Spätestens als Jennifer Chambers Lynch´s "Chained" von der MPAA mit dem finanziell tödlichen NC-17-Rating abgestraft wurde (was wirklich nur selten passiert), hatte dieser Film meine volle Aufmerksamkeit. Solche Filme gehen mit grafischen Bildern oder einer grauenvollen Story auf die Jagd nach dem Hardcore-Zuschauer, dass auch den hartgesottenen Leuten manchmal die Spucke wegbleibt. Nun, bei mir war der Mund schon etwas trocken und salzig - lecken konnte ich trotzdem noch...
Mit dem Film "3096 Tage" wurde das schockierende, unfassbare Leben der Natascha Kampusch schonungslos aufgedeckt und bis ins letzte Detail gezeigt.
Hier dürfte beinahe die identische FSK21-Fassung vorliegen, auch wenn die Story thematisch etwas anders verlagert ist. (Fast) die gleiche Geschichte wird in "Chained" erzählt - jedoch um einiges härter, abartiger, expliziter und rauher als der echt Fall, der sich in Wien abgespielt hat.
Als Brad Fittler (Jake Weber) seine Frau Sarah (Julia Ormond) und seinen neunjährigen Sohn (Evan Bird/im späteren Filmverlauf als Heranwachsender von Eamon Farren gespielt) vor dem Kino absetzt, ahnt er noch nicht, dass seine Frau das gemeinsame Kind mit in einem Zombie-Film schleppt. Nachdem Mutter und Sohn das Kino verlassen und ein Taxi für die Heimfahrt nehmen, werden sie von dem "Taxifahrer" Bob (Vincent D´Onofrio) in ein abgelegenes Haus mitten ins Nirgendwo verschleppt. Während die Mutter sexuell missbraucht und anschließend getötet wird, war die Entführung des Sohnes nicht eingeplant von Bob. Somit entschließt er sich kurzerhand, das Kind in "Rabbit" zu taufen und ihn als Sklaven und eigenen Jungen großzuziehen. Im Laufe der Jahre muss Rabbit viele Morde mitansehen, doch die Zeit hat an seiner Seele genagt und sie zerbrochen. Gelingt es ihm, seinem Mentor irgendwann noch Gegenwehr zu leisten?
Im Vorfeld dürfte dem geneigten Zuschauer klar sein, bzw. muss klar sein, dass "Chained" kein bischen Unterhaltungswert bietet und nur schonungslos eine Charakterstudie über einen bestialisch mordenden Triebtäter zeigt. Nun gut, eigentlich sind es ja zwei Charakterstudien: Man sieht, wie aus dem neunjährigen hilflosen Sohn, der sich seinem Schicksal ergeben hat, ein heranwachsender Mann wird, der abgeschottet von der Außenwelt nichts anderes mehr kennt als diesen Alltag Opfer anschleppen, vergewaltigen und danach begraben. Nach einer Flucht bekommt Rabbit noch eine Fußfessel inklusive Stahlkette verpasst, was seinen Lebensraum und seine Hoffnung noch weiter schmälert.
Dieses Kammerspiel kommt sehr intensiv rüber, wer jedoch nur auf Blut und Gewalt aus ist, dürfte leer ausgehen. Man sieht entweder die Vergewaltigungen (ich denke, die will auch keiner sehen) oder großartige Gore-Szenen. Bis auf einen Kehlenschnitt gibt es grafisch nix zu ernten - Lynch (die übrigens die Tochter des berühmten David Lynch ist) setzt vorallem Wert auf die Thematik und die Entwicklung der Figuren. Die Rolle des Höllenhundes Bob kauft man Vincent D´Onofrio vollkommen ab. Sein Charakter bietet viele Facetten. Von eiskalter Mordlust über die "liebenswürdige" Erziehung wirkt sein Charakter undurchschaubar. Mit Schlabber-Jogginganzug und Bierbauch wirkt der Charakter noch reeller.
Jungschauspieler Eamon Farren geht bei D´Onofrios Leistung fast unter, was jedoch eher daran liegt, dass sich seine Dialoge in Grenzen halten. Wenn man genauer hinblickt (was natürlich bei dieser Thematik schwer fällt), glänzt Farren durch seine Empathie, Fassungslosigkeit und im weiteren Filmverlauf durch seine willenlose Hingabe, als sei es die normale Welt - schließlich kennt er ja nichts anderes.
Was dem Film jedoch noch einige Punkte klaut, sind die Story, die Umgebung und die Charaktere selbst.
Bei einem Schocker darf ich eigentlich keine Sekunde daran verschwenden, dass die Story ansich totaler Dünnschiss ist. Und ich ertappte mich desöfteren bei solchen Gedanken. Denn wie kann es sein, dass ein scheinbar nicht registrierter Taxi-Fahrer mit einem nicht registrierten Auto jahrelang durch dieselbe Gegend fährt und auf Beutezug geht, während die Medien immer wieder von vermissten Frauen berichten. Schlafen die Cops in dieser Umgebung? Spätestens nach dem dritten Opfer müssten doch Ice-T und seine Special Victims Unit gerufen werden...
Mit der Umgebung meine ich das Haus, in dem das Kammerspiel stattfindet. Das Anwesen macht einfach nicht den Eindruck, dass man sich hier in Alcatraz befindet und es keinen Ausweg gibt - somal Rabbit ja schon einmal als junger Bub einen Schlenzer durch das Dachfenster gemacht hat.
Ja und dann waren da noch die Figuren: Die sind irgendwo und irgendwie stark, bleiben aber auf einer befremdlichen Art teilweise blass.
Zum Großteil ist es eben die strange und nicht zu Ende gedachte Story, für die es Punktabzüge gibt, Fort Knox und Charaktere winke ich mit einem zugedrückten Auge durch.
"Chained" ist ein knallhartes Kammerspiel mit einer teilweise verstörenden Thematik. Jeder mündige Cineast, der mit "A Serbian Film" (nur als Beispiel, wenn dieses auch stark hinkt) klar kommt, kann mal einen Blick riskieren. Aufgrund obengenannter Kritik und nicht voll angekommener Durchschlagskraft vergebe ich
7/10