Ich war sehr erstaunt nach der Sichtung des US-Originals zu sehen, dass es von RED, WHITE AND BLUE eine deutsche Fassung gibt. Mit dem vollkommen hirnrissigen Titel CALL-GIRL-REPORT werden natürlich falsche Erwartungshaltungen geboren, muss die Rezeption wie zu erwarten unter aller Sau sein.
Denn RED, WHITE AND BLUE hat zwar starke Tendenzen in Richtung Report-Film, ist aber tatsächlich eher eine Mischung aus einem Mondo und einer Dokumentation, die sich bei den Interviews auf der Straße dann eben anfühlt wie ein (deutscher) Report-Film. Ausgehend vom ersten Verfassungszusatz, der den US-Amerikanern Redefreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und das Petitionsrecht garantiert, und zwar ohne Einmischung des Kongresses, ausgehend also von diesem demokratischen Urgesetz wird der aktuelle Stand des Jahres 1970 in Bezug auf die Pornographie erkundet. Was waren die Ursprünge, wie hat sich der Wunsch, nackte (Frauen-) Körper zu sehen entwickelt, und als Hauptthema: Was ist in den letzten 3 Jahren passiert und wie ist der heutige Stand? Eine Schrifttafel zu Beginn des Films zeigt schon die Stoßrichtung: An in-depth study of censorship, obscenity and pornography in America heißt es da, und schnell wird die Arbeit der 1968 zusammengetretenen Commission on obscenity and pornography begutachtet, die 1970, im Jahr der Dreharbeiten, zu folgendem Schluss kam: Dem Kongress wird empfohlen, seine Bemühungen darauf zu konzentrieren, den Zugang zu pornografischem Material auf Jugendliche und Erwachsene zu beschränken, die den Kontakt damit vermeiden wollen, anstatt sich an einwilligende Erwachsene zu wenden. (1) Die Dreharbeiten begleiten teilweise die Sitzungen (was merkwürdig ist, weil diese laut dem Sprecher nicht öffentlich waren), setzen sich dann aber schnell auf der Straße fort, wo ganz normale Menschen ihre Meinungen zu Pornografie und dem Zugang dazu kundgeben können.
Das Business hinter der sexuellen Revolution wird ein wenig beleuchtet, es folgen Interviews mit Herausgebern von Sex-Magazinen und Filmproduzenten (was sehr praktisch ist, weil der eigene (Film-) Produzent natürlich gerne Rede und Antwort stand). Es werden Dreharbeiten gezeigt, die Darsteller werden interviewt, und am Ende des Films gibt es noch einen Abstecher in eine Tabledance-Bar, ebenfalls mit einem Interview mit einer Tänzerin veredelt.
Alles dies ist mit einer Wackelkamera aufgenommen, mit psychedelischer Musik hinterlegt, und vor allem die Meinungen der Interviewpartner laufen immer auf dasselbe hinaus: Jeder ist seines Glückes Schmied, Geld verdienen ist das Einzige was zählt, die Menschen auf der Straße wollen das, also geben wir ihnen das und verdienen Geld damit, bla bla bla … Die drei Aussteiger, die in den Hügeln in einer Grashütte leben und ihr Geld als Porno-Schauspieler verdienen sind vielleicht noch irgendwo zu beneiden – In Kalifornien, wo es bekanntlich niemals regnet, sein Leben mit Sex zu bestreiten und ansonsten in völliger Freiheit zu leben, das hat schon was, aber ob das knapp einjährige Kind, das bei dieser Gruppe aufwachsen wird, dies auch so sieht?
RED, WHITE AND BLUE ist eine oft etwas dröge Bestandsaufnahme eines Sachverhalts, der sich zwei Jahre später dann sowieso erledigt hat: Zwar beschloss die Kommission, dass der Zugang zu Pornographie zu beschränken ist, aber 1972 wurden Pornos in den USA dann legalisiert, und damit der Sinn dieses Films ad absurdum geführt (was während der Dreharbeiten zugegebenermaßen noch nicht abzusehen war). Was übrig bleibt ist wie gesagt eher dröge – Der Versuch über ein illegales Geschäft zu berichten ohne dabei selber in die Illegalität zu rutschen impliziert, dass nichts Strafbares gezeigt werden darf. Von daher wippen hier einige nackte Brüste durch das Bild, ein wenig Softcore wird gezeigt, ein oder zwei Penisse (das Wort wird sogar mal erwähnt, igitt), aber die Darstellung bleibt aus heutiger Sicht ausgesprochen bieder. Es ist nicht klar ersichtlich, welche Teile der Dokumentation gefakt sind und welche echt, und letzten Endes gerierte sich selbst der vielgescholtene deutsche SCHULMÄDCHEN-REPORT aus demselben Jahr schon progressiver. Dort sprach ja auch kein Rechtsanwalt einen leiernden und unaufregenden Kommentar ein, sondern Volkes Stimme sorgte für ein wenig Aufmerksamkeit. Nein, der große Wurf ist der Film nicht, und aus heutiger Sicht höchstens als kleiner, und dabei durchaus nicht uninteressanter, Einblick in ein Nischenbusiness einer relativ wilden Zeit zu goutieren. Aber unter dem Begriff lohnend verstehe ich ehrlich gesagt anderes …
(1) https://www.mtsu.edu/first-amendment/article/1178/commission-on-obscenity-and-pornography