A.C.A.B.: ALL COPS ARE BASTARDS (Italien, Frankreich 2012, Regie: Stefano Sollima)
Im Herzen Roms wird einer eingeschworenen Gruppe von Bereitschaftspolizisten ein Neuling eingegliedert, der sich über seine Ideale und Handlungsmotivationen noch nicht ganz im Klaren ist, während der Rest der Truppe Ideale längst über Bord geworfen hat.
Integrationsrituale und Straßeneinsätze desillusionieren den jungen Adriano (Domenico Diele) zusehends, obwohl es ihm anfangs nicht bewusst wird. Erst nach und nach offenbart sich ihm der psychische Verfall hinter den martialischen Rüstungen seiner „Brüder“, die auf den Straßen zwar den Ton angeben, im Privatleben aber zusehends die Kontrolle verlieren. So muss sich Cobra (Pierfrancesco Favino) zum wiederholten Mal wegen unangemessener Gewaltausbrüche vor Gericht verantworten, Negro (Filippo Nigro) wird von seiner kubanischen Ehefrau vor die Tür gesetzt und verliert Heim und Tochter und der älteste der Gruppe, Mazinga (Marco Giallini), verliert die Kontrolle über seinen geliebten Sohn, der in extreme, rechtsradikale Gefilde abdriftet.
Als die Situation auf den Straßen zunehmend unberechenbarer wird, die Position des zu verteidigenden Staates nicht mehr erkennbar ist, die Zahl der Asylbewerber – subjektiv wahrgenommen – ins unermessliche steigt und Fußballfans längst nicht mehr wegen des Fußballs zum Stadion gehen, greifen die Polizisten zum Letzten, was sie noch verstehen: GEWALT…
Gibt man sich nicht mit simpler Schwarz-Weiß-Malerei zufrieden, kann A.C.A.B. sehr lange nachwirken. Denn „die Bösen“ sind hier nicht eindeutig festzumachen, lediglich die Mechanismen, die irgendwie dazu führen, dass man als einer wahrgenommen wird, die perspektivisch strukturierten Handlungen, die diese Wahrnehmung manifestieren, und der Kreislauf, der eine Rückkehr zum Ursprung unmöglich macht. A.C.A.B. zeigt eine völlig desillusionierte, kaputte aber auch glaubhafte Welt, in der irgendwie alles aus dem Ruder gelaufen ist und nichts mehr Halt gibt – selbst die Gruppe erweist sich nur noch als Hort Gleichgesinnter, die unter dem gleichen Identitätsverlust leiden, was nicht zur Lösung des Problems sondern zur Potenzierung führt.
Menschen mit einem solchen Job, wie er im Zentrum des Films steht, müssten betreut werden. Es bedarf einer Vor- und Nachbereitung, psychologischer Obhut und sozialen Halt, um an einem Aufgabengebiet, wie dem Bereitschaftsdienst auf der Straße, nicht zu zerbrechen. Da Betreuung und Fürsorge aber ausbleiben und der Mangel an Rückhalt durch den obersten Dienstherrn, den Staat, zunehmend intensiver spürbar wird, schaffen sich die desillusionierten Polizisten einen Ersatzhalt, gesteigert bis zur Ersatzreligion. Zu dieser fehlt ihnen aber auch der Zugang, sie klammern sich verzweifelt an einen Rückhalt, an einen Sinn, den es nicht gibt. Der Film findet hierzu fantastische Bilder und lässt seine Protagonisten, respektive Antagonisten, vor einem heroischen Wandgemälde stehen, das sie alle bejubeln ohne es zu verstehen (primär natürlich, da es da nichts zu verstehen gibt – es handelt sich schlicht um eine rein illustrative Selbstüberhöhung aus einer längst vergangenen Zeit, als „der Job“ noch Identität und Funktion suggerierte). Es ist einfach nur da und verweist auf einen Sinn und einen Ursprung, den jeder längst aus den Augen verloren hat. So klammern sich die Cops an eine Vorstellung von Bruderschaft und Leidensgenossen, die nicht aufrechterhalten werden kann. In einer zunehmend anonymisierten Welt bricht die subjektive Wahrnehmung von Bedrohung, sei es durch den Staat, durch Migranten, durch Ehefrauen, durch Fußballfans und Rechtsradikalismus u.ä., über ihnen zusammen. Ihr eingeschränktes Sichtfeld aus Helm mit Visier heraus durch einen Schild, der kaum Schutz bietet, ist bei der Suche nach Lösungen nicht behilflich. Eingegliedert in eine Einheit, die nur als endindividualisierte Gruppe funktionieren kann – das liegt in der Natur der Sache –, und eine Befehlskette, wird das Sichtfeld der Polizisten derart eingeschränkt, dass es nur noch die hassenden „Die“ und die bedrohten „Wir“ geben kann. In dieser Welt sind sie aber allein – trotz Gruppe, trotz Brüdern – und alleingelassen. Das zu simpel strukturierte Weltbild erweist sich schnell als ebenso unsinnig wie funktional und funktioniert auf der grundlegenden Beobachtung des allmorgendlichen Aufstehens: zerschlägst du den Wecker, lässt er dich in Ruhe…
