"Driving Miss Daisy“ als französisches Remake oder En voilà une belle merde?
Als surreales Meisterwerk wurde „Holy Motors“ international von sämtlichen Kritikern geadelt. Beim Cannes Filmfestival war der Film von Leos Carax sogar für die Goldene Palme nominiert und die Reaktionen waren überwältigend. Es fielen Worte wie „Traumlogik“, „Geniestreich“ und „wunderschön“. Als notorischer Allesgucker gab auch meine Wenigkeit „Holy Motors“ eine Chance. In mir hat der Film nach 115 Minuten auch innere Jubelschreie entfacht – Hurra, endlich ist der Mumpitz vorbei. Der Streifen kommt aus Frankreich und wurde mit deutscher Zuschusskohle ordentlich mitfinanziert. Mon Dieu!
Die Grundidee ist wahrlich originell und macht wirklich Lust auf eine Sichtung. Ein Schauspieler gurkst in einer fetten Stretch-Limo von Rolle zu Rolle. Auf diese „Termine“ bereitet sich der Schauspieler namens Oscar stets in der Limo vor. Dort vollzieht er auch sein Make-Up und lernt seine spärlichen Drehbücher. Der Zuschauer begleitet Oscar einen ganzen Tag und merkt die unglaubliche Wandlungsfähigkeit dieses beeindruckenden Schauspielers.
Zugegeben, klingt sehr interessant. Aber mit dieser knappen Inhaltsangabe ist auch der gesamte Film erzählt. Episodenhaft erlebt der Zuschauer die verschiedenen Rollen von Oscar. Ich möchte einige mal genauer beleuchten. Die ersten Episoden wirken noch aufgeweckt und frisch. Monsieur Oscar spielt beim ersten Dreh eine alte Bettlerin, wie man sie in gekrümmter Haltung tatsächlich überall auf den Straßen Paris entdeckt. Die zweite Episode ist in meinen Augen die eindrucksvollste. In einer surrealen und zugleich sehr ästhetischen Tanzszene träumt der Zuschauer dahin und lässt sich in den Sog des Films ziehen. Daher ist eine Tiefstnote auch nicht angebracht.
Leider baut „Holy Motors“ mit fortschreitender Laufzeit permanent ab. Der Plot ist dem Zuschauer mittlerweile deutlich und die Rollen langweilen nur noch. Es ist schade das „Holy Motors“ eine gewisse Distanz zu dem Hauptakteur aufweist. So werden die Gedanken abseits der Rollen nur in wenigen Sätzen deutlich. Er würde gerne mal wieder einen Dreh im wäldlichen Gebiet bzw. ländlicher Ebene drehen. Die „Realität“ des Schauspielers (seiner wahren Person) wird z.B. in dem eben genannten Satz deutlich, sowie in der sperrigen Kommunikation mit seiner Assistentin und gleichzeitig Fahrerin. „Holy Motors“ versucht den Zuschauer auf eine unheimlich billige Art zu täuschen. Realität und Drehorte bzw. Rollen scheinen sich zu vermischen und der Zuseher wird zum Narren gehalten. Leider überzeugen diese Versuche kaum und langweilen über die Laufzeit.
Der letzte Spielfilm des Regisseurs liegt bereits 14 Jahre zurück, solange hielt sich Alexandre Oscar Dupont (bürgerlicher Name, aber Leos Carax klingt ja viel schnieker) mit Kurzfilmen über Wasser. Finanzielle Schwierigkeiten plagten dem Mann und man hätte ihm doch vorher nahe gelegt, auch aus „Holy Motors“ einen Kurzfilm zu machen, denn der Stoff wird über 115 Minuten ausgepresst und eine gelungene Schlusspointe lässt ebenso auf sich warten, wie ein überzeugender Twist. „Holy Motors“ will nicht unterhalten, sondern einfach „künstlerisch“ den Zuschauer in seinen Bann ziehen – aber dafür ist der Film einfach zu langweilig.
