1995 war „Judge Dredd“ bei Kritik und Publikum gescheitert, rund 17 Jahre später versucht sich „Vantage Point“-Regisseur Pete Travis an der Neuverfilmung der Kult-Comics – in deren Heimatland Großbritannien.
Schnell merkt man, dass „Dredd“ die Kindereien des Stallone-Films über Bord schmeißt, trotz gleicher Ausgangslage: In der Zukunft lebt die Menschheit in gigantischen Städten, den so genannten Mega Cities. Während Kriminalität und Gewalt inmitten der überwiegend verarmten Zivilbevölkerung überhand nehmen, versuchen die Behörde der Judges noch ein gewisses Maß an Ordnung aufrecht zu erhalten: Richter, Geschworene und Vollstrecker in Personalunion. Von Boston bis Washington reicht Mega City One, in der Judge Dredd (Karl Urban) seinen Dienst schiebt und als einer der besten Vollstrecker gilt. Keine fliegenden Motorräder, keine Reinigungsroboter – „Dredd“ gibt sich deutlich geerdeter in seiner Darstellung des Zukunftsghettos.
Schnell etabliert „Dredd“ den Haupthandlungsort des Films: Ein 200stöckiges Hochhaus, in dem die Drogenbaronin Ma-Ma (Lena Headey) herrscht und an ein paar rivalisierenden Dealern ein Exempel statuiert. Wenn die armen Schweine durch den Mittelschacht des an das „The Raid“-Hochhaus erinnernden Gebäudes geworfen werden, etabliert „Dredd“ nebenbei eine intradiegetische Erklärung für seine gelegentlichen Zeitlupensequenzen: Die Modedroge Slo-Mo, welche die Leute eben alles in der derartiger Verlangsamung wahrnehmen lässt.
Dredd soll die Rekrutin Cassandra Anderson (Olivia Thirlby) begutachten, die an sich knapp durch die Prüfung zum Judge gefallen ist, aufgrund ihrer ausgeprägten Fähigkeiten im Lesen von Gedanken allerdings eine große Hilfe im Kampf gegen das Verbrechen sein könnte. Sie nehmen den Fall von Ma-Mas Opfern an, wobei ihnen Kay (Wood Harris), einer von Ma-Mas wichtigsten Leuten, ins Netz geht. Da Ma-Ma befürchtet, dass Kay auspackt, lässt sie den Komplex abriegeln und hetzt ihre Leute auf Dredd und Anderson…
In vielen Punkten unterscheidet sich „Dredd“ nicht von Hollywoodspektakeln, seine britische Herkunft merkt man dem Film nicht unbedingt an, doch hat die Machart einen erfrischen off-mainstreamigen Touch: Die Bilder sind eben nicht nur Hochglanzkram, sondern bis ins letzte durchkomponiert, im Hintergrund ertönt ein starker, stampfender Industrial-Soundtrack, der den Film vorantreibt und ihm eine ganz eigene Note verleiht. Die Slo-Mo-Szenen sind trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihrer herben Gewalttätigkeit von einer fast malerischen Schönheit, die ästhetischen Highlights des Films.
Daneben nimmt sich die Geschichte recht zweckmäßig aus: Die Judges kämpfen sich in dem Gebäude rauf und runter, inmitten einer feindlichen Umgebung, doch Daueraction ist bei dem Katz-und-Maus-Spiel nicht angesagt. Doch aus der funktionalen Geschichte kann Pete Travis ein solides Maß an Spannung herauskitzeln, gerade wenn sich wieder und wieder die Frage stellt, wie die Judges nun aus dieser oder jener widrigen Situation entkommen, ob nur Dredd es schafft oder auch seine Partnerin. Zwischendrin serviert der Film auch einige knackige Oneliner, die durchaus passend zum Zynismus des Survival-of-the-Fittest-Zukunftsszenario daherkommen.
Für zarte Gemüter ist der Film aufgrund dieser Rahmung sicherlich nichts, zum einen wegen seiner ziemlich derben Härten, zum anderen wegen seiner Darstellung der faschoistoiden Zukunft, in der menschliches Leben kaum etwas wert ist. Allerdings bejubelt „Dredd“ die Fascho-Einstellung nicht, sondern bricht und hinterfragt sie immer wieder, meist durch die Figur von Anderson, die eben nicht wie Dredd einfach nur verinnerlichten Prinzipien folgt und durch ihre Fähigkeiten oft hinter die Kulissen blicken kann. Einige von Dredds Aktionen provozieren dennoch ein freudig-hämisches Grinsen – etwa die Entsorgung von Ma-Mas Nr. 2 durch einen Wurf in den Hochhausschacht, ehe Dredd in einem ikonographischen Moment im Rauch verschwindet.
Der Punkt, in dem Travis’ erfreulich ballastfreier Film Luft nach oben besitzt, ist allerdings die Actiondramaturgie: Nach einem netten Opener ist im Mittelteil actionmäßig wenig los, sieht man von einer spektakulären Minigun-Attacke durch Ma-Mas Schergen einmal ab, ehe der Film im Showdown Fahrt aufnimmt. Hier gibt es dann auch zum ersten Mal würdige Gegener für Dredd, die dem Film vorher etwas fehlen, und auch das Kanonenfutter könnte vorher etwas zahlreicher sein – dafür kommt der Fan im Finale bei blutigen Shoot-Outs und derben Nahkampfaktionen so richtig auf seine Kosten.
Obwohl Karl Urban als Dredd – wie sein Comicvorbild – nie den Helm abnimmt und allein mit dem unteren Teil des Gesichts spielt, so überzeugt seine Performance auf ganzer Linie. Ein harter Hund und Actionheld von echtem Schrot und Korn ist sein Dredd, dem Lena Headey als herrlich fiese Ma-Ma mit Narbengesicht einen charimatischen Konterpart liefert. Olivia Thirlby überzeugt als Newcomer-Judge, Wood Harris liefert durchaus guten Support und auch der Rest des Ensembles überzeugt in eher funktionalen Nebenrollen.
So bleibt ein harter, überzeugender Reißer mit etwas schwächelnder Actiondramaturgie, aber eindrucksvollen Schauwerten, einer starken Bildsprache und einem eingängigen Soundtrack. Nicht ganz so gut wie der ähnlich geartete „The Raid“, aber ein gelungener Sci-Fi-Actionfilm ohne viel Fett auf den Rippen. 7,5 Punkte meinerseits.