(Helm-)Pflicht erfüllt
„Ich bin Richter, Geschworener und Vollstrecker!", tönt der Titelheld gleich zu Beginn des Films. Gewaltenteilung gehört in diesem System also eher nicht zu den politischen Maximen. Bei einer erfolgreichen Verbrechensbekämpfungsrate von weniger als 1% zählt eben nur tödliche Effektivität.
Schon einmal (1995) wurde die düstere Comic-Dystopie um den gnadenlosen Allround-Juristen Judge Dredd auf die Leinwände gebracht. Die mit Sylvester Stallone prominent besetzte Science-Fiction-Schlachtplatte hinterließ allerdings einen zwiespältigen Eindruck. Der Film mäanderte orientierungslos zwischen zynischer Brutalität und versuchter Vermenschlichung des futuristischen Henker-Richters und konnte damit niemand so recht zufrieden stellen.
Ähnliches wird Dredd sicherlich nicht widerfahren. Im Stil eines vor allem in narrativer Hinsicht auf das wesentliche reduzierten B-Movies wird das Setting umrissen, werden die Charaktere mit ein paar groben Pinselstrichen eingeführt und schon ist man mittendrin in einem lupenreinen Action-Szenario das keinerlei Kompromisse eingeht und gerade deswegen voll überzeugt:
Mega-City One an der amerikanischen Ostküste ist nur eine der vollends von Verbrechen und Perspektivlosigkeit (die Arbeitslosenquote liegt bei 98%) verschlungenen Ballungszentren einer postapokalyptischen Welt. Die einzige noch für Recht und Ordnung sorgende Instanz sind die sogenannten Judges, behelmte, schwer bewaffnete Kampfmaschinen, die den lästigen Umweg über Gerichte und Urteile rapide abkürzen und in Personalunion den gesamten Justizapparat verkörpern.
Star der schießfreudigen Juristen-Truppe ist der wortkarge Dredd (Karl Urban), weshalb er auch die Ausbildung der Nachwuchshoffnung Cassandra Anderson (Olivia Thirlby) - sie verfügt über telepathische Fähigkeiten - übernehmen darf. Zum gegenseitigen Beschnuppern bleibt indes nicht viel Zeit. Schnell landen die beiden in dem 20.000-Einwohner-Skyscraper Peach Trees. Dort residiert die Drogen-Patriachin Ma-Ma (Lena Headey) mit eiserner Faust. Als Dredd und Anderson einen ihrer Handlanger verhaften, riegelt sie kurzerhand das 200-Stockwewrke hohe Gebäude ab und gibt die beiden Judges per Lautsprecherdurchsage zum Abschuss frei ...
Dieses schon in diversen Klassikern (u.a. Rio Bravo und Stirb langsam) erfolgreich durchexerzierte klaustrophobische Belagerungsszenario funktioniert auch in Dredd tadellos. Schon John Carpenter hat mit Assault - Anschlag bei Nacht eindrucksvoll bewiesen, dass ein solch minimalistischer Plot auch mit einem geringen Budget Maßstäbe in punkto Action und Spannung setzen kann.
Die Macher von Dredd setzten ihre überschaubaren finanziellen Mittel (40 Millionen US-$) ebenfalls äußerst effizient ein und verpasstem dem Film u.a. einen stylischen Look, der sich deutlich von der üblichen Genreware abhebt. Überhaupt ist die audiovisuelle Gestaltung eine der großen Stärken der minimalistischen Neuauflage. Kameramann Anthony Dod Mantel setzt (endlich wieder mal) die 3D-Technik zum sichtbaren Vorteil des Films ein und kreiert eine faszinierende räumliche Tiefe.
Neben der versiert erzeugten Dreidimensionalität stechen vor allem die immer wieder eingestreuten Zeitlupensequenzen heraus. Diese sind nicht - wie so häufig - selbstzweckhafte optische Spielereien -, sondern bewusste Visualisierung der von Ma-Ma unters Volk gebrachten Wunder-Droge Slow-Mo, die den Konsumenten die Wirklichkeit in hundertfacher Verlangsamung erleben lässt. Die dabei von Mantel erzeugten Bilder sind kunstvoll arrangierte Gewaltpanoramen, die sich - zugleich schrecklich und schön - nachhaltig ins visuelle Gedächtnnis des Zuschauers einbrennen. In Kombination mit Paul Leonard Morgans wummernden Mix aus Techno-Klängen und klassischer Instrumentierung entstehen dabei surreale Atempausen, die den geradlinigen Actionplot aufbrechen und dessen Pulp-Charakter ironisieren.
Mit den oft gelackten und letztlich konventionellen Comic-Adaptionen aus den USA hat Dredd kaum Schnittmengen. Viele der Macher stammen aus dem Umfeld des für unorthodoxes Genrekino bekannten britischen Multitalents Danny Boyle und waren u.a. an dessen Independent-Zombiehit 28 days later beteiligt (neben Kameramann Mantle sind dies Produzent Andrew MacDonald und Autor Alex Garland). Deren bewusst nicht auf Massenkompatibilität ausgerichtete Herangehensweise bringt frischen Wind in die doch recht schematische Ausrichtung der alljährlichen Comicadaptions-Welle. Das wird garantiert nicht jedermanns Sache sein, was wiederum den Reiz dieses hoffentlich nicht nur von einem Spartenpublikum goutierten Genre-Kleinods ausmacht.
Bei so viel Lob bleibt schließlich nur noch die ärgste Sorge der vom Vorgänger so enttäuschten Comic-Puristen zu klären. Auch hier kann Entwarnung gegeben werden: der Helm bleibt auf. Das finale Urteil lautet damit: uneingeschränkt empfehlenswert. Sitzung geschlossen.