Es gibt Momente in „Holy Motors“, die wie Fremdkörper wirken. In einer Episode schminkt sich Schauspieler Oscar zu einer koboldartigen Gestalt und treibt auf dem größten Friedhofs Paris, dem Pére Lachaise (wo auch Jim Morrison begraben liegt), sein Unwesen. Kurzerhand entführt er Eva Mendes und macht sie in seinem Verlies auf eine undenkbar billige Weise an. Mit einer kümmerlichen Prachtlatte legt er ihr einen Schleier um. Das war definitiv zu künstlerisch und billig für meinen Geschmack. Aber wie passen "künsterlisch" und "billig" zusammen, ohne sich zu beißen - „Holy Motors“ schafft das.
Nach dieser lachhaften Leprechaun-Nummer werden weitere unterschiedliche Rollen von Oscar durchgespielt. Der besorgte Familienvater wie man ihn in jedem ARD-Mittwochabendfilm sehen kann, bis hin zu einem tanzenden Akkordeonspieler samt Bagage. Der Gipfel der Lächerlichkeit ist eine Episode, die sich Leos Carax zum nahenden Ende aufhebt. Unser Oscar trifft auf Kylie Minogue, und nach einem furchtbar drögen Dialog vergrault die Australierin den Rest, des bis dahin wackeren Publikum, mit einer furchtbaren Musicaleinlage die sich über Minuten hinzieht – ein voller Schlag ins Kontor! „I should be so lucky“ - nicht bei „Holy Motors“.
Der Film wird ziemlich unterschiedlich gewertet und interpretiert. Ich möchte ganz weg von dieser „Identitätsstudie“, die vielen „Holy Motors“ andichten und eher hin zu einer Hommage ans klassische Kino. Carax zeigt in seinen Episoden sämtliche Genres und ihre Klischees, in ganz unterschiedlichen Facetten. Leider ist das aber viel zu dürftig und schlapp umgesetzt. Aus der, wie anfangs erwähnten, interessanten Grundidee macht Carax viel zu wenig und verrennt sich in künstlerischem Firlefanz. Dem Presseheft aber zufolge, ist eben jene „Identitätstheorie“ federführend in „Holy Motors“, für meine Begriffe aber viel zu schwach umgesetzt und schlicht uninteressant.
Gegen Ende muss Carax verkrampft den künstlerischen Titel dem Zuschauer verklickern, in dem sprechende Stretch-Limos in unterschiedlichen Sprachen kommunizieren. Generell hat der Regisseur eine gewisse Vorliebe für weiße Tonnen-Limousinen, die er mit eigenen Worten „beeindruckend“ findet und unbedingt in diesem Spielfilm verarbeiten wollte. Die Limos haben Angst unter dem technischen Fortschritt ausgemerzt zu werden – also bemüht sich Carax um den Stillstand der Digitalisierung? Was wollte der Mann denn noch in diesen Film „verbotschaften“?
Der Aspekt „Film und Realität“ ist einfach zu uninteressant in „Holy Motors“ eingebettet und sehr stümperhaft umgesetzt. Wenn der Schauspieler plötzlich aus seiner Limo hechtet um jemanden abzuknallen, weiß man sofort, dass es NUR eine Rolle ist. Carax schafft es weder mit seinem Film zu schocken, noch zu faszinieren und schon gar nicht zu überzeugen. Den Zusammenhang zwischen Film und Realität hat am schlüssigsten Jodorowsky in „Montana Sacra“ dem Zuschauer auf schockierende Weise und einem Augenzwinkern beigebracht. Auch in Cronenbergs „Videodrome“ verschwimmt Realität und Wahnsinn in einer surrealen und gemeingefährlichen Facettenvielfalt. „Holy Motors“ schafft es nicht ansatzweise mitzuhalten – das „AHA-Erlebnis“ bleibt aus.
Fazit: Leos Carax gelang ein unentschlossener und ebenso seichter „Kunstfilm“, welcher in Lethargie und mangelndem Einfallsreichtum nach 110 Minuten zu Grunde geht. Lediglich das beeindruckende Spiel des Hauptdarstellers Oscar (gespielt von Denis Lavant) und die schöne Skyline von Paris entschädigen nur leicht, für teilweise extremen Blödsinn. „Holy Motors“ ist ein typischer Vertreter der Marke:
Das Feuilleton und die Filmfestivals jubeln – der Rest kotzt!
Guckt lieber „Symbol“ von Hitoshi Matsumoto – da habt ihr Bilderflut, kuriose Einfälle und abgedrehtes Kunstkino!