In den 60er Jahren gehörten noch Familienserien zum TV-Alltag, deren Heile-Welt-Bild heute, im Zeitalter von Patchwork-Familien und Trash-TV, fast fremdartig wirkt. Dass diese Geschichten funktionierten, lag nicht an dem damals schon idealisierten Familienbild, sondern an den Alltagsproblemen, mit denen sich die Protagonisten herumschlagen mussten - Geschwisterzoff, pubertierende Jugendliche, erste Liebe, Schule, Eifersüchteleien aller Art, Ehestreitigkeiten, bucklige Verwandtschaft, Midlife-Crisis oder ein schwieriger Mitarbeiter/Vorgesetzter. Wirklich schwerwiegend waren diese Probleme nie, weshalb sie sich innerhalb der kurzen Sendezeit problemlos lösen ließen, aber sie trafen den Nerv vieler Zuschauer, deren Alltag zumindest auszugsweise ähnlich aussah.
Judd Apatows "This is 40" (Immer Ärger mit 40) erinnert an eine moderne Variante dieser Art Familienserie. Im Mittelpunkt steht das Ehepaar Debbie (Leslie Mann) und Pete (Paul Rudd), die Beide kurz hintereinander ihren 40.Geburtstag begehen, gefühlsmäßig für Viele eine Zäsur zwischen Jugend und Alter. Der Film beginnt an Debbies Geburtstag, der unter der geschönten Jahreszahl 38 unauffällig im kleinsten Familienkreis begangen wird, und endet ein paar Tage später mit einer großen Feier zu Petes rundem Jubiläum. Damit ist die Story prinzipiell erzählt, denn ähnlich wie in einer Vorabendserie arbeitet Apatow ohne stringenten Handlungsfaden ein Ereignis nach dem anderen ab und lässt so das Bild des Alltags einer gut situierten weißen Mittelstandsfamilie in einer gepflegten Stadt in den USA entstehen - zwei Töchter im Alter von 8 und 13 Jahren, großes Einfamilienhaus, beide Eltern selbstständig und der dazu gehörige Freundes- und Familienkreis.
Wem angesichts dieser Konstellation die gesellschaftspolitische Relevanz fehlt, vergisst, dass diese nach wie vor einen großen Teil der us-amerikanischen und weltweiten Bevölkerung repräsentiert, zumal Apatow sie zeitgemäß einbettet. Debbie und Pete stammen aus Scheidungsfamilien, weshalb Petes Vater Larry (Albert Brooks) gemeinsam mit seiner zweiten Frau männliche Drillinge hat, die jünger sind als Petes Töchter. Debbies Vater Oliver (John Lithgow) wiederum hat sie und ihre Mutter so früh verlassen, dass er schon erwachsene Kinder aus seiner zweiten Ehe hat, seine Enkeltöchter aber gar nicht kennt, weil er keinen Kontakt wollte. Auch die übrigen "Geißeln" der Moderne haben sie längst ereilt - Training für die perfekte Figur, gesunde Ernährung, fernöstliche Heilmethoden, Rauchverbot, Facebook, W-Lan und das komplette Sortiment an Computern und Smartphones - ein Umfeld, dass vielen Betrachtern vertraut sein wird.
Wie von Apatows Filmen gewohnt, geht es sprachlich deftig zu, beginnt "Immer Ärger mit 40" gleich mit der Sexualität des Ehepaars, dass sich über den Zustand seines Penis echauffiert. Er hatte Viagra genommen, um endlich wieder voll bei der Sache zu sein, sie ärgert sich darüber, dass ihm ihr Anblick nicht mehr genügt und hätte sowieso nichts gegen seine "Halblatte". Über die gesamte Laufzeit des Films geht es in der Auseinandersetzung zwischen ihnen ständig hoch und runter, was auf Dauer ermüdet, auch wenn Apatow glücklicherweise jede übertriebene Dramatik vermeidet. Daran zeigt sich seine eigentliche Intention - die witzige Beschreibung des Alltags einer Ehe, die im Grunde bestens funktioniert, auch wenn sich natürliche Abnutzungserscheinungen zeigen.