Gewalt führt zu Gegengewalt – und irgendwann sind die Feindbilder derart manifestiert, dass die Frage nach dem Ursprung keinen mehr interessiert. Überhaupt wird nicht mehr viel nachgedacht – was mir der Kern des Films zu sein scheint. Man akzeptiert die Welt wie sie ist, man akzeptiert seine Rolle darin, man unterlässt das Hinterfragen oder man war dazu nie in der Lage. Während die Polizisten sich einerseits ständig als Opfer fühlen (müssen?), da ihnen überall der Hass entgegenschlägt und die Gewaltbereitschaft unkontrollierbare Ausmaße (bis hin zu Mordbereitschaft) angenommen hat, nutzen sich andererseits die staatlich autorisierte Macht mit Rückendeckung vor Gericht und Gummiknüppel im Mopp. Sie haben in ihrer Welt zu leben gelernt, ohne je nach dem Sinn dieses Lebens zu fragen. Besonders zwiespältig erscheint in diesem Zusammenhang auch der Titel des Films (und der literarischen Vorlage). Das Akronym A.C.A.B. zeigt sich hier als derart prägend, dass sich auch die Polizisten dieses annehmen und gerne ein daran orientiertes Liedchen anstimmen – vor Einsätzen, auf Partys, auf dem Heimweg. Wie heißt es? Nenne einen Menschen lang genug einen Hund und er wird irgendwann auch bellen. Ähnlich verhält es sich hier. Nicht nur, dass die Cops sich gegen Vorurteile nicht mehr wehren oder sich beim Verschleiern diverser Machenschaften keine besondere Mühe mehr geben – nein – sie gefallen sich in ihrer Rolle und mit ihrer Machtposition auch Zusehens, scheitern aber gerade dann, wenn ihnen diese Position nichts nützt (vornehmlich im Privatleben!). Und Frust potenziert nun die Gewalt, wenn man sich durch sein Umfeld erst eine Katalysatorfunktion geschaffen hat. Und dies wiederum gilt für ausnahmslos jede Gruppe, die der Film zeigt. Entsprechend geht es nicht um Sympathien und Antipathien, nicht um die eindeutig Guten und die eindeutig Bösen, nicht um Täter und Opfer – es geht schlicht um den Mechanismus der Gewalt in dem gezeigten Milieu, dessen Ursprung längst im Dunst der Geschichte verschwunden ist.
Demgegenüber lobe ich mir - diese Anmerkung sei mir gestattet - die Strukturierung des deutschen Äquivalents, die sogenannten Hundertschaften. Nach, wenn ich nicht irre, einem Jahr wird man dort wieder herausgelöst, allerdings muss auch (fast) jeder durch diesen Dienst durch. Die extreme physische und psychische Belastung, die dieser Job mit sich bringt, hat entsprechend vordefiniert einen Anfang und ein Ende. Wenn man sich in Italien für eben diesen Dienst als Beruf entscheiden kann (ich kenne mich da aber zu wenig aus, ist das wirklich so?), sollte die Motivation dazu doch ernsthaft hinterfragt werden. Und vor allem auch die psychologische Folgewirkung einer solchen dauerhaften Tätigkeit! Gerade dann, wenn hochgradig sinnlose und/oder wissentlich gefährliche Einsätze dazu kommen. A.C.A.B. hält hier Beispiele bereit. Einsätze, denen Angriffe auf Polizisten einerseits, oder Formen punktueller Polizeigewalt irgendwo im Land andererseits vorangegangen sind, können für niemanden glimpflich ausgehen! In der Rüstung steckend, mit dem dumpfen Geräusch im Ohr, dass auf dem Schild aufschlagende Steine hinterlassen, gibt es nur noch zwei mögliche Richtungen – fortlaufen oder vorwärts. Die Frage nach „Richtig“ oder „Falsch“ stellt sich dann schon lange nichtmehr!
Wenn ohnehin labilen Persönlichkeiten nur lang genug ausreichend Hass entgegen schlägt (was bei diesem Job offenbar der Fall ist) und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, eigenen, aufgestauten Hass dauerhaft auszuleben, dann werden sie (warum nicht gleich generalisieren? Dann werden alle Cops!) zu aggressiven Bastarden. In diesem Zusammenhang gehört aber auch zur Multiperspektivität gemahnt! Denn zu hinterfragen ist auch, welche Rolle das Akronym A.C.A.B. hier spielt. Unabhängig davon, was der Aussprechende – aus welchen Gründen auch immer – damit meint, wichtig wäre doch auch die Frage danach, was mit dem geschieht, der das Akronym in seiner simplen wie bedrohlichen Botschaft wieder und wieder zu hören bekommt.