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Wenn es eine aktuelle Referenz für Augenschmaus Kino und stilistisch hochwertiger Kameraführung, genau gewählte Bildausschnitte und Atmosphäre mit perfektem Timing gibt dann STOKER. "Eye-Candy" nennt dies dann gern der Cineast und Arthouse-Kinogänger. Doch kann der durchaus perfektionistisch zu nennende Stil von Regisseur Park Chan-Wook auch von einer entsprechenden Geschichte und ebensolchen schauspielerischen Leistungen getragen werden? Ich versuche die Antwort hiermit zu geben. Der überaus vielstrapazierte Begriff des "Meisterwerks" grassiert in konservativ geprägten Bereichen des Feuilletons recht schnell und auch STOKER wurde damit schnell bedacht. Er ist in vielen Phasen Intensität und Filmmagie pur und lebt insbesondere von seiner starken Besetzung ohne jedoch sämtliche attestierten Superlative für sich verbuchen zu können.
   
Schon in den ersten Sekunden beginnt der stetige hypnotische Sog der Kamera und ohne Worte wird der Zuschauer gefangen und kaum mehr losgelassen. Es gibt eine schier schwerelose Kamera mit langsamen Zooms und einer sprichwörtlichen Räumlichkeit wie sie kaum in 3D Filmen anzutreffen ist. Dazu gibt es einen fein abgestimmten und sehr subtil wirkenden Soundteppich. Kleine Tiere laufen nicht zufällig über den Boden aber sorgen für Irritationen und wenn Hauptfigur India ein Ei auf dem Tisch hin- und herschiebt entstehen Geräusche die nichts Gutes ahnen lassen. STOKER enthält kaum ein Bild in dem es nichts Mysteriöses gibt oder Symbole und Metaphern sich die Hand reichen.

Die Geschichte der introvertierten India Stoker (Mia Wasikowska), die an ihrem 18. Geburtstag den geliebten Vater verliert und nun mit ihrer Mutter Evelyn und dem undurchsichtigen Onkel Charlie (Matthew Goode) in den Strudel eines seltsamen und morbiden Beziehungsgeflechts gerät ist nicht wirklich komplex, und trotzdem muss man stets alle Sinne zusammenhalten um den unglaublich vielfältigen Feinheiten der Geschichte folgen zu können. Wenn man mit relativ wenig Vorinformation an den Film herangeht kommt man in den schönen Genuss völliger Ahnungslosigkeit in Bezug auf die Geschichte was durchaus von Vorteil ist.

In dieser Beziehung wird der Zuschauer sehr geschickt absolut im Dunkeln über das weitere Geschehen gehalten. Und sowieso gibt es eine Reihe von Merkwürdigkeiten in Form von Schuhen die India jedes Jahr geschenkt bekommt, ihre Beziehung zu ganz bestimmten Tierchen und wie sie fast per Telepathie mit ihrem Onkel kommuniziert. So weiß man mit seinem unguten Gefühl noch nicht umzugehen und vor was oder wem man sich eigentlich fürchten muss. STOKER stellt dazu die Geschichte und die Dialoge in den Hintergrund zugunsten einer wirklich einzigartig intensiven Atmosphäre zwischen den 3 Charakteren.       

STOKER lebt von einer preisverdächtigen Performance von Mia Wasikowska als India die gefühlt in 95% aller Szenen im Bild ist. Sie spielt - und das tut mir leid für die Kidman Fans - die gute Frau an die Wand um es mal recht platt zu formulieren. Dieses Missverhältnis ist zwar in der Rolle der beiden so angelegt, aber Wasikowska verfügt über eine intensive Mimik und Gestik die mit den komplexen Anforderungen an diese fast mythische Figur der India bestens zurechtkommt. Nicole Kidman verbleibt hier in Anbetracht ihrer beschränkten Botox-Mimik relativ blass, obwohl sie schon deutlich schlechtere Rolle gespielt hat. Zudem steigert sie sich zum Ende hin deutlich und ich möchte ihr somit dennoch eine gute Leistung diagnostizieren.

Herausragend neben India ist ihr Onkel Charlie, gespielt von Matthew Goode, der sehr diabolisch wirkt und mit seinen Augen und Blicken für mich wie der junge Anthony Perkins über die Leinwand kommt. Dabei unterstützt ihn hier und da auch wieder die Kamera, die ihn auch mal eben von leicht schräg oben über dem Kopf aufnimmt und das unwohle Gefühl damit gezielt verstärkt. Auch wenn es verrückt klingen mag, irgendwie wirkte STOKER für mich wie eine gute Mischung aus BLACK SWAN, MELANCHOLIA und SHINING. Physische Gewalt gibt es allerdings nur selten in STOKER, wenn allerdings verfehlt sich ihre verstörende Wirkung nicht.

Also gibt es doch nur gutes über STOKER zu berichten? Aus meiner Sicht nicht. Für Verächter bedeutungsschwangerer Dialoge bei dem jeder Satz in Stein gemeißelt scheint und ein wichtiger Dialog den nächsten jagt ist der Film eine Tortur. Es gibt keine Sekunde zum Verharren oder zur Entspannung. Stets ist volle Konzentration angesagt was bei der Laufzeit auch in manchen Phase ermüdend wirkte. Auch die ein oder andere Metapher "Gewalt-Sexuelle Erregung" wird uns wahrlich mit dem Dampfhammer präsentiert. Ein Schelm wer denkt es gibt ein einfaches Ende oder eine verdauliche Auflösung. Selbst der Abspann läuft in umgekehrter Reihenfolge an wie sonst…

Aber es fehlen am Ende wirklich interessante Elemente für eine packende Story die trotz aller stilistischen Extravaganz recht überschaubar ist und den Fakt der Spannung fast ganz außen vor lässt. Der Südkoreaner und Regisseur Park Chan-Wook war Cineasten durch starke Beiträge wie unter anderem OLDBOY, SYMPATHY FOR MR. VENGEANCE und zuletzt auch DURST längt bekannt und es ist eigentlich beschämend wie spät Hollywood auf ihn aufmerksam geworden ist. Außer er hat dies selbst so forciert. Sein Stil ist noch deutlich spürbar, allerdings nicht mehr so dunkel und nihilistisch wie dies in seinen anderen Werken der Fall war.

Man merkt dass im Hintergrund stets ein wenig die Hollywood-Konventionen gegen seinen eigenwilligen Stil gearbeitet haben. Und so wurde STOKER auch nur ein bisschen verrückt für das breitere Kinopublikum welches seine anderen Filme in der Masse sowieso nicht kennt. STOKER ist dennoch ein Pflichtprogramm für Freunde des ästhetischen Kinos und kann sogar als kleine Hitchcock Hommage gewertet werden. Park Chan-Wook stärkster Film OLDBOY erfährt jetzt nebenbei bemerkt ein Remake durch Spike Lee. Bei allem Respekt für den guten Spike, ich kenne kaum einen Film der weniger ein Remake nötig hat als OLDBOY mit dem phantastischen Hauptdarsteller Choi Min-sik!

6,5/10 Weberknechten….äh,….Punkten

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