Stoker. Bram Stoker? Vampire? Wenn man sehr viel in die Geschichte und ihre Symbolik hinein interpretiert, könnte man tatsächlich einen Hauch Dracula entdecken, doch in erster Linie ist es ein bedrückendes Coming-of-Age Schauermärchen von Park Chan-wook („Oldboy“).
India (Mia Wasikowska) erfährt ausgerechnet an ihrem 18. Geburtstag vom Unfalltod ihres geliebten Vaters. Bei der Beerdigung taucht ihr Onkel Charles (Matthew Goode) auf, der aufgrund diverser Reisen nie in ihrem Elternhaus war. Nun nistet er sich bei Evelyn (Nicole Kidman) und India ein und scheint bei beiden Damen merkwürdige Bedürfnisse anzusprechen…
Die ungewöhnliche Optik sticht bereits bei den Opening Credits ins Auge, so kunstvoll wie die Namen der Beteiligten in der Natur untergebracht werden. Auch sonst manifestiert sich rasch der Eindruck, dass jede Einstellung, jeder Szenenübergang fein ausgeklügelt wurde, um der an sich simplen Geschichte einen reizvollen Anstrich zu verpassen, was in der Tat gelingt.
Allerdings schwächelt die Erzählung recht früh, da Onkel Charly natürlich mindestens eine Leiche im Keller hat und ohne Umschweife klar wird, dass Indias Geisteszustand irgendwo in fremden Sphären unterwegs ist.
Die ruhig erzählte Geschichte thematisiert Punkte wie aufkeimende sexuelle Begierden, es geht um Gewalt, Sehnsüchte und Kompensieren von Defiziten und natürlich um das Lüften düsterer Familiengeheimnisse. Der ruhige Score unterstützt die beinahe surreale Atmosphäre, welche vor allem durch den eigenen Kosmos in der Villa im viktorianischen Stil hervorgerufen wird. Aufgrund der Dialoge, Körperhaltungen und einiger Umgangsformen fühlt man sich bis ins 18. Jahrhundert zurückversetzt, so dass einem die zeitgenössischen Schüler um India beinahe wie Fremdkörper vorkommen. Indes gehen Teile der Kleidung bis in die 30er zurück und auch hier wirkt ein Handy eher wie progressive Technik, eine Sonderanfertigung für ein Individuum das ohnehin nicht so recht in die Familie der Stokers passt.
Der durchweg tollen Optik und den drei wahrlich toll aufspielenden Mimen steht die leider zu überraschungsarm erzählte Geschichte im Wege. Mal abgesehen von einigen emotionalen Unstimmigkeiten ist die allgemeine Entwicklung trotz unheilsschwangeren Untertons absehbar und auch wenn kurze Gewalteinlagen im Kontrast zu den poetischen Sequenzen stehen, so mangelt es doch an cleveren Einschüben. Denn diverse Zeitsprünge und Überlappen einiger Bewusstseinsebenen sind in Ansätzen clever miteinander verflochten, jedoch verwirren sie zunächst mehr, als dass sie im letzten Drittel hilfreich sein könnten.
Immerhin, man wird sich im Nachhinein an so manche Komposition erinnern: Wie eine Spinne ein Bein hoch krabbelt, wie ein Gürtel abgenommen wird, wie ein Gewehr im Schilf benutzt wird oder immer mal wieder blaue Schuhe inspiziert werden. Park Chan-wook gelingt ein zuweilen eindrucksvolles Spiel mit diversen Lichtquellen wie Mondlicht und Nachttischlampe, er kreiert Unbehagen mit einem Doppel am Piano, jedoch hinkt die Geschichte bei alledem stets ein Stück hinterher und weiß bis zum Schluss nicht zu fesseln.
„Stoker“ überzeugt in vielen optischen Belangen, doch die zu simple Story verhindert den ganz großen Wurf besonders zum Ende hin merklich.
6,5 von 10