In seinen besten Moment ist der Film ganz nahe an einer Realität, deren Komik nicht mehr künstlich erzeugt werden muss. Ob Pete sich ständig mit dem Computer aufs Klo zurückzieht, um einmal seine Ruhe zu haben, Debbie geradezu krampfhaft versucht, ihre Nikotinsucht vor den Anderen zu verbergen oder die pubertierende Tochter Sadie (Maude Apatow) ihren Eltern gegenüber argumentiert, warum sie ein Grundrecht auf die Computernutzung hat, zeigt sich darin die natürliche Absurdität des Alltags. Auch wenn Debbie dem Klassenkameraden ihrer Tochter in der Schule kräftig die Meinung geigt, weil dieser sie auf Facebook angeblich beleidigt hätte, verhält sie sich nachvollziehbar - fast geschockt, als dieser darauf zu weinen beginnt - aber das spätere Gespräch mit dessen Mutter bei der Direktorin zerstört wieder diesen positiven Eindruck. Mag sein, dass Jemand Melissa McCarthy's Tiraden lustig findet, aber diese stehen beispielhaft für das wiederholte Abrutschen des Films in unnötigen Klamauk.
Gerade die zwei echten Schwestern Sadie und Charlotte (Iris Apatow) lassen deutlich werden, wie gleichzeitig witzig und überzeugend Streit unter Geschwistern stattfinden kann. Sie sind nervig, laut und ausfallend, bleiben dabei aber immer authentisch. Wenn Pete dagegen breitbeinig versucht, seinen After zu fotografieren, Debbie den Zustand der Brüste ihrer Angestellten prüft (Megan Fox in einer typischen Rolle) oder die ärztlichen Untersuchungen, denen sich die beiden 40jährigen unterziehen, wie sexuelle Praktiken für Fortgeschrittene wirken, verliert der Film seine Nähe zur Realität zugunsten geschmackloser Witze. Sicherlich nicht ganz untypisch für Apatow, verleiht er seinem Film damit aber einen uneinheitlichen Charakter.
Das gilt auch für die Nebenstories, sie sich künstlich um ein wenig Dramatik im Alltag bemühen. Angesichts der Tatsache, dass Geschäftsleute schon wegen 20 fehlender Dollar in der Kasse die Polizei rufen, ist Debbies lässiger Umgang wegen fehlender 12.000 Dollar (in Worten zwölftausend) nur unglaubwürdig. Die gesamte Thematik der Geldknappheit, die dank der Vorliebe des Musikverlegers Pete für unpopuläre (aber sehr qualitative) Musik entsteht, wirkt wenig überzeugend, bei gleichzeitiger Nutzung eines neuen BMW's, einem Kurztripp in ein Luxushotel oder der groß angelegten Geburtstagsfeier. Wie dagegen die Tücken des Alltags wirklich funktionieren, veranschaulicht die Szene, in der Pete seinem Vater zu vermitteln versucht, dass er ihn in Zukunft nicht mehr finanziell unterstützen kann. Die psychologischen Druckmittel, mit denen sich sein Vater dagegen wehrt, sind fein dosiert und nah dran an der Realität.
"Immer ärger mit 40" verfügt über eine Vielzahl gelungener Szenen, die einen witzig, demaskierenden Blick auf das Leben zweier 40jähriger und ihr Umfeld werfen, verliert sich aber über seine sehr lange Laufzeit regelmäßig in übertriebenem Klamauk und unmotivierten Nebengeschichten. Das er keine stringente Story erzählt, sondern ein Kaleidoskop aus vielen kleinen Ereignissen entwickelt, ist ein Pluspunkt - der uneinheitliche Eindruck aus authentischem Witz des Alltags, Geschmacklosigkeiten und Hollywood-Konvention ein Minuspunkt (5,5/10).