn man Alain Delon und Robert Wagner in den Sechzigern beide in eine Cocktailshaker gesteckt und gut geschüttelt hätte, dann wäre Jean Sorel dabei herausgekommen. Und das ist hier gar nicht abwertend gemeint, wenngleich Delons Ausdruck noch eine Liga weiter oben spielt. Auch die weiteren DarstellerInnen liefern eine mehr als solide Vorstellung ab und es ist tatsächlich kein Ausfall auszumachen. Selten im italienischen Genrekino.  


Europes finest: Bild und Ton  

Die Musik von Riz Ortolani ist top! Sehr pompöse und jazzige Kompositionen lassen den Film größer klingen, als er womöglich ist. Die psychologische und mysteriöse Atmosphäre wird zusätzlich mit Kontrabass untermalt, so dass man in weiten Teilen in der Erwartung verharrt, es würde gleich ein kleinwüchsiger Mann rückwärts sprechend um die Ecke kommen. Hier und da werden kleine dramatische Spitzen gesetzt, aber der Soundtrack entwickelt über die Laufzeit mehr und mehr eine ausgeprägte Lässigkeit, die mich als Zuschauer gebannt über die Ziellinie getragen hat. 

Der im italienischen Genrekino fest verwurzelte Spanier Alejandro Ulloa bebilderte später noch den von mir sehr geschätzten „Frauen bis zum Wahnsinn gequält" (1970) oder den Poliziesco-Kracher „Tote Zeugen singen nicht" (1973). Was er hier abliefert ist aber bereits allererste Sahne mit einigen Extrabonbons, wenngleich merklich Handarbeit geliefert wird. Fulci nutzt jede Gelegenheit, San Francisco ausschweifend ins Bild zu rücken. Amerikanischer sah ein Fulci nie aus. Dadurch fällt dann auch die ansonsten italienische Optik umso mehr auf, wenn viel mit Zooms und ab und zu doch recht wackligen Kameraeinstellungen gearbeitet wird, die bereits 1969 im US-Kino nur noch in günstigeren Filmen verwendet wurden. Besonders die ausschweifenden Helikopter-Shots führen teils zu Seekrankheit. Womöglich angestachelt von der amerikanischen Umgebung gibt sich das Kamerateam aber scheinbar mehr Mühe, zerlegt auch kurze Außenszenen gerne einmal in mehrere Einstellungen, spielt mit Untersichten oder Kamerafahrten. 

Im römischen Studio aber legt Ulloa dann richtig los. Die im Splitschreen fotografierte Szene der labortechnischen Untersuchung der Todesursache Susans ist beispielsweise eine nette Spielerei, die aber Spaß macht. Aber es gibt obendrauf eine der am besten fotografierten Szenen des europäischen Kinos zu sehen: Monica schenkt sich in einer Totale in einem knappen Zweiteiler mit Blumenmuster mit dem Rücken zu Kamera einen J&B ein und im Bildvordergrund sieht man seitlich in Nahaufnahme des Kopfes der Figur des gehörnten Liebhabers Benjamin, beide Figuren sind scharf, der Raum ist unscharf. Was für eine Bildkomposition! Im Späteren Verlauf des Films gibt es weitere Spielereien dieser Art, aber diese eine Szene allein war für mich schon den Import der Blu-Ray wert. Ich verstehe nicht viel von Kameratechnik, aber hier hat sie mich begeistert.   



Fazit

 Mit „Una sull'alltra" hat Fulci wirklich einen meisterhaften Film geschaffen, der zwar als ein früher Giallo gesehen wird, aber seine Schauwerte nie so billig und sensationsheischend verkauft, wie es eben so oft im filone vorkommt. Der Sex hat hier seine Berechtigung und wirkt mal stilsicher, ironisch oder sinnhaft, Gewalt findet kaum statt und die Handlung wird tatsächlich schlüssig und mit einigen gelungenen Kniffen dargeboten. Zwar gibt es auch den einen oder anderen Hänger bei 108 Minuten Laufzeit, aber dann hauen Fulci und Team einem wieder Eyecandy oder Plottwists um die Ohren, dass es nur so eine Freude ist. Dabei wirkt es sehr erfrischend, dass von dem Zynismus des Regisseurs hier noch nichts zu merken ist, der seine späteren Filme wie „Ein Zombie hing am Glockenseil" oder ganz besonders „Der New York Ripper" prägen und verhunzen sollte.     

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